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REPRESSION/1623: Flucht - Tendenz Lager ... (SB)



Für die nächsten Monate ist das Wichtigste Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung. Was wir nicht mitmachen, ist irgendeine Form von Lager.
Angela Merkel Anfang Februar 2017 im Unionsfraktionsvorstand [1]

Wollte man von Kernkompetenzen deutscher Staatsräson sprechen, so wären insbesondere Verwaltung und Logistik nicht zuletzt beim Sortieren und Aussortieren, Einschließen und Zurichten von Menschen zu nennen. Dazu gehört zwangsläufig auch die Lagerhaltung. Diese wiederum darf aufgrund der deutschen Geschichte (noch) nicht als solche bezeichnet werden, um nicht Widerstand auf den Plan zu rufen, bevor das Akzeptanzmanagement Zug um Zug den Boden bereitet hat. Man spricht beispielsweise von Ankerzentren, was die Kanzlerin im eingangs zitierten Spagat von Bestätigung und Dementi gängig macht. In einer Generaldebatte im Bundestag vom Mai 2018 bezeichnete Merkel die geplanten Zentren als sinnvoll und praxisorientiert, wie sie auch die Einhaltung des Koalitionsvertrags anmahnte. [2] Als Pilotprojekt sollen die Ankerzentren der Errichtung von Lagern in Deutschland zur Durchsetzung verhelfen, wobei die repressive Innenpolitik bei einer Bevölkerungsgruppe wie den geflohenen Menschen ansetzt, die sich leichter als andere bezichtigen, ausgrenzen und sanktionieren läßt. Das ist jedoch nur der Anfang. Gelingt es nicht, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, werden weitere Lager zur Verwahrung sogenannter überflüssiger, delinquenter oder widerständiger Personenkreise als Mittel der Wahl folgen, wenn es größere Mengen an Menschen ohne Gerichtsurteil einzusperren gilt.

Bislang folgt die Bundesregierung vor allem der Maxime, die Lager in die europäische Peripherie oder noch besser nach Afrika und in den Nahen Osten auszulagern. So wurde Griechenland nach der Schließung der Balkanroute im Rahmen des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei dazu verpflichtet, alle eingereisten Flüchtlinge im Land unterzubringen, bis ihre Asylansprüche geklärt sind. Die Flüchtlinge auf den Inseln sollen im Prinzip in die Türkei zurückgeführt werden, die EU-Staaten wollten Griechenland Zehntausende Flüchtlinge abnehmen, und es wurde genügend Personal zugesagt, um die Asylanträge zügig zu bearbeiten. Die Realität sieht anders aus. Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge ist in andere EU-Staaten weitergereist, noch weniger wurden in die Türkei gebracht, mangels Personals kommt die Bearbeitung der Asylanträge kaum voran. Die Kapazität der sogenannten Hotspots auf den Inseln reicht bei weitem nicht aus, so daß die Lager mehrfach überbelegt sind.

Die Lage der Flüchtlinge auf den Inseln ist lebensgefährlich, entwürdigend und verzweifelt. Daß das seit Jahren krisengeschüttelte Griechenland diese Probleme unmöglich aus eigenen Kräften zu lösen imstande ist, liegt auf der Hand. Wenngleich man die Frage aufwerfen kann, warum die Syriza-Regierung der Flüchtlingsvereinbarung mit der EU zugestimmt hat, wird die naheliegende Antwort doch von der gewaltigen Bürde der Unterwerfung unter das Regie der Gläubiger des Landes überschattet. Zugleich schreckt die EU nicht im mindesten davor zurück, Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschicken oder dort festhalten zu lassen, obgleich das Erdogan-Regime diktatorische Züge annimmt und die Repression unablässig verschärft.

Menschen in Lager zu stecken und in Lebensgefahr zu bringen ist kein Versagen der EU. Es ist nicht nur ein gebilligter Kollateralschaden, sondern gezielt eingesetzte Abschreckungs- und Abschottungspolitik, deren Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern sich mit administrativer Grausamkeit paart. Im Kontext des Abkommens zwischen der EU und der Türkei, mit dem die Westeuropäer die Flüchtlinge an dieser Flanke gewaltsam fernhalten, ist für Griechenland die Rolle einer Pufferzone vorgesehen, in der die zwangsläufigen Unwuchten des Systems ausschwingen und ausschlagen sollen - zu Lasten der Griechinnen und Griechen, die nichts zu sagen, sondern nur zu tragen haben, und um so mehr der Flüchtlinge.

In einem Lagebericht vom Januar 2017 hatten deutsche Diplomaten "KZ-ähnliche Zustände" mit allen erdenklichen Torturen bis hin zu regelmäßigen Erschießungen von Flüchtlingen in von Schlepperbanden betriebenen libyschen Lagern angeprangert. Seither haben zahlreiche Berichte verschiedener Hilfsorganisationen die extrem schlechten Bedingungen in verschiedenen Flüchtlingslagern bestätigt. Von Oxfam befragte Flüchtlinge, die in Sizilien angekommen waren, berichteten von Schreckensszenarien und menschenunwürdigen Bedingungen. Schmuggler, Menschenhändler, Milizen und kriminelle Banden sähen in den Migranten bares Geld, Folter, Gewalt, sexueller Mißbrauch und selbst Morde stünden in den Lagern auf der Tagesordnung. Insofern die Europäische Union darauf setzt, daß Menschen Libyen nicht verlassen können, ist sie unmittelbar dafür verantwortlich, daß Männer, Frauen und Kinder mißbraucht, ausgebeutet und umgebracht werden.

Laut der Genfer Flüchtlingskonvention darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in Gebiete zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit bedroht werden. Nähmen die Regierungen der EU das humanitäre Völkerrecht ernst, dürften angesichts der weithin bekannten Zustände in den libyschen Lagern keine Menschen dorthin gebracht werden. Dabei stehen führende europäische Mächte in einer zweifachen Verantwortung, da sie mit dem Angriffskrieg gegen Libyen im Jahr 2011 maßgeblich dazu beigetragen haben, das Land zu verwüsten und einander bekämpfenden Fraktionen zu überantworten. Die italienische Marine entsendet Kriegsschife in libysche Hoheitsgewässer, um die Küstenwache zu unterstützen. Dabei steht diese im Ruf, Menschen unter Gewalt und Folter festzuhalten und zur Zwangsarbeit zu zwingen oder sie solchen Verhältnissen auszuliefern.

Der allenthalben ins Feld geführte Vorwand, man wolle den Menschenhändlern im Mittelmeer und in Nordafrika das Handwerk legen, fällt auf fatale Weise auf die Regierungen der EU zurück. Der Menschenhandel in allen erdenklichen Formen ist zu einem maßgeblichen Gewerbe im kriegszerstörten Libyen geworden. Dessen ungeachtet bringt die von der EU ausgebildete und ausgerüstete libysche Küstenwache zahlreiche Menschen aus den Hoheitsgewässern zurück ins Land, und die italienische Marine baut mit Schiffen und Flugzeugen dieses Abfangnetz massiv aus, wie auch die Küstenwache mit technischen und logistischen Hilfsmitteln unterstützt wird.

Berüchtigt ist auch die australische Flüchtlingsabwehr, die geflohene Menschen aus Sri Lanka, Afghanistan oder dem Mittleren Osten, die das Land erreichen wollen und dabei abgegriffen werden, in Auffanglagern auf mehreren pazifischen Inseln interniert. Niemand aus diesen Lagern darf je australischen Boden betreten, selbst anerkannte Asylbewerber werden in Drittländern angesiedelt. Die UNO wirf Australien seit Jahren vor, in den Lagern in Nauru und auf der Insel Manus, die zu Papua-Neuguinea gehört, gegen die Antifolterkonvention zu verstoßen. Sie fordert eine Schließung der Camps, die Rede ist von einem Freiluftgefängnis und von Folter. Veröffentlichte Berichte, in denen Mitarbeiter des Flüchtlingslagers auf Nauru die skandalösen Zustände beschreiben, dokumentieren sexuellen Mißbrauch und Gewalt gegen Kinder, Vergewaltigungen von Frauen, Selbstmorde und desolate hygienische Zustände. Der UNO-Berichterstatter für die Menschenrechte von Migranten, Francois Crépeau, bezeichnete die Abfertigung der Asylsuchenden als grausam, inhuman und menschenunwürdig. Minderjährige Flüchtlinge wiesen Symptome von posttraumatischer Belastungsstörung, Angstzuständen und Depression auf. Kinder litten an Schlafstörungen und Alpträumen. Australien sei verantwortlich für die Schäden, die diese Menschen durch die ungewollte Gefangenschaft erleiden. Es sei ein fundamentales Prinzip der Menschenrechte, daß eine Person nicht bestraft werden darf, um andere abzuschrecken.

Auch in den USA hat die Errichtung von Lagern längst das Stadium konkreter Umsetzung erreicht. Präsident Trump hat das Militär angewiesen, ein Netzwerk von Lagern für die Unterbringung verhafteter Migrantinnen und Migranten zu errichten. Er spricht von großen Zeltstädten, in denen man die Eindringlinge festhalten werde. Das Ingenieurcorps der Armee habe erstklassige Arbeit geleistet, da riesige Einrichtungen erforderlich seien. Trump bezeichnet die Zuwanderung als "Invasion" und weist die Einwanderungsbehörden an, alle beim Grenzübertritt verhafteten Immigranten auf unbestimmte Zeit in Haft zu halten, während sie bislang für die Dauer ihrer Verfahren freigelassen wurden. Der US-Präsident will zudem das Recht aller auf amerikanischem Boden geborenen Kinder auf die amerikanische Staatsbürgerschaft abschaffen und 15.000 Soldaten an die Grenze zu Mexiko entsenden. Sollten Teilnehmer der Flüchtlingskarawane die Soldaten mit Steinen bewerfen, werde man dies als Schußwaffe einstufen und entsprechend reagieren. [3]

Diesen Schlaglichtern ließen sich zahlreiche weitere Beispiele hinzufügen. Im Kontext des Generalangriffs auf Flüchtlinge, den die westlichen Staaten führen, um sich die Folgen ihrer ökonomischen und militärischen Expansion und Aggression vom Leib zu halten, nimmt die Errichtung von Lagern den Rang einer zentralen Komponente ein. Das gilt auch für Deutschland, von dessen Boden nicht nur längst wieder Krieg ausgeht, sondern ebenso die Handlungsmaxime, Menschen in Lager zu sperren. Die angesichts der finsteren deutschen Historie vielbemühte Aufforderung, aus der Geschichte zu lernen, lassen sich die Sachwalter administrativer Verfügung über Menschenleben nicht zweimal sagen.


Fußnoten:

[1] http://www.shz.de/deutschland-welt/politik/de-maiziere-fordert-gemeinsame-kraftanstrengung-bei-abschiebungen-id16061786.html

[2] www.sueddeutsche.de/politik/bundeslaender-viel-gegenwind-fuer-seehofers-geplante-asylzentren-1.3982551

[3] www.wsws.org/de/articles/2018/11/03/immi-n03.html

5. November 2018


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