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KULTUR/0839: Verfassung vs. "Leitkultur" - Aygül Özkan verstößt gegen ungeschriebene Gesetze (SB)



Eine bessere Wahl als Aygül Özkan hätten die Unionschristen nicht treffen können, um Neuland bei der Besetzung politischer Spitzenämter zu erschließen. Mit der Ernennung der türkischstämmigen Juristin zur Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration in Hannover hat die CDU-Niedersachsen auf die sichere Karte einer Muslimin gesetzt, die ihre Religion hinter ihrem staatsbürgerlichen Selbstverständnis rangieren läßt. Eben das gereicht zum Eklat, hat Özkan das Gebot der Verfassungstreue noch vor Amtsantritt in die Forderung gemünzt, Klassenzimmer von religiösen Symbolen freizuhalten und weder Kruzifixe noch Kopftücher dort zu dulden. Sie bekräftigte damit den säkularen Charakter der Bundesrepublik und schloß sich dem Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1995 an, wozu es nicht einmal des Verweises auf die religiöse Konnotierung des Kopftuchs bei muslimischen Lehrerinnen bedurft hätte.

Im Unterschied zum Kruzifix, das im Auftrag der Schulbehörde, also einer staatlichen Institution, vor den Schülern an der Wand prangt und damit eindeutigen Signalcharakter für die Wertigkeit der im Unterricht vermittelten Inhalte besitzt, resultiert das Tragen eines Kopftuchs aus einer individuellen Entscheidung. Die angemessene Forderung in diesem Fall wäre, wenn man einem Kleidungsstück überhaupt religiösen Bekenntnischarakter zuweisen will, der Verzicht auf jegliches individuelle Merkmal religiöser Zugehörigkeit, also etwa auch das Tragen eines Kreuzes um den Hals, gewesen.

Zweifellos hat die CDU-Politikerin im Wissen um die latente Islamfeindlichkeit im Land versucht, sich vorsorglich von jedem Verdacht reinzuwaschen, ihr Eintreten für eine von religiöser Indoktrination freie Erziehung könne ein versteckte Form muslimischer Unterwanderung sein. Genützt hat es ihr nichts, wird ihr doch der Verstoß gegen eine angebliche Leitkultur, die auch für all diejenigen, die sich durch sie nicht vertreten fühlen, verbindlich sein soll, vorgeworfen. Selbst ein eher der SPD zuneigendes Blatt ermahnt Özkan, sie

"sollte schon mitbekommen haben, dass die Befürworter von Kreuzen in öffentlichen Räumen vor allem auf die sozio-kulturelle Symbolik abheben, weniger auf das streng religiöse Bekenntnis. Das Kreuz, so das Argument, kennzeichne eine durch christliche Werte geprägte Gesellschaft. Dies soll dann die Toleranz gegenüber anderen Religionen ausdrücklich einschließen."
(Frankfurter Rundschau, 27.04.2010)

Wenn dieser feine, im Zweifelsfall kaum bestimmbare Unterschied tatsächlich relevant wäre, dann wäre das Gebot der religiösen Ungebundenheit des Staates hinfällig. Der nicht ausschließlich glaubensbezogene, sondern auch gesellschaftspolitisch wirksame Charakter des Islam ist wesentlicher Ansatzpunkt für eine Polemik, der die Anhänger dieser Religion nichts als verkappte Jihadisten sind, die es auf die Unterwerfung der abendländisch-christlichen Kultur abgesehen hätten. Warum also eine durch staatliche Institutionen und Privilegien gestützte Orientierung am Christentum aufrechterhalten, wenn Millionen Menschen in diesem Land sich durch diese Religion nicht vertreten fühlen oder ihre Kirchen als illegitime Nutznießer der auch in der Bundesrepublik fortgeschriebenen Allianz von weltlicher und geistlicher Herrschaft kritisieren?

Die in Deutschland nicht vollständig vollzogene Trennung von Staat und Kirche ist eine ideologische Altlast von herrschaftsichernder Funktion, wie auch die am Beispiel der neuen Ministerin durchgesetzte ideologische Dominanz christlicher Werte belegt. Es gibt in diesem Land auch eine Geschichte von unten, eine Tradition der Auflehnung, die man theoretisch ebensogut zum Paradigma eines zivilgesellschaftlichen Bekenntnisses zu Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit erklären könnte. Vom Führer der Bauernkriege Thomas Müntzer, der nicht umsonst vom Reformator Martin Luther aufs heftigste bekämpft wurde, über die Novemberrevolutionäre bis zu den Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime und darüber hinaus spannt sich eine Verbindung des streitbaren Engagements, anhand dessen sich demokratische Tugenden vorbildlicher Art vermitteln lassen.

Aber nein, es muß das Christentum sein, deren geistliche Vertreter ein höchst ambivalentes Verhältnis zu dem Mann unterhalten, auf den sie sich als Erlöser berufen. Was immer Jesus von Nazareth an grundstürzendem Veränderungswillen an den Tag legte, dient ihnen gerade nicht als Vorbild. Seinen Priestern scheint es in erster Linie um Macht und Einfluß zu gehen, wie die an der ersten muslimischen Landesministerin geübte Kritik aus kirchennahen Kreisen zeigt. Der Kommentar einer Zeitung aus dem katholischen Würzburg dokumentiert, was für ein Minenfeld Özkan mit ihrem Regierungsamt betreten hat:

"Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle etwa hatte darauf gehofft, Özkan könne Brücken schlagen zwischen Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen religiösen Überzeugungen. Genau das wäre die Chance gewesen, die sich einer muslimischen CDU-Ministerin geboten hätte. Voraussetzung dafür ist aber, dass man den Glauben - den eigenen, wie den des anderen - wirklich ernst nimmt."
(Die Tagespost, 27.04.2010)

Hätte Özkan ihren Glauben so ernst genommen, wie es angeblich jene Muslime tun, denen vormoderner Fundamentalismus nachgesagt wird, hätte sie die Ablehnung dieses Kommentators ebenso zu spüren bekommen wie im Fall ihres Eintretens für den tatsächlich säkularen Staat. Die CDU-Politikerin kann nichts dafür, daß sie ihre Gegner mit jedem Schritt, den sie unternimmt, zur Kenntlichkeit entstellt. Diese verteidigen angestammte Machtpositionen mit einer Aggressivität, die zeigt, daß ihnen ein Glaube, der keiner weltlichen Instanz zur Bestätigung seiner Gültigkeit bedarf, sondern der seine Kraft aus der Immanenz seiner Ideale schöpft, so fremd ist, wie die "feste Burg" ihres Gottes als apologetisches Mittel zur Sicherung weltlicher Macht vertraut.

Nun, da die Ministerin zum Amtsantritt die Eidesformel "So wahr mir Gott helfe" ausgesprochen und dies damit begründet hat, daß sie sich als gläubige Muslimin "ausdrücklich auf den einen und einzigen Gott, der den drei monotheistischen Religionen gemeinsam ist", berufe, werfen ihr christliche Kleriker vor, den Unterschied zwischen Gott und Allah zu verwischen. Die von ihnen beanspruchte Deutungsmacht soll auch für die Vertreter eines Staates verbindlich sein, der als Gemeinwesen aller in ihm lebenden Menschen keinerlei Befugnis hat, individuelle Glaubensbekenntnisse zu maßregeln.

Doch es handelt sich bei den Problemen der Ministerin nur sehr bedingt um einen Konflikt religiöser Art. Umkämpft ist mit der von Özkan in Frage gestellten "Leitkultur" die Hegemonie einer gesellschaftlichen Funktionselite, die ihren Einfluß aus jenem Zivilisationsmodell ableitet, dessen Vorherrschaft auch in Afghanistan verteidigt wird. Das Christentum, auf das sich EU und USA historisch berufen, um im Ernstfall eine regelrechte Kreuzzugsmentalität an den Tag zu legen, ist alles andere als eine Religion, die für die Getretenen und Unterdrückten eintritt. Eine muslimische Ministerin vorzeigen zu können, um eine auf Anpassung an die sogenannte Leitkultur ausgerichtete Integrationspolitik zu legitimieren, ist eine Sache, Verfassungsgrundsätze - auf fast schon fundamentalistisch zu nennende Weise - ihrem immanenten Gehalt und nicht ihrer politischen Nützlichkeit gemäß auszulegen eine ganz andere.

28. April 2010