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KULTUR/0886: Das Imperium pflanzt sich fort ... Jubelstimmung im Sicherheitsstaat (SB)



Was hält die Gesellschaft zusammen? Offensichtlich nurmehr der schöne Schein widriger Verhältnisse, nimmt man die Aufregung um die anstehende Hochzeit im britischen Königshaus zum Maßstab einer Orientierungsnot, die sich desto mehr Bahn bricht, als die Gewißheiten lebensweltlicher Verankerung auf der Strecke rasant voranschreitender Atomisierung in Arbeit, Politik und Kultur bleiben. Nicht immer hat das Volk seinen Herrschern zugejubelt, bisweilen hat es seine elende Lage im Aufstand gegen Thron und Altar überwunden. Um so bezeichnender ist die heutige Repräsentation kollektiver Befindlichkeit im Gepränge herrschaftlicher Symbolhandlungen, in denen jedes emanzipatorische Anliegen auf seinen negativen Ausgangspunkt, die vorbehaltlose Verfügbarkeit des Menschen für fremde Interessen, zurückgebrochen wird. Als habe das historische Aufbegehren der französischen Revolution niemals stattgefunden, wird die neofeudale Restauration mit blaublütiger Traditionspflege abgefeiert. Die große Bereitwilligkeit, mit der dieses Spektakel vom Schatten finsterer Ausbeutungs- und Unterwerfungspraktiken freigehalten wird, erinnert daran, daß die herrschende Kultur immer die Kultur der Herrschenden ist.

Die Verehrung von Celebritys, die nichts anderes vorzuweisen haben als die Erblinie eines blaublütigen Geschlechts, dessen Machtfülle Geschichte ist, befleißigt sich pflichtschuldiger Seriosität. Man begeht einen Staatsakt, dessen boulevardeske Seite im Zaum einer Respektabilität gehalten wird, die die Reste imperialer Größe nicht nur konservieren, sondern anschlußfähig für neue Eroberungen machen soll. Fragen zum zeremoniellen Ritual und zur Rangfolge des britischen Königshauses werden mit ebenso großer Ernsthaftigkeit beantwortet, wie die Aufrichtigkeit der Liebe zwischen Prinz William und Kate Middleton und die Frage, ob es denn einer Ehe bedarf, um sich dieser zu vergewissern, ohne jeden ironischen Unterton debattiert werden.

Die allgemeine Ergriffenheit ist desto tiefer, als sie die Tragödie um die "Prinzessin der Herzen", Diana Spencer, fortschreibt. Als die Mutter des nun zu vermählenden Prinzen am 31. August 1997 in Paris nach einem Autounfall verstarb, löste dieses Ereignis eine regelrechte Massenhysterie aus. Über jede verständliche Betroffenheit im Falle eines tragischen Todes hinaus geriet die Verstorbene zur Projektionsfläche eines zivilreligiösen Kultes, der sich schon zu Lebzeiten abgezeichnet hatte. "Lady Di" wurde zur Ikone weiblichen Schicksals, in der sich das Leid auch aller weniger gutgestellten Frauen zu spiegeln schien. In Rekordzeit vergessen war die Häme, mit der die Londoner Boulevardpresse Diana Spencers Liaison mit dem Ägypter Dodi al Fayed überzogen hatte. Ein "Wog", wie man das Fußvolk aus den ehemaligen Kolonien in standesbewußten Kreisen Britanniens immer noch schimpft, der zudem des unmoralischen Lebenswandels bezichtigt wurde und darüberhinaus Moslem war. Während Dodi in den britischen Medien als Begleiter der Prinzessin auf eine Stufe mit dem ebenfalls gestorbenen Fahrer gesetzt wurde, verklärte sich das Andenken an Diana innerhalb weniger Stunden nach ihrem Tod zu dem einer mythischen Heldin, deren öffentliche Auftritte von einem regelrechten Zauber selbstlosen Engagements umgeben gewesen sein sollen. Das wirkungsvoll in Szene gesetzte Attribut rehäugiger Unschuld wies dem Opfergang ihres frühen Todes einen moralischen Tauschwert zu, der welche Schuld gegenüber welcher Instanz auch immer abgelten konnte.

Moral spielte in einer Massenerregung, die emotionale Zusammenbrüche auf offener Straße provoziert, eine zentrale Rolle. Das sinistre Treiben der Royals und insbesondere der Konkurrentin Camilla Parker-Bowles wurde maßgeblich dafür verantwortlich gemacht, daß dem Volk seine Prinzessin genommen wurde. Der um "Lady Di" entfachte Kult war so wirkmächtig, daß in den ersten Wochen nach ihrem Tod kaum ein Journalist wagte, dieses Massenphänomen kritisch zu hinterfragen. Die Darbringung des Wertvollsten, das die Nation zu bieten hatte, einte das Volk und erteilte seinem Herrscherhaus Absolution. Indem die Prinzessin in den ehemaligen Kolonien ausgezehrten Kindern half und sich um die Beseitigung von grausamen Warlords gelegter Minen kümmerte, reinigte sie das Land von seinen imperialistischen Missetaten. Indem sie Obdachlose unterstützte, kittete sie die Spaltung der Gesellschaft. Indem sie dem Votum des Volks gegenüber dem Königshaus Gewicht verschaffte, stutzte sie die Arroganz der Royals. Der heilige Schauder, der die Trauernden ergriff, bekräftigte den Bund zwischen Volk und Königshaus, so daß die Mehrheit der Briten bis heute nicht daran denkt, die Monarchie abzuschaffen. In ihr lebt eine imperiale Vergangenheit fort, aus der sich Ansprüche auf die Zukunft ableiten lassen, die zu erheben die ehemalige Großmacht ansonsten kaum mehr decken kann.

Es bedarf der Psychologie nicht, um die auch in der Bundesrepublik um sich greifende Faszination blauen Blutes zu verstehen. Im rituellen Gepränge hoheitlicher Balz kommt die Klassengesellschaft zu sich selbst, wird der Citoyen zum Untertan, dessen ganze Sorge der zum Nachweis staatlichen Bestandes geronnenen Reproduktionsfähigkeit des Herrscherhauses gilt. Daß die Hochglanzromantik, um deretwillen Millionen gespannt vor dem Fernseher sitzen, mit einem profanem Ehevertrag untermauert ist, laut dem die Angetraute im Scheidungsfalle nicht nur in keiner Weise am Vermögen der Windsors partizipierte, sondern auch das Sorgerecht für die Kinder verlöre, tut der Freude keinen Abbruch. Schließlich wird Kate Middleton nicht um ihrer selbst willen, sondern der Erzeugung standesgemäßen Nachwuchses in erlauchte Kreise aufgenommen. Gefeiert wird die romantische Liebe ausschließlich unter dem Vorzeichen der Kate auf den Leib geschriebenen Mutterrolle, der Funktionalisierung der Frau für Krieg und Fabrik wie der Biologisierung des modernen Ständestaates überhaupt.

All das scheint die britische Gesellschaft bitter nötig zu haben, wie die Beteiligung an mehreren Kriegen und die verschärfte Zurichtung der Bevölkerung auf Leistungsbereitschaft zu jedem Preis belegt. Während Kate und William sich vor einem Millionenpublikum ein Eheversprechen geben, dessen Bruch die Anwälte längst vorgeplant haben, wird in Afghanistan und Libyen gestorben, leiden britische Kinder an Mangelernährung und medizinischer Unterversorgung, wird die Bevölkerung mit ausgefeilter Überwachungstechnik und drakonischen Strafandrohungen eingeschüchtert. Zahlreiche linke AktivistInnen sind von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen betroffen, die eigens im Vorfeld zur königlichen Trauung erfolgten. Rund 70 Personen dürfen die Innenstadt Londons am Hochzeitstag nicht betreten, weil sie bei den Protesten gegen die massive Erhöhung der Studiengebühren und die umfangreichen Sozialkürzungen auffällig geworden sind. Wer an diesem Tag lautstark Einwand dagegen erhebt, daß Bourgeoisie und Adel sich schadlos halten, während die mittellose Bevölkerung die Verluste der Krise schultern soll, läuft Gefahr, von der immer brutaler auftretenden Polizei mundtot gemacht zu werden.

Das Hochzeitspektakel könnte nicht besser in eine Zeit passen, in der es an vielem mangelt, nur nicht an schlagenden Beweisen für die Zerstörungskraft des Kapitalismus. Wo Sklaven- und Dienerexistenzen als erstrebenswerte Berufsbilder angepriesen und sich dieser Zukunft verweigernde Menschen stigmatisiert werden, da geraten Zerrbilder aus der Mottenkiste vermeintlich überwundener Epochen zum Vorbild für überlebenstüchtige, anpassungsorientierte und distinktionssichere Vergesellschaftung.

28. April 2011