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REPRESSION/1643: Abschiebegesetz - menschenfeindlich ... (SB)



Sollte dieses Gesetz in Kraft treten, werden Zehntausende in Deutschland permanent in Angst vor Haft und vor Abschiebung in einem Zustand der Perspektivlosigkeit leben.
Aus dem offenen Brief gegen das geplante Abschiebegesetz [1]

Daß Horst Seehofer in der Regierungsmannschaft immer noch nicht ausgewechselt worden ist und daher weiter auf Rechtsaußen spielen darf, scheint angesichts der verheerenden Turbulenzen in den Reihen der beiden ehemaligen Volksparteien nahezu in Vergessenheit geraten zu sein. Vielleicht hat er sich mit seiner Ankündigung, er werde bald selber das Handtuch werfen, so weit aus der Schußlinie tagespolitischer Anwürfe gebracht, daß man den Bundesinnenminister bereits für eine bloße Fußnote unrühmlicher deutscher Geschichte hält. Er hat jedoch dem Parlament als Abschiedsgeschenk oder Vermächtnis ein Kuckucksei ins Nest gelegt, das besser nicht ausgebrütet werden sollte. Dem Ansinnen Seehofers mit einer Mehrheit im Bundestag einen Riegel vorzuschieben, wäre schon deshalb geboten, um den verhängnisvollen Marsch nach rechts endlich auszubremsen, der nur zur Stärkung jener Kräfte führen kann, die dort längst ihr Unwesen treiben. Es steht jedoch zu befürchten, daß der ministerielle Griff in die Werkzeugkiste repressiven Umbaus der Gesellschaft keineswegs an seine Person gebunden, sondern Ausdruck weitreichender administrativer Zwangsentwürfe ist, die nun mit den Stimmen der Koalition durchgewunken zu werden drohen.

Mitte Mai debattierte der Bundestag in Erster Lesung darüber, heute fand im Innenausschuß eine öffentliche Anhörung zum Entwurf des "Geordnete-Rückkehr-Gesetzes" statt, mit dem Horst Seehofer das Abschieberecht massiv verschärfen will. Nach den Plänen des Bundesinnenministers soll auf diesem Wege die Ausreisepflicht von abgelehnten Asylbewerbern konsequenter durchgesetzt werden, wofür die Verletzung verfassungsrechtlicher Grenzen und europaweit geltender Menschenrechtsstandards in Kauf genommen wird. Dagegen hat sich ein Bündnis von 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen gebildet, das die Abgeordneten des Bundestags in einem offenen Brief auffordert, dieses Gesetz nicht zu verabschieden. Es würde viele Flüchtlinge "dauerhaft von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgrenzen, sie unverhältnismäßigen Sanktionen und einer uferlosen Ausweitung der Haftgründe aussetzen", heißt es darin.

"Sollte dieses Gesetz in Kraft treten, werden Zehntausende in Deutschland permanent in Angst vor Haft und vor Abschiebung in einem Zustand der Perspektivlosigkeit leben", warnen Organisationen wie die Diakonie, Amnesty International, Pro Asyl, das Deutsche Kinderhilfswerk und der Paritätische Gesamtverband. Auch ein Migrationsexperte der mitregierenden SPD kritisiert die Pläne des Innenministeriums: "Wir teilen als Expertengremium der SPD die Kritik der Verbände", so der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, Aziz Bozkurt. Das Vorhaben sei verfassungsrechtlich höchst bedenklich und menschenunwürdig: "Die Schweinereien in diesem Gesetz sind nah am Niveau des sogenannten Asylkompromisses von 1992, wo sich die SPD auch hat von Rechten treiben lassen. Das darf sich nicht wiederholen." Aufgabe der Sozialdemokratie sei "das Bekämpfen der menschenfeindlichen Politik der Rechten und nicht das Kopieren dessen", unterstreicht Bozkurt.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarates hat Teile des Gesetzes gerügt. Sie sehe es mit Besorgnis, daß Informationen über Abschiebungen künftig als "Staatsgeheimnisse" eingestuft werden könnten, erklärte Dunja Mijatovic in einem Brief an die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU). Die aktuelle Formulierung des Gesetzentwurfs habe das Potential, Tätigkeiten von Nichtregierungs- und zivilen Organisationen zu kriminalisieren. Ihnen könnte nach Einschätzung von Mijatovic eine rechtliche Verfolgung wegen Beihilfe drohen, sollten sie etwa Details wie den Zeitpunkt einer geplanten Rückführung weitergeben. [2]

Was sieht Seehofers Gesetzentwurf im einzelnen vor? In Deutschland gelten 240.000 Menschen als ausreisepflichtig, sie haben also keinen Status, der ihnen ein Bleiben erlaubt. 184.000 davon sind geduldet, meist weil Papiere fehlen, die für eine Abschiebung notwendig sind. Das soll geändert werden, indem Ausländer künftig bei der Beschaffung der Papiere verstärkt mithelfen müssen, wozu sie notfalls in Haft genommen werden können. Bislang bekommen ausreisepflichtige Ausländer, die keine Papiere haben, automatisch eine Duldung. Sind sie aus Sicht der Behörden jedoch selbst schuld daran, indem sie etwa bei der Beschaffung eines Passes nicht mitwirken, sollen sie künftig einen Sonderstatus erhalten, nämlich die "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität". Damit ist eine Wohnsitzauflage und ein Beschäftigungsverbot verbunden. Das hat vor allem auch für langjährig Geduldete Folgen, die bislang unter bestimmten Voraussetzungen nach acht Jahren Aufenthalt ein Bleiberecht in Deutschland bekommen können: Die Zeit im Status der Sonderduldung, von Flüchtlingsorganisationen als "Duldung light" kritisiert, soll bei dieser Regelung nicht angerechnet werden können. Die Betroffenen hätten also keine Chance, in einen legalen Status hineinzuwachsen.

Um Ausländer zur Mitwirkung bei der Paßbeschaffung zu zwingen, wird eine neue Haftform eingeführt: die Mitwirkungshaft. Für maximal 14 Tage könnten damit Menschen, die Botschaftstermine in der Vergangenheit nicht wahrgenommen haben, zu einer Anhörung in der Vertretung ihres Heimatlandes gezwungen werden. Ausgenommen sind Menschen im Asylverfahren und Asylberechtigte, denen der Kontakt zum Staat, in dem ihnen Verfolgung droht, nicht zugemutet werden soll. Insgesamt sieht der Gesetzentwurf eine Absenkung der Hürden für die Haft vor. So soll eine Änderung der Voraussetzungen für eine angenommene Fluchtgefahr dafür sorgen, daß die Haft leichter durchgesetzt werden kann. Zudem sollen Asylbewerber, für deren Verfahren ein anderer EU-Staat zuständig ist, leichter inhaftiert werden können.

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2014 müssen Abschiebehäftlinge getrennt von regulären Strafgefangenen untergebracht werden. Weil es in den Ländern jedoch an Plätzen in der Abschiebehaft mangelt, sieht das Gesetz eine dreijährige Aussetzung dieses Trennungsgebotes vor. Der Gesetzentwurf beinhaltet nun eine Erhöhung der Zahl von bundesweit derzeit 487 Abschiebehaftplätzen auf maximal 1000, was mit einer "außergewöhnlichen Situation" durch die seit 2015 gestiegene Zahl der Asylbewerber begründet wird. Im offenen Brief werden grundsätzliche rechtliche Bedenken geltend gemacht: Abschiebehaft sei keine Strafhaft und dürfe deshalb nur in getrennten Einrichtungen erfolgen. Daß zusätzlich 500 Abschiebehaftplätze in normalen Gefängnissen geschaffen werden sollen, widerspreche den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs, der eine Trennung vorschreibe.

Rund 25.600 Abschiebungen im Jahr 2018 standen fast 31.000 gescheiterte Abschiebeversuche gegenüber. In der überwiegenden Zahl der Fälle hat die Polizei die Menschen nicht angetroffen, weil diese vielleicht vom Termin erfahren hatten. Seehofer will gesetzlich klarstellen lassen, daß Angaben zu Termin und Ablauf von Abschiebungen Dienstgeheimnisse sind, bei deren Weitergabe sich Amtsträger strafbar machen. Damit wird die Beihilfe und Anstiftung ebenfalls strafbar, was Flüchtlingsorganisationen treffen könnte, die Behördenmitarbeiter um die Herausgabe der Termine bitten.

Und nicht zuletzt sollen Flüchtlinge, die nicht an der Feststellung ihrer Identität mitwirken, künftig weniger Sozialleistungen erhalten. Der Entwurf sieht eine komplette Streichung der Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Flüchtlinge vor, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist. Sie sollen nur noch Überbrückungsleistungen für einen Zeitraum von zwei Wochen erhalten. Die Kürzung von Sozialleistungen träfe demnach auch Flüchtlinge, die noch im Gerichtsverfahren stecken oder bei denen unklar ist, ob ihnen etwa in Italien oder Bulgarien menschenunwürdige Bedingungen drohen. [3]

Massive Kritik von unerwarteter Seite an dem Gesetzentwurf, er ziele auf Ausgrenzung ab und verletze Grund- und Menschenrechte, übt selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die mit 190.000 Mitgliedern größte der Polizeigewerkschaften warnt insbesondere vor einem Anstieg der Kriminalität. Wie bereits erwähnt, sollen Seehofers Entwurf zufolge Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat Schutz erhalten haben, sich aber trotzdem in Deutschland aufhalten, hier nach zwei Wochen gar keine staatliche Hilfe erhalten, auch nicht das Geld, das sonst zur Sicherung des Existenzminimums vorgeschrieben ist. Damit will die Regierung die Betroffenen zur Ausreise zwingen. Sollten sie trotzdem bleiben, so erwartet die GdP, werde die Regelung "unweigerlich zur Steigerung der Kriminalität" führen, und zwar "zur Sicherung des Lebensunterhalts".

Zudem kritisiert die GdP, daß aus staatlicher Sicht künftig die Abschiebung eines Straftäters wichtiger als dessen Strafverfolgung in Deutschland sein soll. Dies widerspreche nicht nur dem Interesse der Öffentlichkeit an einer Ahndung der Taten, es laufe auch dem der Opfer zuwider. Den Opfern von Körperverletzung, Diebstahl oder Betrug werde jede Möglichkeit genommen, "Sühne für das Erlittene zu erlangen". Ein Täter-Opfer-Ausgleich erübrige sich ebenso wie eine Nebenklage, wenn der Täter erst einmal abgeschoben sei.

Die Polizeigewerkschaft spricht sich zudem dagegen aus, Flüchtlinge schon dann zu sanktionieren, wenn nur der Verdacht einer schweren Straftat besteht. Dies ist bei subsidiär Schutzberechtigten, also etwa Kriegsflüchtlingen, vorgesehen: Bei ihnen soll kein rechtskräftiges Urteil abgewartet werden. Sie sollen bereits bei Annahme einer schweren Straftat ausgewiesen werden dürfen. Dies widerspreche dem Prinzip der Unschuldsvermutung und dem Anspruch auf einen Richter, kritisiert die GdP. [4]

Wenngleich man die Prioritäten der Polizeigewerkschaft hinsichtlich der Strafverfolgung nicht teilen muß, zeugt deren klare Positionierung gegen den Gesetzentwurf doch von einem massiven Unbehagen weit über den Kreis der Organisationen hinaus, die sich der Unterstützung von Flüchtlingen verschrieben haben. Der Abbau von Grund- und Menschenrechten beginnt häufig bei asylsuchenden Personen, die als schwächste Bevölkerungsgruppe solchen Angriffen am schutzlosesten ausgeliefert sind, endet aber nicht bei ihnen. Einmal in Gang gesetzt, dreht sich das Rad der Repression immer schneller. Ob es tatsächlich so unaufhaltsam ist, wie seine wachsende Wucht nahelegt, stellt sich indessen erst dann heraus, wenn ihm ein Knüppel zwischen die Speichen gehalten wird.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/inland/kritik-abschiebegesetz-101.html

[2] www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-offener-brief-kritisiert-geplantes-abschiebegesetz-a-1270046.html

[3] www.tagesschau.de/inland/hintergrund-geordnete-rueckkehr-101~_origin-a47cf6d8-368a-47ce-baaf-c49d4c98ccf9.html

[4] www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-22-organisationen-gegen-seehofer-1.4469930

3. Juni 2019


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