Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1598: Flucht - Genehmigungslager für Migranten ... (SB)



Menschen in Lager zu sperren hat nicht nur in Deutschland, hierzulande jedoch eine besonders finstere historische Tradition. Angesichts der damaligen Greuel sollte es sich von selbst verbieten, jemals wieder auf deutschem Boden und ebensowenig im Dienste deutscher Interessen anderswo ähnliches auch nur in Erwägung zu ziehen. Da es jedoch einst hieß, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen, die Bundeswehr aber seit ihrer Beteiligung am Angriff auf dem Balkan längst an zahlreichen Schauplätzen ihre Waffen vorhält, ist die Brüchigkeit solcher Tabus hinlänglich bekannt. Es ist nur eine Frage der Zeit und des ideologischen Transformationsprozesses, bis die hiesigen Herrschaftsinteressen nach innen und außen wieder auf eben jene Mittel zurückgreifen, derer sich Staatsgewalt seit jeher bedient. Was immer die Bundesrepublik in Abgrenzung von undemokratischen Regimen und insbesondere im Kontrast zur vorangegangenen Phase totalitärer Staatlichkeit an grundsätzlicher Andersartigkeit für sich reklamiert, kennt letzten Endes keine roten Linien, die nicht bei Bedarf perforiert und überschritten würden.

Daß dies nach zwei mitentfesselten und verlorenen Weltkriegen wie auch dem NS-Staat im geschichtsträchtigen hiesigen Marschgepäck ganz spezifischer gedanklicher, sprachlicher und politisch-administrativer Manöver bedarf, liegt auf der Hand. So kommt denn auch die Intention, mißliebige Menschen und Personengruppen in Ergänzung zum Strafvollzug zum Zwecke perfektionierter Verfügung in geschlossenen und bewachten Lagern festzuhalten, zunächst auf leisen Sohlen daher, vorerst getarnt hinter positiv konnotierten Fassaden. Propaganda, die als solche zu identifizieren und bestimmten Interessen zuzuordnen ist, geht klammheimlich in Denkkontrolle über, wenn ideologische Konstrukte gleichsam zu unhinterfragbaren Mustern gerinnen.

Erst nennt man das Kind keinesfalls beim Namen und stellt im Orwellschen Neusprech die Verhältnisse auf den Kopf. Dann gibt sich einer als Volkes Stimme aus und macht den Eisbrecher. Daraufhin hagelt es harschen Protest, der solange wiedergekäut und gedreht und gewendet wird, bis die Spreu grundsätzlicher Kritik vom Weizen konstruktiver Problemlösungen getrennt ist. Unterdessen hat sich der vordem tabuisierte Begriff dank seines unablässigen Gebrauchs in die Debatte eingeschlichen und dort breitgemacht. Er löst keinen Brechreiz mehr aus, sondern nimmt Zug um Zug den Charakter eines Sachverhalts an, über den es sich selbstverständlich nachzudenken lohne, schließlich dürfe eine offene Diskussion keine Aspekte von vornherein ausschließen. Bald herrscht Einigkeit darüber, daß der monierte Vorstoß übereilt und unausgegoren sei, weshalb eine gründlichere Planung und erweitere Mitsprache angemahnt werden müsse. Am Ende geht im Wust der Argumente, wie man das Ganze besser angehen und handhaben könnte, der Ausgangspunkt vollends unter. An die Stelle der Unvereinbarkeit von Mensch und Lager ist der kasernierte Insasse getreten, dessen Einweisung, Verwahrung und Entsorgung eben rechtssicher, kompetent und reibungsarm organisiert und exekutiert werden müsse.

Niemand hat die Absicht, in Deutschland Lager zu errichten! Klingelt da was? Horst Seehofer hat das allerdings auch nicht gesagt. Nachdem die "Transitzentren" oder "Transitzonen" bayerische Unikate geblieben sind, hat der Bundesinnenminister die "Ankerzentren" als bundesweite Einrichtungen auf den Weg gebracht. Die Bezeichnung erscheint im Koalitionsvertrag und steht für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung". Asylbewerber sollen gar nicht erst wirklich ins Land gelassen werden, wo sie sich verteilen und verflüchtigen oder womöglich sogar integrieren könnten, sondern in besagten Aufnahmestellen unterkommen, bis sie in Kommunen verteilt oder aber in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Die Idee dabei ist natürlich neben der Abschreckung, schutzsuchende Menschen schneller und in größerer Zahl wieder loszuwerden und dorthin zurückzutreiben, wo sie vor Krieg, Armut und Verfolgung geflohen sind. Von Identifizierung und Kooperationszwang über konzentrierten behördlichen Zugriff bis hin zur Bleibepflicht und strafferen Abschiebung ist mit deutscher Gründlichkeit an alles gedacht, was beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Vorhabens erforderlich scheint.

In einer Pilotphase soll bis zum Herbst 2018 eine Reihe von Ankerzentren eingerichtet werden. Damit fangen jedoch die Probleme der Umsetzung an, die derzeit hochkochen. Während Seehofer von bis zu 40 Ankerzentren in ganz Deutschland ausgeht und voreilig mehrere kooperierende Bundesländer genannt hat, machen diese auf breiter Front einen Rückzieher. Niedersachsen erklärt, überhaupt nicht gefragt worden zu sein, Nordrhein-Westfalen dementiert angebliche Zusagen und fordert vorab einen Intergrationsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen. Auch andere CDU-geführte Bundesländer wie Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt verweigern Seehofer die Unterstützung. Nach Lage der Dinge sind nur Bayern und Sachsen bereit, sich an dem Pilotprojekt zu beteiligen. [1]

Harte Worte fallen von unerwarteter Seite. Wie Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in der Bundespolizei, erklärt, handelt es sich seines Erachtens um Lager, in denen Schutzsuchende kaserniert und von der Bevölkerung isoliert werden. Die Betroffenen sollten sich anscheinend nicht wohlfühlen, obwohl sie monatelang dort verbleiben müßten, was Aggressivität bewirke. Radek zufolge solle man auch nicht die Bundespolizei mit den Ankerzentren beauftragen, da die Unterbringung von Asylsuchenden keine Sache des Bundes sei. Probleme wie in der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen in Baden-Württemberg, wo etwa 200 Migranten zunächst die Abschiebung eines Togoers verhinderten, will die Bundespolizei offensichtlich nicht an den Hacken haben. Um dies zu betonen, darf schon mal der Begriff "Lager" fallen, wobei sich der polizeiliche Blick auf die sogenannte Gefahrenanalyse fokussiert.

Wie der zeitweilige Spagat zwischen Bundes- und Landespolitik und womöglich auch dem Für und Wider der Ankerzentren zugunsten eines gangbaren Auswegs beendet werden könnte, führt die schwarz-grüne Koalition in Hessen vor. Auf Bundesebene fordert die Union solche Asyl- und Abschiebezentren, die Grünen lehnen die neuen Ankerzentren ab. Wie Ministerpräsident Volker Bouffier erklärt, werde Hessen kein Ankerzentrum einrichten, weil es schon eines gebe, das alle vom Bund geforderten Aufgaben erfülle, nur besser sei und anders heiße: die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen. Dort arbeiteten Jugendamt, Bundesagentur für Arbeit, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Verwaltungsgericht Hand in Hand. Im Schnitt würden drei Viertel aller Asylanträge nach einem Monat entschieden. Im ersten Quartal 2018 seien 300 Flüchtlinge freiwillig aus Gießen in ihre Heimat zurückgekehrt, 200 wurden abgeschoben. Dem schloß sich die grüne Landtagsfraktion mit der Empfehlung an, "statt immer neuer unausgegorener Vorschläge der Bundesebene" in der Debatte um die Organisation von Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge einen Blick nach Gießen" zu richten. [2]

Die Kritik an den Ankerzentren ist offenbar auch in anderen Bundesländern nicht grundsätzlicher Natur. Der Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp, verlangt fundierte Informationen statt "Stammtischparolen". Grundsätzlich könnten die Ankerzentren dazu beitragen, die Verfahren zu beschleunigen, aber nur, wenn sie richtig gestaltet würden, so der FDP-Politiker. In Sachsen-Anhalt warnt CDU-Innenminister Holger Stahlknecht, die Zentren könnten falsche Erwartungen wecken, wenn suggeriert werde, daß dadurch automatisch die Zahl der Abschiebungen steige. In seinem Bundesland scheiterten 70 Prozent der Abschiebungen, weil die Herkunftsstaaten die Menschen nicht zurücknehmen wollten: "Da liegt der viel größere Handlungsbedarf." Von einer breiten Front gegen das Prinzip der Ankerzentren auf Ebene der Bundesländer kann ungeachtet der aktuellen Kontroverse also keine Rede sein. [3]

Wie Menschenrechtsorganisationen kritisieren, führe die langfristige Unterbringung in solchen mit Stacheldraht gesicherten und von der Bundespolizei bewachten Massenunterkünften zu einer Stigmatisierung der dort lebenden Menschen. Sie würden vom Kontakt zur Bevölkerung ausgeschlossen, schreiben Pro Asyl und Flüchtlingsräte in einer gemeinsamen Erklärung. Wer Menschen über viele Monate in Ankerzentren einsperre, zerstöre dadurch jegliche Integrationsperspektive. Nach eineinhalb Jahren der Isolierung werde es enorm schwierig für die Menschen, in einem normalen Leben Fuß zu fassen, so Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. In der hohen Zahl teils traumatisierter Menschen, die ohne Beschäftigung und Perspektive aufeinander sitzen, sehen auch die Vertreter der Caritas ein Hauptproblem. Sie fordern eine Auflösung der großen Zentren, eine dezentrale Unterbringung und unter Auflagen Zugang zum Arbeitsmarkt. [4]

Wohin der Kurs führen soll, stellte demgegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel klar, die Seehofer in einer Generaldebatte im Bundestag verteidigte, da die geplanten Zentren sinnvoll und sehr praxisorientiert seien. "Ich finde, wir sollten auch alle dazu stehen", erinnerte sie an den Koalitionsvertrag. [5] Dies unterstreicht, daß eine Kritik zu kurz greift, die sich lediglich an Seehofer, der Bayernwahl im Oktober oder aktuellen Kontroversen der Tagespolitik reibt. Die Ankerzentren sind ein Pilotprojekt, das der Errichtung von Lagern in Deutschland zur Durchsetzung verhelfen soll. Repressive Innenpolitik beginnt bei einer Bevölkerungsgruppe wie den Flüchtlingen, die sich leichter als andere bezichtigen, ausgrenzen und sanktionieren läßt, doch sie endet nicht damit. Gelingt es nicht, die Ankerzentren zu verhindern, werden weitere Lager folgen, die aus Sicht der Staatsräson zur Verwahrung überflüssiger, delinquenter oder widerständiger Personenkreise das Mittel der Wahl sind, wenn es größere Mengen an Menschen ohne Gerichtsurteil einzusperren gilt.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/inland/asylzentren-seehofer-101.html

[2] www.hessenschau.de/politik/hessen-hat-irgendwie-ein-ankerzentrum-und-braucht-darum-keines,ankerzentren-debatte-100.html

[3] www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/ankerzentren-bundeslaender-unterstuetzung-verweigerung-horst-seehofer

[4] www.merkur.de/politik/blick-hinter-kulissen-wird-transitzentrum-manching-bald-zum-ankerzentrum-9871270.html

[5] www.sueddeutsche.de/politik/bundeslaender-viel-gegenwind-fuer-seehofers-geplante-asylzentren-1.3982551

18. Mai 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang