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REPRESSION/1640: Schwangerschaftsabbruch - für Haus, den Herd und als Gebärmaschine ... (SB)



Als Dakota-Lakota-Frau, die die Kultur und Spiritualität meiner Vorfahren praktiziert, haben mich die Nachrichten aus Georgia und Alabama mehr als erschüttert. Männer haben keinerlei Befugnis, Frauen in ihren Angelegenheiten Vorschriften zu machen. Frauen müssen in der Lage sein, über ihre reproduktiven Fähigkeiten zu verfügen. (...) Schon in vorkolonialer Zeit hatten unsere Leute Mittel und Wege zu verhüten und, ja, abzutreiben. Wir hielten auch Zeremonien ab, in denen die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau im Mittelpunkt stand. Heute sind die Vereinigten Staaten primitiver und rückwärtsgewandter als wir es jemals waren.
Die indigene Aktivistin, Journalistin und Autorin Ruth H. Hopkins [1]

Bis zu 99 Jahre Knast drohen ÄrztInnen, die in Alabama einen Schwangerschaftsabbruch vollziehen, seit Verabschiedung des härtesten Abtreibungsverbotsgesetzes der Vereinigten Staaten, und das ist nur der Anfang. Die Liste der US-Gliedstaaten, die drakonische Abtreibungsgesetze erlassen, wird immer länger. Kentucky, Mississippi und Ohio haben in diesem Jahr in ihrem Strafrecht verankert, daß ein Schwangerschaftsabbruch nach dem ersten nachweisbaren Herzschlag des Fötus, was nach sechs Wochen der Fall sein kann, illegal ist. In Texas sollen Abtreibungen mit Mord gleichgesetzt werden, was die Anwendung der Todesstrafe für die betroffenen Frauen möglich machen könnte. In Georgia läuft eine Frau, der bei einer Fehlgeburt nachgewiesen werden kann, diese willkürlich herbeigeführt zu haben, Gefahr, für 30 Jahre ins Gefängnis zu wandern. Verläßt sie den Staat, um einen Abbruch vorzunehmen, und kehrt dorthin zurück, drohen immer noch bis zu 10 Jahre Knast.

Ausgenommen vom Abtreibungsverbot in Alabama sind nur Frauen in akut lebensbedrohlichen Situationen. Ist die ungewollte Schwangerschaft Ergebnis einer Vergewaltigung, muß das Kind dennoch ausgetragen werden, ansonsten könnte das Gesetz vor dem US Supreme Court anfechtbar sein. In Alabama gilt der Zeitpunkt der Empfängnis als Beginn des Lebens einer Person, so wie es christlich-fundamentalistische LebensschützerInnen seit jeher fordern. Deren neue Heldin, die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey, hat seit Amtsantritt im April 2017 die Vollstreckung von sechs Todesurteilen angeordnet. "Right to Life" - so das Motto der großen Bewegung US-amerikanischer AbtreibungsgegnerInnen - wird gefordert, wenn es ins Konzept missionarischen Glaubenseifers paßt, und verworfen, wo die christliche Moral ihre blutige Unterseite zeigt.

Hinsichtlich des Anteils an Frauen, die das Amt einer Senatorin oder Abgeordneten bekleiden, steht Alabama auf Platz 47 der US-Gliedstaaten. Bis auf Georgia stehen auch die anderen US-Gliedstaaten, die Schwangerschaftsabbrüche mit hohen Strafen belegt haben, auf dieser Rangliste weit hinten. Während die Bewegung für das Recht auf Abtreibung von Frauen geprägt ist, die aus feministischen Gründen, aus persönlicher Betroffenheit oder zur Verhinderung der Todesfälle, zu denen es bei illegal vollzogenen Abbrüchen immer wieder kommt, für "Pro Choice", die freie Wahl der schwangeren Frau, eintreten, ist die "Pro Life"-Bewegung im eher maskulin dominierten Umfeld evangelikaler Erweckungsbewegungen angesiedelt.

Zu unterstellen, daß Frauen, die abtreiben, nicht für das Leben seien, wie die Gegenüberstellung von Pro Life und Pro Choice suggeriert, ist ebenso finsterer Propaganda geschuldet wie die Behauptung, das Verschmelzen von Samen- und Eizelle bringe ad hoc eigenständiges menschliches Leben hervor. Der Streit um diese Definitionen überlagert allerdings, daß es bei dem Versuch, das im Urteil Roe vs. Wade vom Obersten Gerichtshof in Washington 1973 attestierte Recht auf Abtreibung mit der konservativen Mehrheit im heutigen Supreme Court zu kippen, um die Kontrolle des weiblichen Körpers durch patriarchale Verfügungsgewalt geht.

Frauen in den USA sollen, wenn sie nicht gerade, wie von Trump vorgeführt, als schmückendes Beiwerk und sexuelles Spielzeug des Mannes dienen, auf die zuverlässige Erzeugung von Nachwuchs für Fabrik und Armee festgelegt werden. Unterstützt von einer patriarchalen Religion, an deren monotheistischer Spitze ein meist männlich konnotierter Gott steht, sollen Frauen auf einen nachrangigen Platz in der Gesellschaft verwiesen werden, wo sie nicht zuletzt für die Wachstums- und Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten kostenlose Sorgearbeit in der Familie zu verrichten haben.

Dennoch ist der Kampf um das Recht auf Abtreibung in den USA weniger ein Glaubenskampf als eine Auseinandersetzung um soziale Rechte und die Autonomie der Frau. Je mehr sich Frauen unterwerfen, desto widerstandsloser lassen sie sich zu unbezahlter Arbeit nötigen oder auf andere Weise für Kapitalismus und Krieg einspannen. In den Vereinigten Staaten kommt hinzu, daß nichtweiße Frauen zu den sozial prekärsten Gruppen der Bevölkerung gehören. Das gilt vor allem, wenn sie die Bürde einer alleinerziehenden Mutter auf sich nehmen müssen.

Der evangelikalen Rechten, die wie ein Mann hinter US-Präsident Trump steht, geht es nicht um das Lebensrecht der Kinder. Dieses wird lediglich für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert. So werden die sozialen Bedingungen für Mütter und Kinder in Not nicht verbessert, wie es vermeintliche Christenpflicht wäre, sondern durch Sozialkürzungen großen Stiles drastisch verschlechtert. Zudem hat die US-Umweltbehörde gerade die Mittel für Studien gestrichen, mit denen der Zusammenhang von Umweltgefahren und der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen erforscht wird. Das könnte Unternehmen, die die Umwelt mit Chemiegiften, die Nahrung mit Hormonen oder die Luft mit Feinstäuben vergiften, möglicherweise Geld kosten, daher will man es lieber nicht so genau wissen [2].

Im Kern geht die Durchsetzung des Abtreibungsverbotes auf die Dominanz weißer Männer zurück, die sich des christlichen Glaubens bedienen, um ihre Herrschaft über Frauen moralisch auf eine Weise aufzuladen, die diese dazu nötigt, sich patriarchaler Definitionsmacht gegenüber rechtfertigen zu müssen. Unterstrichen wird dies durch die geographische Konzentration der Verabschiedung restriktiver Abtreibungsgesetze im Süden der USA. Wurde das Vorrecht, sich die Arbeit und die Körper schwarzer Menschen anzueignen, dort am längsten und vehementesten verteidigt, führt man 150 Jahre nach dem Bürgerkrieg um das Verbot der Sklaverei nun die Offensive gegen die Selbstbestimmung der Frau an und zementiert damit ein nicht minder archaisches Recht auf Erniedrigung, Unterwerfung und Ausbeutung.


Fußnoten:

[1] https://twitter.com/RuthHHopkins/status/1128660281138327553

[2] https://www.nature.com/articles/d41586-019-01491-1?fbclid=IwAR1xJfMhIzWRmUkK_mjJdRXfy_Y3K0KXipH7VnJfN9amX6QroEcV9sKYpVg

20. Mai 2019


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