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REPRESSION/1547: Akzeptanzmanagement pur - taz lobt Gabriels Sicherheitskonzept (SB)



Am 3. Januar sprach sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem programmatischen Titel "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" für eine beispiellose Zentralisierung von Sicherheitskompetenzen auf Bundesebene zu Lasten der föderalen Struktur aus: Stärkung des Bundeskriminalamts, Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz, Ausbau einer "echten Bundespolizei", Abschiebung abgelehnter Asylbewerber unter der Regie des Bundes mittels sogenannter Bundesausreisezentren.

Am 3. Januar legte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein Konzeptpapier "Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit" vor. Darin warnt der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende davor, sich ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen zu konzentrieren, und plädiert dafür, auch den Zusammenhalt der Gesellschaft im Sinne von Kultur, sozialer Sicherheit und Bildung zu stärken.

Will man nicht gerade von telepathischen Fähigkeiten oder Schwarmverhalten in der Großen Koalition ausgehen, fällt es schwer, in der Gleichzeitigkeit der Präsentation dieser Entwürfe etwas anderes als eine konzertierte Aktion der Bundesregierung zu sehen, den sicherheitspolitischen Ertrag des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche vollumfänglich einzufahren. In einer Simulation von Demokratie, Meinungsvielfalt und politischer Streitkultur fächern de Maizière und Gabriel arbeitsteilig das Spektrum zunehmend repressiver Staatlichkeit auf und setzen damit eine Scheinkontroverse in Gang, die den Sicherheitsdiskurs zur ersten Bürgerpflicht macht.

Wie das funktioniert, führt die taz für ihr Klientel vor, das sie selbst im linksliberalen Milieu verortet. Daß dieses mehr oder minder große Schnittmengen mit der Sozialdemokratie aufweise, legt taz-Chefredakteur Georg Löwisch in einem Kommentar für den Deutschlandfunk [1] nahe, in dem er Gabriels Sicherheitskonzept über den grünen Klee lobt. Zu Beginn dieses wichtigen Jahres habe sich der SPD-Vorsitzende zu den derzeit drängenden Fragen erklärt, wie der Terror bekämpft werden soll, was die Politik angesichts der Sorge um Sicherheit tut und wie all das mit der freien Gesellschaft in Einklang gebracht werden soll. Man dürfe dieses Thema keinesfalls CDU, CSU und AfD allein überlassen, doch nun steige Gabriel ein, der mutmaßliche Kanzlerkandidat seiner Partei:

Der SPD-Vorsitzende ist das Gesicht des Januars, weil er das Thema des Januars zu seinem gemacht hat. Sicherheit und Freiheit - Gabriel hat dazu ein Konzept geschrieben. Er zeigt damit, dass die SPD einen echten Beitrag leisten kann.

Als fühle sich Löwisch berufen, Gabriels Wahlkampfmanager abzugeben, attestiert er dem vier Regierungsjahre lang zwischen Rollen und Positionen "oszillierenden" Sigmar Gabriel, plötzlich die Balance hinzubekommen. Er verlange härtere Regeln, um sogenannte Gefährder ohne Aufenthaltsrecht einsperren zu können, sage aber auch, daß die Hälfte der Gefährder im Land einen deutschen Pass habe und deshalb gar nicht abgeschoben werden könne. Auch unterscheide Gabriel zwischen Islam und Islamismus: "Moscheengemeinden will er zu Partnern des Rechtsstaats machen. Gegenüber islamistischen und salafistischen Gemeinden verlangt er Härte. Er will nicht nur den Terror bekämpfen, sondern auch die Ursachen des Terrors. Prävention und Repression. Freiheit und Sicherheit", hantiert der taz-Chefredakteur mit Klischees, als bastle er am Wahlkampfslogan der Sozialdemokraten.

Demgegenüber enthalte Thomas de Maizières dicker Katalog zwar auch sinnvolle Vorschläge wie ein länderübergreifendes Krisenmanagement für nationale Katastrophenlagen oder ein offensives Auftreten des Staates gegenüber islamistischen Gefährdern, doch sei der empfohlene Umbau weder zweck- noch verhältnismäßig. Er lobe allenthalben den starken Staat, wolle ihn aber erstmal auseinandernehmen und dann in Berlin wieder zusammenbauen. Dieses Konzept der Zentralisierung solle in Abgrenzung von der AfD Entschlossenheit vermitteln, doch habe die zentralistische Bauart in Frankreich die islamistischen Anschläge nicht verhindert, so Löwisch:

Die Stärke des SPD-Chefs Sigmar Gabriel ist es, dass er um den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit ringt. Dagegen ist die Stärke des Thomas de Maizière bloß: Lautstärke.

Daß Gabriels sozialdemokratische Sicherheitspolitik, mit der er seine Partei vom Koalitionspartner abzugrenzen vorgibt, jene Positionen als ausgewogen verkauft, die noch vor kurzem als Spitze verschärfter Repression aufgefaßt wurden, zeigt den rasant voranschreitenden Ausbau des Sicherheitsstaats. In seinem siebenseitigen Papier schlägt der SPD-Vorsitzende stärkere Videoüberwachung, Abschiebehaft für Gefährder, vereinheitlichte Datensysteme von Bund, Ländern und Kommunen und die Schließung "radikal-islamistischer und salafistischer Moscheen" vor. Darüber hinaus fordert er eine "aufgeklärte Debatte" über die Aufgaben der inneren Sicherheit. Diese sei ein "ursozialdemokratisches Thema", da soziale Sicherheit und Gerechtigkeit "nur in einer friedfertigen und sicheren Gesellschaft entstehen" könnten.

Da Gabriel befürchten muß, als Wegbereiter repressiver Staatlichkeit in einen Topf mit de Maizière geworfen und als Pudel der Kanzlerin identifiziert zu werden, will er möglicher Kritik in seinem Papier gleich selbst den Wind aus den Segeln nehmen. Zwar sei ihm bewußt, "dass im 'linken' Spektrum der Politik schnell die Sorge auftaucht, alle diese Maßnahmen seien ein Weg in einen autoritären Staat, der am Ende die Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger beschneidet", doch vertraue er auf "eine sehr funktionstüchtige Verfassungsgerichtsbarkeit" sowie "eine wache Bürgergesellschaft und eine überzeugt demokratische Polizei und Justiz". [2]

Daß solche Aussagen Georg Löwisch nicht schmerzen, sondern im Gegenteil zu Lobeshymnen auf Gabriel inspirieren, ist denn doch befremdlich. Wie drückte er es kurz vor seinem Amtsantritt als Chefredakteur im September 2015 aus?

Die taz ist die Zeitung der Zukunft. Und sie ist die stärkste Stimme der demokratischen Gegenöffentlichkeit in Deutschland. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass es so bleibt. [3]


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/sicherheitskonzepte-gabriel-bekommt-die-balance-hin.720.de.html

[2] http://www.vorwaerts.de/artikel/sigmar-gabriel-mehr-sicherheit-deutschland-sorgen-will

[3] http://www.taz.de/!160779/?

7. Januar 2017


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