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REPRESSION/1477: Rechte schlagen, Linke treffen - Scheingefecht um NPD-Verbotsantrag (SB)




Fast alles, was man derzeit aus Politikermund zum NPD-Verbotsantrag hört, sind Scheingefechte, die des Pudels Kern verschweigen. Nationalkonservative bis faschistische Ideologie war stets eine mögliche Variante zur Verteidigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gegen ernstzunehmende Angriffe seitens der Linken. Hinzu kommt, daß utilitaristische und sozialrassistische Formen der Herrschaftsausübung längst auf innovative Weise in der Mitte der Gesellschaft verankert worden sind, so daß es dazu der neonazistischen Rechten nicht mehr bedürfte. Diese wird in ihrer in wesentlichen Teilen nationalistischen, staatskonformen und die ungezügelte Ausbeutung der Arbeitskraft bejahenden Doktrin als Kettenhund je nach Bedarf an die Leine gelegt oder losgelassen. Essentielle Stoßrichtung bleibt stets die Eindämmung der Linken mit dem gesamten Arsenal repressiver Zwangsmaßnahmen, die von propagandistischer Verteufelung über geheimdienstliche Observierung bis hin zu juristischen Sanktionen und Verboten reichen.

Ersetzt man in einem Interview, das der Deutschlandfunk mit Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, zur Frage des NPD-Verbots geführt hat [1], rechts durch links, zeichnet sich die grundsätzliche Interessenlage ab, das Verbot der in die Bedeutungslosigkeit abrutschenden NPD als Vorlage für künftige Sanktionen gegen linke Parteien und Organisationen durchzupauken. Auf die Frage des Moderators Dirk Müller, ob "wir" es nötig haben, die NPD zu verbieten, erwidert Albig in aller Schärfe:

Ja, wir haben es nötig, als Demokraten ein Zeichen zu setzen, dass es Grenzen gibt in dieser Gesellschaft, die nicht überschritten werden können. Und diese Partei überschreitet sie täglich, sie greift unsere Grundwerte an, sie stellt sich jenseits dessen, was wir miteinander vereinbart haben, und ich kann überhaupt nicht erkennen, warum wir nicht als demokratische Gesellschaft uns in unserer Wehrhaftigkeit doch einmal gegen die wenden, die meinen, in einer Demokratie nicht leben zu wollen, sondern die wieder braunes Gedankengut in dieses Land bringen.

Den Einwand Müllers, daß es doch einer Demokratie besser zu Gesicht stünde, politische Überzeugungsarbeit zu leisten, wischt Albig halbwegs vom Tisch, worauf er vehement das Abdrehen des Geldhahns zum Mittel der Wahl erklärt. Man müsse denen, "die mit Millionen aus unseren Haushalten, von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, den Demokratinnen und Demokraten gefüttert werden", zeigen, "dieses Geld kriegt ihr nicht von uns, wir akzeptieren euch nicht als eine demokratische Partei, ihr seid antidemokratisch, ihr steht jenseits unserer Gesellschaft". Er halte es für unerträglich, daß eine Demokratie ihre eigenen Feinde großziehe.

Auf das Argument, die NPD sei eine sterbende Partei mit allenfalls 3000 aktiven Mitgliedern und mehr Schulden als Geld, geht der Ministerpräsident überhaupt nicht ein. Andernfalls würde deutlich, daß es bei dem angestrebten Verbot um die darniederliegende rechte Traditionspartei darum am allerwenigsten geht. Statt dessen zieht sich Albig auf sein brachiales Credo zurück, daß es einer Gesellschaft guttue, massiv gegen ihre Widersacher vorzugehen.

Demgegenüber gibt sich selbst Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sachbezogener wenn sie warnt, daß ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren kein entscheidender Schlag gegen den Rechtsextremismus wäre. Die verbliebenen NPD-Mitglieder könnten problemlos in anderen rechtsextremistischen Organisationen unterkommen oder neue Gruppierungen ins Leben rufen. Laut Verfassungsschutzbericht seien über 22.000 Bürger in rechtsextremen Gruppierungen organisiert, und in Nordrhein-Westfalen gründe sich bereits eine Formation, die sich "Die Rechte" nenne. "Die Terrorzelle NSU hat zehn Jahre lang ungehindert gemordet. Kommen wir da weiter mit einem Verbot? Das ist doch kein Erfolg gegen den Rechtsextremismus! Eine Organisationshülle fällt weg - nicht mehr und nicht weniger." [2]

Wer jetzt kneife, werde zum Feigling, wirft sich Albig in die Brust. Man wolle schon dafür sorgen, daß eine abgeschaffte NPD nicht zum Märtyrer und jede Nachfolgepartei "dann auch verboten" wird. "Die wird dann auch verboten?", fragt Müller etwas ungläubig nach. "Das heißt, die Politik ist eine ständige Verbotspolitik in den kommenden Jahren?" Statt zu bestätigen, daß er eben dies in Aussicht gestellt hat, flüchtet sich der Ministerpräsident in die nichtssagende Formel, eine solche Politik zeige, daß sie für Werte stehe und sich nicht permanent angreifen lasse.

Die obligatorische Anschlußfrage, ob man denn seinerzeit mit dem KPD-Verbot die Kommunisten in Deutschland in die Enge getrieben habe, verwirft Albig als irrelevant. Die KPD sei in den fünfziger Jahren verboten worden, und um die damalige Diskussion gehe es heute überhaupt nicht. Auch generell "um Sinn, Zweck, Wirkung, Effektivität eines Parteienverbots", wie Müller nachhakt, gehe es nicht. Es stehe nicht "irgendeine abstrakte Debatte" an, sondern einzig und allein das Verbot der NPD, windet sich Albig im Bestreben, jede Grundsatzdebatte um Parteiverbote in einer Demokratie abzuwürgen.

Wie wenig ihn dabei das demokratische Prozedere schert, macht er in Reaktion auf die Frage deutlich, warum das tausendseitige Dossier des Verfassungsschutzes zwar den Länderinnenministern, nicht jedoch dem Bundestag vorliegt. Er selbst und sein Innenminister hätten den Bericht erhalten, studiert und für beweiskräftig befunden. Wenn die Fachleute sagten, alle Quellen seien ohne V-Leute ermittelt worden, könne er das absolut nachvollziehen. Das Dokument liege sicher auch den Bundesbehörden vor, und wenn es den Abgeordneten noch nicht verfügbar gemacht worden sei, dann müßten sie eben entsprechende Ausschüsse einberufen oder sich das Dossier vorlegen lassen. "Wer sich informieren lassen will, der kann sich auch informieren", stellt Albig das Verfahren auf den Kopf und erklärt die Geheimniskrämerei kurzerhand zum Problem der Parlamentarier.

Ist das die Demokratie, wie sie der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein sich vorstellt? Er müsse niemanden von seiner Auffassung überzeugen, bügelt er den Moderator barsch ab. Vielmehr erwarte er, daß alle Skeptiker im Bundeskabinett "die gleiche Position haben wie wir und als Demokraten sich an unsere Seite stellen. Wären sie nicht zu überzeugen, dann gehen wir den Weg ohne sie (...)." Das reizt Müller zu dem Einwand, daß Albig ständig die Formulierung "wir als Demokraten" im Munde führe, als treffe das für die Kritiker des Verbotsverfahrens nicht gleichermaßen zu. Es gehe doch nicht darum, ob jemand demokratisch eingestellt sei, sondern um die Methodik des Umgangs mit dieser Angelegenheit, so der Moderator.

"Nein", widerspricht Albig und mandatiert sich selbst zum Sachwalter dessen, wer und was Demokratie sei: "Es geht darum, dass wir ein Zeichen in einer demokratischen Gesellschaft setzen wollen, und wir streiten im Augenblick in der Demokratie darüber, ob das richtig ist." Einig weiß sich der Ministerpräsident mit dem Gros der Skeptiker, daß Demokratie mehr denn je mit der Deutungshoheit darüber gleichzusetzen sei, wer dazugehört und wer nicht, weshalb Parteiverbote grundsätzlich gängig gemacht werden müßten. Daß man das opportunerweise an der NPD vorexerzieren sollte, meinen auch die meisten Kritiker des aktuell angestrebten Verbotsverfahrens. Was diese fürchten, ist ein erneutes Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht: Eine Niederlage wäre eine "Katastrophe", so die Bundesjustizministerin [3].

Die Hürden für ein Parteiverbot sind in der Tat recht hoch. Eine mögliche Verfassungsfeindlichkeit der betreffenden Partei reicht für sich genommen nicht aus. Beim Verbot der KPD 1956 urteilte das Bundesverfassungsgericht: "Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen." Dies und das Glorifizieren des Nationalsozialismus wollen die Befürworter eines NPD-Verbots mit der angelegten Materialsammlung nachgewiesen haben, während Skeptiker die Vorlage keineswegs für wasserdicht halten.

Im Jahr 2003 scheiterte das angestrebte NPD-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht, weil die Führungsgremien der Partei mit V-Leuten durchsetzt waren. Die Innenminister wollen daraus gelernt haben und versichern, daß sie bereits im Frühjahr V-Leute aus der Führungsebene abgeschaltet hätten. In den vergangenen Monaten wurde zudem Material aus der Sammlung entfernt, weil offenbar ein Informant an der Herstellung der Belege beteiligt war. Dennoch dürfte es schwerfallen, wie erforderlich mindestens sechs von acht Richtern am Bundesverfassungsgericht davon zu überzeugen, daß garantiert kein V-Mann - und sei es nur als Ghostwriter von Pressemitteilungen - an dem Beweismaterial beteiligt war. Sollte der Verbotsantrag diese Hürde nehmen, muß sich noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Verbot beschäftigen, der unter anderem geltend machen dürfte, daß die betreffende Partei Chancen auf eine Machtübernahme haben müsse, was man von der NPD schwerlich behaupten kann.

Bis ein endgültiges Ergebnis vorliegt, könnte es nach Schätzungen von Experten alles in allem rund fünf Jahre dauern. Ein Grund aufzuatmen ist das nicht: Wenngleich bei aller parteipolitischen Übereinkunft hinsichtlich der Strategie, die Rechte zu schlagen, um die Linke zu treffen, das taktische Vorgehen einer Gratwanderung gleicht, unterstreicht dies doch nur die grundsätzliche Entschlossenheit, das Parteiverbot am Ende doch zu einer griffigen Waffe der Repression zu schmieden.


Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1942238/

[2] http://www.stern.de/politik/deutschland/vorgehen-gegen-npd-leutheusser-schnarrenberger-warnt-vor-verbotsverfahren-1937602.html

[3] http://www.morgenpost.de/politik/inland/article111848327/Chancen-und-Risiken-eine-neues-NPD-Verbotsverfahrens.html

6. Dezember 2012