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REPRESSION/1702: Demokratisch legalisierte Spionage - ein Treppenwitz ... (SB)



Niemand hat ein größeres Interesse daran, auf rechtlich sicherem Grunde zu handeln, als der BND selbst.
Bruno Kahl (Präsident des Bundesnachrichtendienstes) [1]

Daß Deutschland nach dem Inlandsgeheimdienst nun auch den Auslandsgeheimdienst weißwaschen muß, ist aus Perspektive der Staatsräson ein lästiges, doch im Ertrag nicht hoch genug einzuschätzendes Manöver. Sowohl im Falle des Verfassungsschutzes als auch des Bundesnachrichtendienstes zeichnet sich schon jetzt als breiter gesellschaftlicher Konsens ab, daß dieser Nachrichtendienst unverzichtbar und überdies auf eine Weise reformierbar sei, die sein Handeln in Einklang mit Menschen- und Bürgerrechten bringt. Daß der ohnehin spärlich und eher halbherzig vorgetragene Ruf nach einer Abschaffung des Geheimdienstes auf fruchtbaren Boden fallen würde, war staatlicherseits kaum zu befürchten. Allerdings hatte die skandalisierte Aufdeckung geheimdienstlicher Machenschaften schon ein Ausmaß angenommen, welches das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Verfassungsschutz und BND zumindest in ein instinktives Mißtrauen umschlagen ließ, das sich hier wie an anderer Stelle zum Treibstoff hervorbrechenden Protests auswachsen könnte.

Im Kontext der über Jahre Zug um Zug ausgebauten präventiven Instrumente, die den Sicherheitsstaat aufrüsten, die angesichts eskalierender krisenhafter Entwicklungen nicht auszuschließende Revolte im Keim zu ersticken, spielen auch an der präsentablen Oberfläche geläuterte Geheimdienste eine maßgebliche Rolle. Die Bevölkerung soll in allen Staatsorganen nicht ein ihr gegenüberstehendes Gewaltmonopol, sondern eine Garantie ihrer Sicherheit erkennen, deren Maßnahmen notwendig und legitim sind. Wenn mehr denn je überwacht und ausspioniert wird, sollen zugleich die Schranken jeglicher Vorbehalte einer Partizipation an den Kontrollprozessen weichen, weil diese in besten Händen verortet werden.

Hinzu kommt in der Konkurrenz der Nationalstaaten und überstaatlichen Bündnisse das ideologische Pfund, mit dem der deutsche Vorherrschaftsanspruch wuchern will. Als Wohlstandsprotz, Exportkanone und Zuchtmeister weithin verhaßt, doch als vermeintliche Bremse bei Aufrüstung und Skrupellosigkeit im Hauen und Stechen sträflich unterschätzt, läßt sich die Bundesrepublik auf dem Feld des Menschenrechtsimperialismus auch mittels reformierter Geheimdienste salonfähig machen. Lange schienen die deutschen Dienste unbedeutend, wenn nicht gar inkompetent zu sein, weil sie tunlichst unter dem Radar agierten. Diese Fehleinschätzung schlug in Empörung um, als ihre Umtriebe im In- und Ausland durch Enthüllungen publik wurden. Der Verfassungsschutz bekam eine neue Führung und mischt plötzlich die zuvor instrumentalisierte extreme Rechte auf, der BND ein neues Gesetz, das seine ans Licht gebrachten Praktiken kurzerhand legalisierte. Letzteres war mit allzu heißer Nadel gestrickt, wie das Bundesverfassungsgericht nun befand, das eine umfassende Nachjustierung verlangt. Ist auch das geschehen, kann Deutschland damit imponieren, zu allem Überfluß den saubersten Geheimdienst vorzuhalten, der dennoch höchst effektiv sein Werk verrichtet.

Dabei blendet die Reform des BND systematisch aus, daß die Ultima ratio des Geheimdienstes verlangt, alles zu kontrollieren, doch selber unkontrollierbar zu sein. Er dient weder einer konkreten Regierung noch dem Parlament, geschweige denn der Bevölkerung, verfolgt er doch den ausschließlichen Zweck, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse langfristig zu sichern. So schiebt das Grundgesetz zwar der Diktatur zugunsten der parlamentarischen Demokratie einen Riegel vor, definiert letztere jedoch insbesondere als Wahrung der Eigentumsverhältnisse einschließlich deren Verteidigung gegen jeden Versuch, sie im Sinne einer emanzipatorischen Gesellschaftsordnung umzuwälzen. Wenngleich die Dienste dem jeweiligen Nationalstaat als Sachwalter dieser Ordnung verpflichtet sind und seine Interessen befördern, opponieren sie im Zweifelsfall selbst gegen eine aus ihrer Sicht staatsgefährdende Exekutive. Und nicht zuletzt ist ihnen das systemerhaltende Hemd ihres Metiers näher als der Rock nationaler Partikularinteressen, weshalb sie traditionell und durchgängig mit ausländischen Diensten zusammenarbeiten.

Die aktuelle Kontroverse um den BND arbeitet sich mithin im Vorfeld der Problematik ab, da sie den Geheimdienst als solchen keineswegs infrage stellt, sondern lediglich um die Entfesselung seines Übergriffs oder eine engere Anbindung an die parlamentarische Kontrolle streitet. Daß letztere zwangsläufig an ihre Grenzen stößt, resultiert aus dem Wesenszweck des Dienstes, unbeobachteter Beobachter zu bleiben. Wenngleich zwar nicht unerheblich ist, vor welchem Gremium sich der BND zu verantworten hat, gibt es de facto keine Instanz, die vollständigen Einblick gewinnen könnte, sofern sie nicht selbst dem innersten Zirkel des Staatsschutzes angehört und dem Machterhalt aufs engste verpflichtet ist.

Edward Snowden sei Dank, der 2013 mit Hilfe internationaler Medien die Machenschaften der National Security Agency (NSA) enthüllte, ließ sich nicht allzu lange verheimlichen, daß der BND zusammen mit der NSA hemmungslos Freund und Feind ausspioniert. Im Oktober 2016 zog die Bundesregierung Konsequenzen aus dem sogenannten NSA-BND-Skandal und brachte eine weitreichende Reform auf den Weg, welche die Befugnisse des Geheimdienstes erheblich ausweitete, während die vorgebliche Kontrolle den parlamentarischen Gremien tendenziell entzogen und bei der Exekutive sowie dieser prinzipiell nahestehenden Rechtsinstanzen ansiedelt wurde. Im Grunde legalisierte das neue Gesetz die bekanntgewordenen Rechtsbrüche des BND. Erlaubt wurde Spionage gegen Institutionen oder Mitgliedstaaten der EU wie auch die Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten wie der NSA unter bestimmten Bedingungen. Während der BND bis dahin nur 20 Prozent des Datenverkehrs legal abgreifen durfte, konnte er nun ganze Telekommunikationsnetze überwachen und auf Infrastrukturen in Deutschland zugreifen. Überdies sollten erhobene Metadaten fortan für ein halbes Jahr gespeichert und mit Partnerdiensten ausgetauscht werden dürfen. Ausländer, die sich im Ausland aufhalten, durften weiterhin so gut wie unbeschränkt vom BND ausspioniert werden.

Mit dem neuen BND-Gesetz wurde das Ausspähen auch unter Freunden ganz offiziell erlaubt, wie etwa der ungehinderte Zugriff auf den Internetknoten De-Cix in Frankfurt zeigte. Aktuell durchsucht der BND bis zu 1,2 Billionen Internetverbindungen täglich automatisiert. Aus diesen Verbindungen soll durch Ausfiltern deutscher IP-Adressen die reine Auslandskommunikation destilliert werden, die über die deutschen Knoten läuft. Daß das anlaßlose Durchsuchen der Kommunikation deutscher Nutzer mit Grundrechten wie dem Fernmeldegeheimnis und der Pressefreiheit kollidiert, liegt auf der Hand. Das täglich etwa 24 Milliarden Rohdaten umfassende Auslandsdestillat wird anschließend mittels "Selektoren" ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Prozedur gehen auch an befreundete Geheimdienste anderer Länder. [2]

Gegen dieses Gesetz, das Anfang 2017 in Kraft trat, klagten sieben ausländische Journalisten, unterstützt von Reporter ohne Grenzen, der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und dem Deutschen Journalistenverband (DJV) vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie machten geltend, daß die Pressefreiheit und das Fernmeldegeheimnis keine bloßen Staatsbürgerrechte, sondern Rechte sind, die sich auch auf Ausländer im Ausland erstrecken. Dieser Auffassung stimmte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts nun zu, der das BND-Gesetz sowohl formal als auch inhaltlich für grundgesetzwidrig erklärte. Die bestehenden Regelungen gelten bis zum 31. Dezember 2021 weiter, doch dann muß das Gesetz überarbeitet sein.

Die Karlsruher Richter haben erstmals entschieden, daß der BND auch dann dem Grundgesetz unterliegt, wenn er im Ausland ausländische Staatsbürger überwacht. Deutsche Grundrechte wie die Pressefreiheit und das Fernmeldegeheimnis gelten auch für Ausländer im Ausland. Beim Abwägen der Rechtsgüter berücksichtigte das Gericht, daß das anlaßlose Durchsuchen dabei hilft, die Bundesregierung "mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen" zu versorgen, "sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten" und "folgenreiche Fehlentscheidungen" zu vermeiden. Andererseits sei das Instrument nicht nur "anlasslos gegenüber jedermann einsetzbar", sondern erlaube es in seiner aktuellen Ausgestaltung auch, "tief in den Alltag hinreichende, auch höchst private und spontane Kommunikationsvorgänge zu analysieren und zu erfassen sowie bei der Internetnutzung zum Ausdruck kommende Interessen, Wünsche und Vorlieben aufzuspüren".

Der Gesetzgeber müsse daher durch "Schutzvorkehrungen [für] Berufs- und Personengruppen, deren Kommunikation eine gesteigerte Vertraulichkeit verlangt" und durch weitere "einschränkende Maßgaben" dafür sorgen, daß das nicht über ein unbedingt notwendiges Maß hinaus geschieht. Darüber hinaus müsse die neue Rechtsgrundlage das Instrument "auf hinreichend bestimmte Zwecke begrenzen" und "durch diese kontrollfähig strukturieren".

Bei der Weitergabe von Daten an befreundete Geheimdienste sei die Mindestvoraussetzung "eine Vergewisserung über den rechtsstaatlichen Umgang mit den Daten auf Empfängerseite". Geben ausländische Dienste Suchbegriffe vor, müssen sie diese "plausibilisieren". Einen "Ringtausch", bei dem ausländische Dienste für in Deutschland abgefischte Daten "Erkenntnisse aus auf Deutschland bezogenen Überwachungsmaßnahmen" liefern, halten die Karlsruher Richter ebenso für grundgesetzwidrig wie eine "unselektierte" Weitergabe von Verbindungs- und Standortdaten. Und um sicherzustellen, daß sich der BND an solche Vorgaben hält, müsse er durch "institutionell eigenständige" Stellen, die "personell wie sachlich so auszustatten [sind], dass sie ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen können", intensiver kontrolliert werden.

Die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wurde weithin mit Freude kommentiert. Es sei ein "Sieg für die Pressefreiheit auf ganzer Linie", erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. "Wir freuen uns, dass Karlsruhe der ausufernden Überwachungspraxis des Bundesnachrichtendienstes im Ausland einen Riegel vorschiebt", sagte Christian Mihr, Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen. [3] Auch der Vorsitzende der GFF, Ulf Buermeyer, betrachtet das Ergebnis als großen Erfolg: Das Urteil setze "neue Standards im internationalen Menschenrechtsschutz und für die Freiheit der Presse. Dass deutsche Behörden auch im Ausland an die Grundrechte gebunden sind, stärkt die Menschenrechte weltweit erheblich - und auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt." [4]

Diese affirmativen Einschätzungen unterstreichen, mit welcher strategischen Weitsicht Karlsruhe eine hieb- und stichfeste Konstruktion geheimdienstlichen Wirkens angemahnt hat. Nie wieder soll eine Bundesregierung nach innen und außen in Erklärungsnöte geraten, wenn sie Freiheitsrechte im Munde führt, die zugleich von den heimischen Schlapphüten ad absurdum geführt werden. Die Kanzlerin hat es bereits Ende November 2016 zum 60. Geburtstag des BND auf den Punkt gebracht: "Deutschland kann sich nicht leisten, die Hände in den Schoß zu legen und auf die Anstrengungen anderer zu warten." Mit 60 Jahren sei der BND noch lange nicht ans Ende seiner Entwicklung gelangt. "Der Bundesnachrichtendienst kann stolz auf seine Arbeit sein und muss zugleich weiter empfänglich sein für eine ebenso kritische wie faire Begleitung seiner Tätigkeit." Kontrolle und Geheimhaltung seien zwei Seiten einer Medaille: "Geheimes muss geheim bleiben", so die Merkelsche Dialektik, andernfalls verlören die gewonnenen Erkenntnisse ihren Wert für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. [5]


Fußnoten:

[1] www.jungewelt.de/artikel/378638.anlasslose-massenüberwachung-bnd-gesetz-verletzt-grundrechte.html

[2] www.heise.de/tp/features/Fernmeldegeheimnis-und-Pressefreiheit-gelten-ohne-Grenzen-4724821.html

[3] www.deutschlandfunk.de/pressefreiheit-verfassungsbeschwerde-gegen-bnd-gesetz.2907.de.html

[4] www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article208073913/BND-muss-sich-weltweit-an-Grundrechte-halten.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1537.html

22. Mai 2020


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