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REPRESSION/1530: Geheimdienst deutsch - allgegenwärtig und legal (SB)



Alles zu kontrollieren, doch selber unkontrollierbar zu sein, ist die Ultima ratio der Geheimdienste. Sie dienen weder einer konkreten Regierung noch dem Parlament, geschweige denn der Bevölkerung, verfolgen sie doch den ausschließlichen Zweck, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse langfristig zu sichern. So schiebt das Grundgesetz zwar der Diktatur zugunsten der parlamentarischen Demokratie einen Riegel vor, definiert letztere jedoch insbesondere als Wahrung der Eigentumsverhältnisse einschließlich deren Verteidigung gegen jeden Versuch, sie im Sinne einer emanzipatorischen Gesellschaftsordnung umzuwälzen. Wenngleich die Dienste dem jeweiligen Nationalstaat als Sachwalter dieser Ordnung verpflichtet sind und seine Interessen befördern, opponieren sie im Zweifelsfall selbst gegen eine aus ihrer Sicht staatsgefährdende Exekutive, wie sie auch verfassungsfeindliche Kräfte des rechten Spektrums instrumentalisieren. Und nicht zuletzt ist ihnen das systemerhaltende Hemd ihres Metiers näher als der Rock nationaler Partikularinteressen, weshalb sie traditionell und durchgängig mit ausländischen Diensten zusammenarbeiten.

Die aktuelle Kontroverse um die Reform des Bundesnachrichtendienstes (BND) blendet solche grundsätzlichen Erwägungen systematisch aus und schwört die an der Debatte beteiligten Lager um so nachhaltiger auf die Übereinkunft ein, daß Geheimdienste prinzipiell notwendig seien, wenngleich man über ihre konkreten Machtbefugnisse durchaus geteilter Meinung sein könne. Der Streit bewegt sich also insofern im Vorfeld der Problematik, als es den Verfechtern des Gesetzes darum geht, den geheimdienstlichen Übergriff zu entfesseln, während die Kritiker der Novelle bestrebt sind, dies zu verhindern und die Dienste im Gegenteil enger an die Leine parlamentarischer Kontrolle zu legen. Daß letztere sehr rasch an ihre Grenzen stößt, wird dabei nur allzu deutlich, steht sie doch in einem unauflöslichen Widerspruch zum Wesenszweck der Geheimdienste als solchem.

Das Parlament hat heute die weitreichendste BND-Reform in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen, wobei zwei Gesetze die Arbeit des Auslandsgeheimdienstes und dessen Kontrolle neu regeln sollen. Die Bundesregierung zieht damit die Konsequenzen aus dem sogenannten NSA-BND-Skandal und nutzt dies zu einem Befreiungsschlag für den BND und andere deutsche Geheimdienste, deren Befugnisse erheblich ausgeweitet werden, während die vorgebliche Kontrolle diese Funktion den bestehenden parlamentarischen Gremien tendenziell entzieht und bei der Exekutive sowie dieser prinzipiell nahestehenden Rechtsinstanzen ansiedelt. Wie Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion im NSA-Untersuchungsausschuß, moniert, legalisiere das neue Gesetz die bekanntgewordenen Rechtsbrüche des BND. "Statt Reue, Umsteuern oder Zur-Rechenschaft-Ziehen der Verantwortlichen, bekommt der BND einen Freibrief für Massenüberwachung. Der BND war bislang der kleine Bruder der NSA, jetzt wird er zum Zwilling." [1]

Ausdrücklich erlaubt wird Spionage gegen Institutionen oder Mitgliedstaaten der EU, etwa wenn es um Gefahren für die innere und äußere Sicherheit, die Handlungsfähigkeit Deutschlands oder "Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung" geht. Wie man unschwer erkennen kann, ist dies ein Freibrief für eine nahezu schrankenlose Überwachung des gesamten europäischen Raums. Wenngleich Wirtschaftsspionage mit dem Ziel, deutschen Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, ausdrücklich verboten wird, heißt es zugleich, die Aufklärung von wirtschaftspolitisch bedeutsamen Vorgängen könne erforderlich sein. Zudem wird die Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten wie der NSA unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich erlaubt: Ziele dieser Zusammenarbeit müssen demnach der sogenannte Antiterrorkampf, die Unterstützung der Bundeswehr im Auslandseinsatz oder Informationen zur Sicherheitslage von Deutschen im Ausland sein. [2]

Während der BND bislang nur 20 Prozent des Datenverkehrs legal abgreifen durfte, kann er künftig ganze Telekommunikationsnetze überwachen, also beispielsweise sämtliche Leitungen der Telekom oder anderer Anbieter. Auch soll er auf Infrastrukturen in Deutschland zugreifen können, was bisher verboten war. Überdies sollen erhobene Metadaten künftig für ein halbes Jahr gespeichert und mit Partnerdiensten ausgetauscht werden dürfen. Für das Nicht-EU-Ausland ändert sich durch die Reform wenig. So dürfen Ausländer, die sich im Ausland aufhalten, weiterhin weitgehend unbeschränkt vom BND abgehört werden.

Die Reform sei ein "Quantensprung", jubelt Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuß. "Dort, wo der BND im Auftrag der Bundesregierung und im Einklang mit der Verfassung Daten erfassen soll, gibt es nun gesetzliche Grundlagen und eine funktionierende Kontrolle." Und Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, weist jegliche Vorwürfe als vollkommen unzutreffend zurück. Durch das neue Gesetz würden erstmals europäische Bürger genauso vor Spionage durch den BND geschützt wie Deutsche. "Das ist bemerkenswert. Wir nehmen mit dieser rechtsstaatlichen und gewissenhaften Regelung eine Vorreiterrolle in der Welt ein."

Worin diese Vorreiterrolle besteht und was den Quantensprung ausmacht, zeigt ein Blick auf die angeblich verbesserte Kontrolle, mit der die gravierende Ausweitung der geheimdienstlichen Befugnisse gerechtfertigt wird. Ein dreiköpfiges "Unabhängiges Gremium", bestehend aus zwei Richtern und einem Bundesanwalt am Bundesgerichtshof, soll künftig vom Kanzleramt über brisante Aktionen des deutschen Auslandsgeheimdienstes informiert werden und etwa auch seine Zustimmung zu möglicher Spionage gegen Einrichtungen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten geben müssen. Die Kontrolleure sollen jederzeit stichprobenartig die vom BND eingesetzten Spionagesuchbegriffe (Selektoren) überprüfen können. Anders als bisher muß das Kanzleramt auf Antrag des BND-Präsidenten oder eines Vertreters die Spionage in internationalen Telekommunikationsnetzen anordnen. Hingegen waren früher heikle Überwachungsmaßnahmen von niedriger BND-Ebene genehmigt worden.

Weil den Abgeordneten im geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages oft die Zeit für eine tiefere Kontrolle fehlt, wird das Amt eines hauptamtlich arbeitenden "Ständigen Bevollmächtigten" geschaffen. Er wird von dem Gremium eingesetzt, soll "kontinuierliche und strukturierte Untersuchungen" anstellen und die Arbeit der verschiedenen Kontrollgremien koordinieren. Ferner sollen Whistleblower besser geschützt werden, jährlich öffentliche Anhörungen der Präsidenten der Nachrichtendienste durch das Kontrollgremium erfolgen und Fraktionschefs auf eigenen Wunsch von Mitgliedern des Kontrollgremiums informiert werden, was bislang nicht gestattet war.

Was aus seiner Sicht gegen die Reform insgesamt und die vorgebliche Kontrolle einzuwenden ist, brachte Andre Hahn von der Linkspartei, stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [3] zum Ausdruck. Mit dem neuen BND-Gesetz werde das Ausspähen unter Freunden ganz offiziell erlaubt, wie beispielsweise der ungehinderte Zugriff auf den Kabelknotenpunkt in Frankfurt zeige. Alles, was sich im NSA-BND-Untersuchungsausschuß als rechts- oder gar verfassungswidrig herausgestellt habe, solle nun gesetzlich legitimiert werden. Die drei bereits bestehenden parlamentarischen Gremien, nämlich das Vertrauensgremium, die G10-Kommission und das Parlamentarische Kontrollgremium, reichten völlig aus. Es könne nicht wahr sein, daß die Bundesregierung jetzt ihre eigenen Kontrolleure wähle.

Die Bundesregierung verweigere bis heute Einblick in die verwendeten Suchbegriffe. Solle künftig ein Gremium in Karlsruhe alle drei Monate einmal nachsehen, seien diese Begriffe längst im Einsatz und hätten unzählige Daten gesammelt. Die Prüfung müsse dem Parlament, nicht aber einer Gruppe übertragen werden, die die Bundesregierung selbst eingesetzt hat. Wenngleich die zwei Bundesrichter und der Bundesanwalt unabhängig sein sollten, suche die Regierung natürlich ihr genehme Personen aus. Auch der neue Ständige Bevollmächtigte werde von der Koalition eingesetzt und nicht von der Opposition. Man habe daher den Eindruck, daß gezielt eine zusätzliche Institution geschaffen werde, die als Nadelöhr filtert, was dem Parlament vorenthalten werden soll.

Die geplante Geheimdienstreform ist so abenteuerlich, daß bei einer Anhörung des Innenausschusses des Bundestages mehrere geladene Experten Kritik an der Neufassung des BND-Gesetzes übten. Reporter ohne Grenzen nennt den Entwurf einen "Verfassungsbruch mit Ansage" und hat gemeinsam mit anderen Verbänden rund 20.000 Unterschriften gegen die Reform gesammelt. Der Verein beklagt, daß beispielsweise Journalisten aus Nicht-EU-Staaten künftig "praktisch schrankenlos" überwacht werden dürfen. Hinzu kommen Abgeordnete anderer Länder, Anwälte und Geistliche, um nur einige Berufsgruppen herauszugreifen. Deshalb geht die Opposition im Bundestag davon aus, daß die Reform weder vor dem Bundesverfassungsgericht noch vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben werde.

Darauf bauen sollte man besser nicht, ist doch die deutsche Reform der geheimdienstlichen Tätigkeit zweifellos von innovativer Anziehungskraft für all jene Protagonisten des Ausnahmezustands, welche die Tätigkeit der Dienste massiv ausweiten und zugleich umfassend legalisieren wollen.


Fußnoten:

[1] https://www.tagesschau.de/inland/bnd-gesetz-reform-103.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bnd-reform-bundestag-beschliesst-geheimdienstgesetz-a-1117671.html

[3] http://www.deutschlandfunk.de/bnd-gesetz-im-bundestag-ausspaehen-unter-freunden-wird.694.de.html?d

21. Oktober 2016


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