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KULTUR/0769: "Webciety" ... im Netz fremdverfügter Interessen (SB)



Soziale Netzwerke sind schon so lange in aller Munde, daß es höchste Zeit für die nächste Brennstufe des IT-gestützten Spektakels ist. "Webciety" lautet das neue Buzz Word, das sich die PR-Experten haben einfallen lassen, um die diesjährige Computermesse CeBIT in Hannover mit einer aufmerksamkeitswirksam hervorstechenden Signatur zu versehen. Natürlich bedeutet das nicht, daß damit die Modernisierung konventioneller Geschäftsbereiche durch das Anhängsel "2.0", mit dem das Internet vom interaktiven Wissenspool zum multiaktiven Kommunikationsmedium hochgejubelt wird, gegenstandslos geworden wäre. Veranstaltungen auf der CeBIT zu den Themen "Tourismus 2.0", "Media 2.0", "Advertising 2.0", "Marken 2.0" "Politik 2.0" oder gar "Wein 2.0" zeugen davon, daß es keinen Lebens- und Arbeitsbereich gibt, der nicht mit Hilfe dieser Versionsbezeichnung einem zumindest terminologischen Innovationsschub ausgesetzt werden könnte.

Das aus Web und Society gebildete Kompositum "Webciety" thront seinerseits als Erweiterung des Namens der Veranstaltung "CeBIT.", ergänzt durch den Verweis "Internet Is Coming Home", als programmatischer Leitfaden über einer Industriemesse, die einem der wenigen verbliebenen Wirtschaftsbereiche mit Wachstumspotential gewidmet ist. Erklärt wird die Wortschöpfung auf der CeBIT-Seite als technologiegetriebener Paradigmenwechsel der Gesellschaft als Ganzes:

"Hinter dem neuen Wort steht die derzeit wichtigste technische Entwicklung: wie keine Technologie zuvor greift das Internet in alle Lebensbereiche ein, verändert die Spielregeln und verschiebt das Gefüge der Kräfte. Wirtschaft ist heute ohne das Netz ebenso wenig denkbar wie Bildung, Infrastruktur oder Administration. Die Netzgesellschaft ist fast 20 Jahre nach den erste grundlegenden Gedanken zum World Wide Web Realität. Und es steht jetzt vor einer weiteren Entwicklungsstufe."
(www.cebit.de)

Wie hochentwickelt und verselbständigt eine Technologie auch sein mag, ihre Interventionen wurden von Menschen geplant und dienen deren Interessen. "Das Internet" ist ebensowenig wie die von ihm angeblich gestiftete "Netzgesellschaft" etwas anderes als ein Mittel kapitalistischer Vergesellschaftung, das sich gerade durch die Entsorgung eines Gesellschaftsbegriffs auszeichnet, der die Vermittlung herrschaftlicher Ziele und Zwecke greifbar macht. Die informationstechnisch beschleunigte Funktionalität der propagierten Anwendungen der Kommunikation, des Lernens, des Wirtschaftens und der Unterhaltung betrifft Produktions- und Reproduktionsweisen, derer sich der Mensch auch zuvor bedient hat. Der nun unterstellte Mehrwert mündet bei genauerer Betrachtung in eine Verdichtung der Produktivität, die den einzelnen noch gründlicher als zuvor den Normen und Agenten seiner Verwertbarkeit und Verfügbarkeit unterwirft.

So hat sich der Mensch schon immer von einem Ort zum andern bewegt, nun ist er jedoch durch die Mobilität bislang stationärer Kommunikation- und Arbeitsmittel einer permanenten Erreichbarkeit ausgesetzt, die ihn zugleich rechenschaftspflichtig dafür macht, wenn er nicht mehr auf dem Radar seiner Vorgesetzten, Mitarbeiter, Verwandten oder Freunde auszumachen ist. Wer sein Leben nicht in einer kontinuierlichen Abfolge zweck- und nutzendefinierter Verrichtungen verbringen will, da er sich über den fremdbestimmten Charakter der dabei zu bewältigenden Anforderungen im Klaren ist, kann diese Abweichung von der verlangten Norm noch weniger als zuvor so organisieren, daß seine Dissidenz nicht unmittelbar sanktioniert wird.

Das gleiche gilt für das mit dem Slogan vom heimkehrenden Internet gemeinte "Internet der Dinge", also die Durchdringung nicht mehr nur der beruflichen Arbeitswelt, sondern auch der privaten Lebenswelt durch IT-Anwendungen aller Art. So praktisch diese mitunter sein mögen, so sehr verstärken prothetische Elemente wie der vielzitierte Eisschrank, der fehlende Lebensmittel eigenständig nachbestellt, das Musikprogrammm, das sich an der im Raum herrschenden Stimmung ausrichtet und diese zugunsten allseitiger Verträglichkeit aussteuert, oder das Überwachungsmodul, das Verhaltensabweichungen registriert und gegebenenfalls den Notarzt alarmiert, die habituelle Schienung einer ohnehin von Zwängen bedrückten und Ängsten belagerten Existenz. Anstatt diesen auf den Grund zu gehen und gegen ihre Urheber zu wenden, wird die Gesellschaft in eine datenelektronische Maschine verwandelt, über dessen ihr angeblich innewohnenden Geist man nur weiß, daß er seine eigenen Ziele hat.

Eine durch kybernetische Regelkreise organisierte Lebenswelt ist an Mittelwerten ausgerichtet, die ihrerseits formierende Wirkung entfalten, so daß der sogenannte Nutzer immer weniger darüber weiß, ob die solchermaßen eingespielten Verhaltensweisen seinem genuinen Interesse entspringen oder er ohnehin niemals über ein solches verfügt hat und daher benutzt wird. Die so ermöglichte Automatisierung ist keineswegs wertfrei, sondern reflektiert den Entzug selbstbestimmten Handelns in der Spezifizierung der Einschließung und Ausgrenzung, mit Hilfe derer die Gesellschaft herrschaftsförmig organisiert wird.

Was im Schaum marketingaffiner Begriffsbildung leichtfüßig und vielversprechend daherkommt, verlangt nach einem Preis, über dessen Höhe die Subjekte der Netzgesellschaft, die sogenannten Netizens, im Dunkeln gelassen werden. Dieser summiert sich weit über die finanziellen Kosten der apparativen Bemittelung hinaus auf die Atomisierung der Gesellschaft in Partikel einer informationstechnisch determinierten Verwertungsform, die dem einzelnen maximale Individualität suggeriert, um seine Bedingtheit durch konkrete Interessen in der Anonymität und Austauschbarkeit der ihm vorgeblich dienenden Apparaturen aufgehen zu lassen. Wo Netzgesellschaft draufsteht, ist vernetztes Leben im Sinne seiner möglichst unumkehrbaren Einwicklung und Umschnürung drin. Die Überantwortung der IT-Monaden an das Simulacrum der technischen Rationalität soll vor allem verhindern, daß der Mensch überhaupt einen Begriff davon entwickelt, in welch verzweifelter Lage er sich befindet, geschweige denn sich ermächtigt, daran etwas zu ändern.

26. Februar 2009