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KULTUR/0867: Entsetzen der Kultureliten über braune Flecken auf feinem Diplomatenzwirn (SB)



Das Entsetzen über die Beteiligung deutscher Diplomaten an der Vernichtung der europäischen Juden bedient sich eines Standesdünkels, mit dem seit jeher die Exkulpation großbürgerlicher und adliger Kollaborateure und Täter des NS-Regimes betrieben wurde. Obwohl man sich nicht zu schade war, als Steigbügelhalter des "böhmischen Gefreiten" die eigenen Interessen gegen die kommunistische Gefahr zu sichern, wurde später die Legende propagiert, vom Nazismus überrumpelt worden zu sein. Nichts hätte ferner gelegen, als sich mit dessen Horden handgemein gemacht oder gar die mörderischen Konsequenzen des NS-Regimes gewollt zu haben. Man kleidete sich in standesgemäßer Unschuld und pflegte das bürgerliche Ressentiment gegen den Büttel des Volkes, das jedem dahergelaufenen Führer nachläuft und Deutschland ins Verderben stößt, wenn dieser es nur versteht, dem kleinbürgerlichen Rassenhaß Nahrung zu verschaffen.

Der längst durch die große Anzahl von Adligen in den Reihen der SS oder die Kriegsverbrechen hochwohlgeborener Wehrmachtsgeneräle, durch die Kollaboration des großbürgerlichen Industriekapitals und der Kultureliten mit dem NS-Regime widerlegte Mythos dieser Unschuld wurde in den Kreisen der BRD-Diplomatie in besonderer Weise gepflegt. Schon vom Grundverständnis diplomatischen Handelns, lediglich vermittelnde Aufgaben ohne prinzipielle ideologische Positionierung zu erfüllen, her wähnte man sich auf der sicheren Seite jenseits blutig ausgefochtener Interessenpolitik. Das Bild des auf spiegelglattem diplomatischen Parkett eloquent und elegant reüssierenden Herrenreiters, dem die von Blut, Schweiß und Tränen triefenden Gewalten unter seiner Beteiligung aufeinandergehetzter Völker nicht wesensfremder sein könnten, wird denn auch in der aktuellen Debatte um die Verstrickung deutscher Diplomaten in den Holocaust fortgeschrieben. So stellt der Historiker Michael Stürmer diejenigen, die im NS-Regime "mit Lust und Freude ihren Sadismus ausgelebt haben", den Mitarbeitern des Reichsaußenministeriums gegenüber, in dem "nur ganz wenige von den Diplomaten sozusagen sich die Hände buchstäblich blutig gemacht haben. Das waren alles mehr oder weniger Schreibtischtäter." [1]

Eingedenk der mit Adolf Eichmann und anderen Technokraten der industriellen Massenvernichtung assoziierten Bedeutung des Begriffs kann die nicht nur von Stürmer relativierte Feststellung des Historikers Eckart Conze, laut dem das Auswärtige Amt im NS-Staat eine "verbrecherische Organisation" war, als keineswegs übertrieben bezeichnet werden. Schließlich bestand seine Hauptaufgabe in der diplomatischen Flankierung und Durchsetzung der imperialistischen Kriegsziele des NS-Regimes, die die der adligen und großbürgerlichen Eliten waren, wozu sie sich auch bekannten, so lange die Wehrmacht noch von Sieg zu Sieg eilte. Die von Conze und den anderen Autoren der Historiker-Studie "Das Amt und die Vergangenheit" dokumentierte Vertuschung der "Verstrickung" der NS-Diplomatie in den Holocaust war nicht nur Ergebnis der konkret nachgewiesenen Täuschungsmanöver, die im Vordergrund der aktuellen Berichterstattung stehen. Sie fand statt im Klima eines Antikommunismus, in dem sich der nazistische Antibolschewismus bruchlos fortsetzte und der, wie bekannt, sicherstellte, das in allen Funktions- und Kapitaleliten der BRD verdiente Akteure des NS-Regimes insbesondere dann willkommen waren, wenn ihre in Diktatur und Krieg erlangte Qualifikation zur Bekämpfung des alten und neuen Feinds verwendungsfähig war.

Wie stets reflektiert die Geschichtsschreibung auch in diesem Fall den Konsens hegemonialer Ideologie, deren antikommunistische Stoßrichtung sich nicht etwa geändert hat, weil ihr der Feind abhanden gekommen ist. Dem ist in Anbetracht der verschärften sozialen Widersprüche ganz und gar nicht so, wie der dämonisierende Umgang mit der DDR auch vor diesem Hintergrund zeigt. Anstatt hervorzuheben, daß der antifaschistische Charakter dieses Staates nicht nur die weitgehende Abwesenheit von NS-Tätern in seinen Organen zur Folge hatte, sondern Menschen aus dem Proletariat in Positionen vorrückten, die ihnen vordem durch kaum überwindliche Klassenschranken verschlossen geblieben waren, werden völlig ungerührt vom ideologischen Antagonismus zwischen NS-Imperialismus und DDR-Realsozialismus totalitarismustheoretische Schoten gedroschen.

So schlägt die Deutschlandfunk-Journalistin Sabine Adler Ex-Außenminister Joseph Fischer, der die Untersuchung der Rolle des Auswärtigen Amts in der NS-Zeit 2005 nach einem Streit um Nachrufe für NS-belastete Diplomaten anschob, vor, auf entsprechende Weise "mit dem Gedankengut der Diktatur, der kommunistischen Diktatur der DDR umzugehen", um es "sehr viel stärker zu sanktionieren" [2]. Anstatt die Brücke zur Gegenwart auf kritische Weise zu schlagen und nach den Abgründen heutiger deutscher Außenpolitik zu fragen, werden diese auf bewährte Weise zugeschüttet, indem die Bilanz des Bösen anhand der Gleichsetzung von rechter und linker Ideologie gezogen wird. Fischer tut sich in seiner Antwort zwar "schwer", gelangt aber zu dem konzilianten Schluß, daß "die DDR-Diktatur (...)von der jüngeren Generation nochmals in einer ganz anderen Art und Weise auch hinterfragt werden" wird und "sich viele noch rechtfertigen müssen, und das ist gut so" [2].

Der grüne Politiker, der sich derzeit noch einmal als Antifaschist feiern läßt, hat eigene Leichen im Keller, und dabei handelt es sich nicht um die von Adler heranzitierte späte Genugtuung eines steinewerfenden Alt68ers. Daß man "1968 auf den Gewalttrip gegangen ist, ist das schlimmste Versagen von 1968", stellt der Mann fest, der den Überfall der NATO auf Jugoslawien als einen Akt der Wiedergutmachung für Auschwitz, vollzogen an einem Opfer der Kriegführung des NS-Staates, darstellte, um die Untersuchung der NS-Vergangenheit seines ehemaligen Amtes ins Zeichen eben dieser aus der Umwertung eigener Schuld in neue Handlungsfähigkeit geschöpften Täterlogik zu stellen.

Es kann daher kein Anlaß zur Beruhigung sein, wenn Außenminister Guido Westerwelle bei der Präsentation der Historiker-Studie ankündigt, diese zum "festen Bestandteil der Ausbildung deutscher Diplomaten" zu machen. Als Mitglied eines FDP-Landesverbands, der für seine besonders große Zahl an NS-Tätern berüchtigt war, ließ Westerwelle die von Fischer untersagten Nachrufe auf Mitglieder des Auswärtigen Amts mit NS-Vergangenheit wieder zu und behauptet gegenüber den anwesenden Diplomaten, sie würden "Außenpolitik mitgestalten auf der Grundlage des in sechs Jahrzehnten deutscher Friedenspolitik erworbenen Vertrauens". Seine Bitte, sie mögen dies "im vollen Bewusstsein der Geschichte unseres Auswärtigen Amtes" [3] tun, kann angesichts dieser irreführenden Verklärung deutscher Außenpolitik nicht als Aufruf zu strikter Wahrung des völkerrechtlichen Gewaltverbots verstanden werden, ganz im Gegenteil. In einer weltpolitischen Lage, in der der Kampf um die verbliebenen Verwertungspotentiale immer verbissener geführt wird, bietet sich die Entlastungslogik, derer sich Fischer bei der Zerschlagung Restjugoslawiens bediente, auch für seine Nachfolger als probates Mittel zur Legitimation neuer Kriege an.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1305898/

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1305054/

[3] http://www.faz.net/s/RubB8A1F85C9BA549618318CE82246337B9/Doc~E01A9C84701BF45E58FE756484A232FF3~ATpl~Ecommon~Scontent.html

28. Oktober 2010