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REPRESSION/1581: Journalistenpreis für Can Dündar ... wo bleibt der Mut der deutschen Presse? (SB)



Wenn es zur Verteidigung der Demokratie, der Bürger- und Menschenrechte beiträgt ... doch danach sieht es nicht aus. Noch so viele Preise für unbestechliche Berichterstattung ändern an der Gefahr, in der sich JournalistInnen in autoritär regierten Staaten befinden, fast nichts. Um so bedeutsamer scheint zu sein, wer sich mit der Vergabe dieser Preise unter der Fahne unbedingter Presse- und Meinungsfreiheit versammelt. Zumindest in einigen Fällen liegt der Verdacht nahe, daß die Auszeichnung in der Türkei verfolgter JournalistInnen vor allem der Legitmationsproduktion einer ihrerseits höchst unglaubwürdigen Türkeipolitik der Bundesregierung dienen soll.

Der zur Zeit in der Bundesrepublik lebende Journalist Can Dündar wurde in der Türkei mit einem bislang nicht rechtskräftigen Urteil zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte anfangs lebenslänglich wegen Terrorunterstützung und Geheimnisverrat gefordert. Als Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet zeichnete er 2014 für einen Bericht verantwortlich, laut dem der türkische Geheimdienst MIT in einer verdeckten Operation Munition an islamistische Milizen in Syrien, aller Wahrscheinlichkeit nach den IS, geliefert hat. Damit verlieh er den vielen Berichten über eine informelle Zusammenarbeit zwischen dem türkischen Staat und dem IS zusätzliche Glaubwürdigkeit. Auf persönliches Betreiben von Präsident Erdogan wurde er 2015 zusammen mit dem Leiter des Hauptstadtbüros der Cumhuriyet, Erdem Gül, wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung festgenommen. Nachdem Gül und Dündar aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtes aus der U-Haft entlassen worden waren und der Prozeß fortgesetzt wurde, schoß ein Attentäter am 6. Mai 2016 mehrmals auf Dündar und verfehlte ihn nur knapp. Obwohl er einen anderen Journalisten mit einem Streifschuß verletzte und die Tat, bei der der Schütze Dündar als "Vaterlandsverräter" bezeichnete, zweifellos den Sachverhalt eines politisch motivierten Terroraktes erfüllte, befand sich der Attentäter schon nach wenigen Monaten wieder auf freiem Fuß.

Can Dündar reiste im Juli 2016 nach Deutschland aus, wo er seitdem weiterhin journalistisch tätig ist. Seitdem hat der renommierte Autor und Dokumentarfilmer zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt am heutigen Sonntag den Siebenpfeifferpreis. "Herzlichen Glückwunsch für den Mut, daß Sie einen Terroristen ausgezeichnet haben", so Dündar zu Beginn seine Dankensrede mit unüberhörbarem Sarkasmus. Die Laudatio hielt kein Geringerer als Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, und das ist nur einer von vielen politischen Funktionsträgern, die sich mit dem Mut des ehemaligen Chefredakteurs des traditionsreichen Oppositionsblattes Cumhuriyet schmücken, dessen Mitarbeiter bis heute massiver Repression ausgesetzt sind. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck empfing ihn in seinem Amtssitz, SPD-Chef Martin Schulz hielt eine Laudatio, und es ließen sich noch mehr illustre Namen anführen, die die Frage aufwerfen, wer da wen feiert.

Seit Ende September versucht die Staatsanwaltschaft Diyarbakir, Dündar mittels Interpol verhaften zu lassen. Er habe auf einer Konferenz in der kurdischen Metropole im April 2016 die Vorgehensweise der PKK als legitim bezeichnet [1], lautet der Vorwurf. Tatsächlich hat sich Dündar stets für eine gerechte Lösung der Kurdenfrage ausgesprochen. So hat er die mit der Zerstörung ganzer Städte einhergehende Verfolgung der kurdischen Minderheit 2016 als "Hexenjagd" [2] bezeichnet und 2008 in einem Dokumentarfilm über Mustafa Atatürk belegt, daß dieser den Kurden bei Gründung der Republik Autonomie versprochen habe.

So sehr das Gerechtigkeitsempfinden und die Grundsätze seiner Arbeit Dündar in Schwierigkeiten bringen, so wenig versuchen sich deutsche PolitikerInnen ihrerseits im aufrechten Gang. Im Januar 2017 hielt Dündar die Festrede im Bundesjustizministerium, dem bis heute Heiko Maas vorsteht. Es ist der gleiche Minister, der deutschen Gerichten grünes Licht zur Strafverfolgung kurdischer AktivistInnen nach dem politischen Strafrecht 129 b gibt, dessen Anwendung der Ermächtigung durch sein Amt bedarf. Die Mitgliedschaft in einer als terroristisch eingestuften Organisation wie entsprechende Gesinnungsdelikte sind Anlaß zur Verhängung mehrjähriger Haftstrafen, wobei nicht einmal ein Inlandsbezug gegeben sein muß. De facto vollzieht die Bundesregierung mit der Kriminalisierung dieser für die Freiheitsrechte der KurdInnen in der Türkei streitenden Organisation die politischen Interessen eben jener AKP-Regierung, die das Land mit massiver Repression überzieht.

Die Durchsetzung des anachronistischen Verbotes der PKK betrifft insbesondere die fortgesetzte Kriminalisierung ihres Vorsitzenden, Abdullah Öcalan. Obwohl sich dieser seit Jahren aktiv für den Friedensprozeß mit der türkischen Regierung einsetzt, den Erdogan aus opportunistischen Gründen abgebrochen hat, und mit dem Demokratischen Konföderalismus ein überzeugendes Konzept für das friedliche Zusammenleben der von kolonialistischen Grenzziehungen und imperialistischen Kriegen zerrütteten Bevölkerungen der Region des Nahen und Mittleren Osten vorgelegt hat, erfüllt die Abbildung seines Gesichtes auf Demonstrationen in der Bundesrepublik den Tatbestand einer strafbaren Handlung. Am 4. November wurde in Düsseldorf eine bundesweite Großdemonstration am Weiterlaufen gehindert, weil entsprechende Fahnen nicht eingerollt wurden (der SB berichtete [3]), am Freitag wurde in Dortmund aus dem gleichen Grund eine Demonstration von vornherein verboten [4].

Unter den im Bundestag vertretenen Parteien fordert lediglich Die Linke die Aufhebung des PKK-Verbotes. Alle anderen unterstützen eine Regierungspolitik, die, Freiheit und Demokratie auf den Lippen, im Falle der Türkei der von hegemonialpolitischen und geostrategischen Interessen bestimmten Staatsräson Deutschlands den Zuschlag gibt und das Regime Erdogans ungebrochen unterstützt. Seit 1999 ist Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert, seit zweieinhalb Jahren befindet er sich in Totalisolation, und seit September 2016 gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. In einem aktuellen Artikel kritisiert der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech die sachlich unbegründete Verfolgung der PKK in der Bundesrepublik und belegt anhand eines persönlichen Gespräches, das er mit dem PKK-Chef geführt hat, daß dieser keineswegs für eine Loslösung der kurdischen Bevölkerung von der Türkei, sondern für "Gleichberechtigung und Freiheit innerhalb einer demokratischen föderativen Türkei" [5] eintritt. Das Verschweigen seiner Situation wie des Krieges der türkischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerung durch die Medien der Bundesrepublik, die umfassend über den in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel und andere dort verfolgte BundesbürgerInnen berichten, ist für Paech ein Skandal. Wenn der herausragende Mut türkischer JournalistInnen hierzulande mit Preisen gewürdigt wird, warum erzeugt diese Vorbildfunktion bei der Arbeit der deutschen KollegInnen so wenig Resonanz?


Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/politik/interpol-fahndung-in-deutschland-tuerkische-justiz-will-can-duendar-ausliefern-lassen/20396776.html

[2] https://www.cicero.de/aussenpolitik/kurdenkonflikt-in-der-tuerkei-die-angst-vor-der-vielfalt

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0293.html

[4] http://www.ruhrnachrichten.de/Staedte/Dortmund/Dortmunder-Polizei-untersagt-Kurden-Demonstration-958579.html

[5] http://civaka-azad.org/es-lohnt-sich-fuer-die-utopie-zu-kaempfen/

12. November 2017


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