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REPRESSION/1639: Sexueller Mißbrauch - für Ordensfrauen extrem perfide ... (SB)



Da es sich bei der Pädophilie in der katholischen Kirche um ein allgegenwärtiges Geschehen zu handeln scheint, kann kaum noch von einem Skandal gesprochen werden. Kinder und Jugendliche sind den Verkündern als wahr und heilig verklärter Worte aufgrund der quasi gottgleichen Position männlicher erwachsener Priester praktisch ohnmächtig ausgeliefert. Die an ihnen verübte sexuelle Gewalt, als die auch eine im Namen des Herrn vorgenommene Verführung zu werten ist, zieht sich wie ein roter Faden kochenden Blutes durch die vom pulsierenden Lebenssaft als Sakrament der leibhaftigen Gegenwart Jesu durchdrungene Religion. Skandalös kann eine solche in Fleisch und Blut des Klerus aufgegangene Praxis auch deshalb kaum sein, da sie durch die geistliche Ökonomie von Schuld und Vergebung auf eine Weise kompensierbar gemacht wurde, die sie eher aufrechterhält als beendet. Allein die hartnäckige Leugnung im Werturteil christlicher Moral sündhaften wie strafrechtlich kriminellen Verhaltens eignet sich zum Skandal, doch der heilige Schein ist seit einigen Jahren vollends der brutalen Wirklichkeit des Gebrauches priesterlicher Autorität zu ganz eigennützigen Zwecken gewichen.

Die darum entbrannte Aufregung scheint, wie die Resistenz der Institution gegen umfassende Reformen zeigt, letztlich darin zu bestehen, die Kirche unbeschadet all ihrer schwärenden Wunden zugunsten der Ausübung ihrer zentralen Aufgabe, der Sicherung etablierter Klassenverhältnisse, funktionsfähig zu halten. Bemessen am Grad der Erregung, mit der die Aufarbeitung der in der Römischen Kirche endemischen Pädophilie betrieben wird, ist die sexuelle Ausbeutung in Obhut der Kirche lebender Ordensfrauen ein nicht minder großer Skandal. Spätestens als im März 2001 ein Artikel in der New York Times [1] über fünf Berichte erschien, die zahlreiche Fallbeispiele für den sexuellen Mißbrauch von Nonnen enthielten, hätte hinreichend Anlaß bestanden, das Problem außerhalb der Kirche aufzugreifen und den Heiligen Stuhl zu einer Stellungnahme zu bewegen, die nicht aus bloßen Ausflüchten bestand. Ein solches Manöver der Schadensbegrenzung fuhr der langjährige Sprecher von Papst Johannes Paul II. in Reaktion auf einen Bericht der US-amerikanischen Zeitung The National Catholic Reporter, der dem Artikel in der New York Times vorausging. Der dem Opus Dei, der rechtskonservativen Prätorianergarde Karol Wojtylas, angehörende Joaquín Navarro-Valls behauptete, daß es sich um ein lediglich in einem "begrenzten geographischen Gebiet" stattfindendes Problem handle.

Mit dieser Behauptung lieferte er ein Beispiel für christlich-fundamentalistischen Rassismus, wie er im Buche steht. Unausgesprochen bezog er sich auf im Vatikan kursierende Geschichten und Gerüchte über sexuelle Beziehungen zwischen Priestern und Ordensschwestern in afrikanischen Gemeinden. Drei Ordensfrauen hatten in den 1990er Jahren auf das große Ausmaß von Fällen aufmerksam gemacht, in denen Nonnen durch Priester dort sexuell mißbraucht wurden. Diese begründeten das unter anderem damit, daß sie sich ansonsten bei Prostituierten mit dem HIV-Virus anstecken könnten. In einem Fall seien 29 Ordensfrauen in Malawi von Priestern geschwängert worden. Als die Oberin sich darüber beim Bischof beschwerte, wurde sie abgesetzt. Während die Priester schlimmstenfalls ermahnt worden seien, habe man die schwangeren Ordensschwestern aus ihren Gemeinschaften verstoßen und mit dem schweren sozialen Makel, als unverheiratete Frau ein Kind auszutragen, alleingelassen. Wenn sie nicht zuvor zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen wurden, konnte es passieren, daß sie zur Rettung der Familienehre eine Ehe als Zweit- oder Drittfrauen eingehen mußten. Andere mußten sich prostituieren, um zu überleben, und in einem Fall starb eine Ordensfrau bei der Abtreibung. Der für ihre Schwangerschaft verantwortliche Priester durfte die Totenmesse halten [2].

Da laut der Berichte entsprechende Vorfälle in 23 Ländern stattfanden, darunter westliche Staaten wie Italien, Irland oder den USA, ist das Vorgehen des Sprechers vom Heiligen Stuhl, mit dem Schandfinger auf Afrika zu zeigen, vor allem dazu geeignet, dem Widerstand gegen die Ausbeutung des Kontinents durch den nicht zuletzt christlich fundierten Neokolonialismus Auftrieb zu geben. Gleiches könnte angesichts des männerbündischen Charakters der Glaubensgemeinschaften, die die ihnen angehörenden Frauen zum Teil systematisch sexuell mißbraucht und durch Arbeit ausgebeutet haben, für den feministischen Widerstand gegen das Patriarchat des Klerus gelten. Obwohl der Zusammenhang zwischen sexueller Unterwerfung und dem autoritären, Männer strukturell bevorzugenden Charakter dieser Orden und Gemeinschaften offen zutage liegt, wie unter anderem aus den Berichten der ehemaligen Ordensfrau und heutigen Autorin Doris Wagner hervorgeht, ist der Widerstand gegen die patriarchale Tradition der Kirche trotz dieser seit langem bekannten Vergehen in den eigenen Reihen äußerst schwach entwickelt.

Das hat nicht zuletzt damit zu tun, daß die Ordensfrauen üblicherweise einem Gehorsamsgelübde unterliegen, das offene Kritik praktisch unterbindet und eine mögliche Strafanzeige nach einer Vergewaltigung als Angriff auf die Kirche selbst erscheinen läßt. In der geistlichen Hierarchie der katholischen Kirche geht die religiöse Wahrheit von Gott - üblicherweise mit dem männlichen Geschlecht konnotiert - aus und wird von wiederum männlichen Priestern verkündet. Daß diese kein Interesse daran haben, die aus ihrer patriarchalen Vormachtstellung resultierenden Vorteile zu gefährden, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.

Dabei werfen die dokumentierten Mißbrauchsfälle Fragen auf, die nicht nur die christliche Sexualmoral, sondern auch die sogenannte Lebensschutzdoktrin der katholischen Kirche betreffen. So wurden schwangere Ordensfrauen von den Tätern oder den sie deckenden kirchlichen Funktionsträgern zur Abtreibung genötigt, obwohl die katholische Kernüberzeugung vom individuellen Menschsein der befruchteten Eizelle einen Schwangerschaftsabbruch in die Nähe eines Mordes rückt. Fundamentalistische ChristInnen der sogenannten Lebensschutzbewegung [3] ziehen gegen Feministinnen und AktivistInnen für Geschlechtergerechtigkeit unter dem Motto "1000 Kreuze für das Leben" in sogenannten Gebetszügen zu Felde und koppeln damit an eine sogenannten Pro-Life-Bewegung an, deren AktivistInnen in den USA nicht davor zurückschrecken, Frauen, die einen Abbruch vornehmen, massiv zu bedrohen oder zum Teil tödlich verlaufende Anschläge auf ÄrztInnen und Brandstiftungen an Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, zu begehen.


Feministische Gegenwehr und patriarchale Glaubensdoktrin

Am Abtreibungsverbot manifestiert sich ein von Männern ausgehender Anspruch auf die Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper, der mit der sexuellen Ausbeutung von Ordensfrauen in einer Rücksichtslosigkeit vollzogen wird, die die Betroffenen in ausweglose Situationen manövrieren kann. Einem Millionenpublikum plastisch vor Augen geführt wurde dies in der Arte-Koproduktion "Gottes missbrauchte Dienerinnen". Nach der Erstausstrahlung im März 2019 wurde der Film aufgrund einer einstweiligen Verfügung, die von einem darin des organisierten Mißbrauches bezichtigten Ordens erwirkt wurde, aus der Arte-Mediathek genommen und darf bis auf weiteres nicht gezeigt werden. Seine AutorInnen hatten auch auf den besonderen Schutz, den konservative Männerbünde unter Wojtyla wie seinem Nachfolger Ratzinger genossen und der sie in gewissem Ausmaß selbst bei Vorwürfen sexuellen Mißbrauches geschützt haben soll, hingewiesen.

Im Februar hat Papst Franziskus zu erkennen gegeben, daß es sich beim sexuellen Mißbrauch von Ordensfrauen um ein nicht ausgestandenes Problem handle, mit dem man sich künftig befassen wolle [4]. Angesichts des Ausmaßes der bislang dokumentierten Fälle und der mutmaßlichen Dunkelziffer unterdrückter Vorkommen wird dieses vorsichtige Zugeständnis dem Problem kaum gerecht. Wie immer geht es den Kirchenoberen in erster Linie um den Schutz der Institution, so daß es bei virulenten Konflikten dieser Art eher zu Rückzugsgefechten denn offensiven Aufklärungsmaßnahmen kommt. Kein Wunder, rührt der an Menschen, die sich aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sozialen Stellung als auch ihres Glaubens in einer Position großer Abhängigkeit und Ohnmacht befinden, vollzogene Zwang zum Erbringen sexueller Dienstleistungen an den Grundfesten eines Christentums, das sich angeblich dem Schutz der Schwachen und Verletzlichen verpflichtet hat.

Der Widerstand gegen die patriarchale Herrschaft in der Kirche, der sich gerade unter dem Emblem "Maria 2.0" formiert, könnte an den in vielen Jahrhunderten maskuliner Vorherrschaft tief ins Fundament der Kirche eingelassenen Strukturen christlicher Geschlechterhierarchie scheitern, wenn das Problem nicht an seiner Wurzel gefaßt und die patriarchale Grundorientierung des Christentums angegriffen wird. Dazu gehört das Abtreibungsverbot als Ausdruck männlicher Kontrolle über die Autonomie von Frauen nicht minder als alle anderen Fragen klerikaler Dominanz. Daß dies im Endeffekt zu einem Bruch mit der Katholischen Kirche führen könnte, liegt nahe. Christliche Ideale lassen sich jedoch außerhalb dieses mit Privilegien und Meriten aller Art ausgestatteten, historisch als Instrument weltlicher Herrschaft und kolonialistischer Eroberung korrumpierten Apparates vielleicht besser verwirklichen als in ihm. Die gesellschaftliche Bevorteilung und staatliche Begünstigung der organisierten Religion werden schließlich nicht umsonst gewährt.


Fußnoten:

[1] https://www.nytimes.com/2001/03/21/world/documents-allege-abuse-of-nuns-by-priests.html

[2] https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/143-2018/6-2018/nunstoo-sexueller-missbrauch-an-ordensfrauen-fakten-und-fragen/

[3] REZENSION/693: Kulturkampf und Gewissen - Medizinethische Strategien der "Lebensschutz"-Bewegung (SB)
http://schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar693.html

[4] https://www.domradio.de/themen/vatikan/2019-02-06/es-wird-immer-noch-getan-papst-will-gegen-missbrauch-von-ordensfrauen-vorgehen

14. Mai 2019


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