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KULTUR/0887: Imperiale Bildpolitik - Virtuelle Machtdemonstration am Beispiel Osama bin Laden (SB)



Der Zuschauer kann Osama bin Laden über die Schulter gucken, während dieser sich im Fernsehen anschaut. So ist das globale Publikum in milliardenfacher Vervielfältigung hinter die panoptische Perspektive des "Terrorfürsten" getreten. Dieser kann nicht mehr unentdeckt dabei zuschauen, wie sich die Welt vor ihm fürchtet, sondern wird selbst zu deren Objekt. Ein heruntergekommener alter Mann schaut Fernsehen und wird damit zu einem passiven Betrachter wie alle anderen auch. Offensichtlich führt jemand Regie, der nicht in diesem Ensemble potentiell endloser Spiegelung zu erblicken ist.

Indem die erlegte Beute zu einem der zahllosen Sequenzen inflationärer Bildproduktion verkommt, schrumpft der sinistre Topterrorist auf ein beiläufig konsumiertes Spektakel, das in seiner freudlosen und düsteren Darbietung noch das durchschnittliche Schicksal der Bürger westlicher Staaten als Ausbund des Lebensgenusses erscheinen läßt. Der jähe Sturz dieses bislang Angst und Schrecken verbreitenden Mythos wirft die Frage auf, wie man Bin Laden als zentralen Gegner in einem - so von der US-Regierung proklamierten - weltweit geführten Krieg ausweisen konnte. Es liegt nahe, daß es hier nicht nur darum geht, seine Anhänger zu demütigen, sondern die eigene Macht über das zu demonstrieren, was von jemand bleibt, der für das Gros der Menschen niemals etwas anderes als ein Bild war.

Eine Regierung, die mit erheblichem organisatorischen und logistischen Aufwand Kriege in aller Welt führt, überläßt auch bei der Bildpolitik nichts dem Zufall. Erst wird Bin Laden umgebracht und einer Nacht-und-Nebel-Aktion bestattet, dann werden private Bilder in Umlauf gebracht, in denen seine zuvor überlebensgroße Statur auf das beschämende Maß des Verlierers getrimmt wird. Gleichzeitig werden die Tonspuren der ebenfalls von der US-Regierung freigegebenen Propagandavideos zensiert, um, wie es aus ungenannt bleibenden Regierungskreisen heißt, nicht "die Worte von Terroristen oder Propagandabotschaften zu verbreiten" [1]. Der Stimme beraubt, gestutzt auf Eindrücke, von denen niemand weiß, unter welchen Umständen sie erzeugt wurden, kommentiert durch Stimmen aus dem US-amerikanischen Sicherheitsapparat wird das Al Qaida-Packaging der Post-Osama-Ära auf kontrollierten Konsum formatiert.

Die ehemalige Sicherheitsberaterin George W. Bushs, Frances Townsend, feiert dies auf CNN als Sieg nicht nur über den Al Qaida-Chef, sondern die von ihm erzeugte Außenwirkung. Sie und andere Kommentatoren bestätigen, daß Bin Laden sehr darauf bedacht gewesen sei, Kontrolle über sein Image auszuüben, während diese nun auf die US-Regierung übergegangen sei. Das trifft nur bedingt zu, lag die Herrschaft über seine Darstellung doch auch zuvor schon zum größten Teil in den Händen westlicher Medienkonzerne, Staatssender und PR-Experten. Was den Bevölkerungen der USA und EU an Videos mit Reden Bin Ladens präsentiert wurde, beläuft sich auf einen Bruchteil der Narrative, mit denen der "Terrorfürst" zu einem solchen ausstaffiert wurde. Das damit produzierte Feindbild hatte in Anbetracht der unbeantworteten Frage, wie ein einzelner, mutmaßlich in einer Höhle lebender Mann die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzen kann, viel von einem Buhmann für Erwachsene.

Diesen Eindruck bestätigt die US-Regierung mit der Freigabe von Aufnahmen, die Bin Laden als eher schwächlichen und fragilen Mann erscheinen lassen. Daß er, wie behauptet, in seiner pakistanischen Zuflucht nach wie vor die Strippen im internationalen Terrorismus Al Qaidas gezogen hätte, wird damit nicht eben glaubwürdiger, doch darauf kommt es nicht an. Den Sieg im Informationskrieg zu erzielen heißt nicht nur, die Darstellung des Gegners in die eigene Hand zu bekommen, sondern ihn auf jede beliebige Weise vorführen zu können. Die US-Regierung demonstriert eine Definitionshoheit, mit der sich letztlich jeder Mensch zum Helden aufblasen oder als verwerfliches Übel vernichten läßt. Indem sie die physische Existenz Osama bin Ladens wie einen Datensatz gelöscht hat, so daß nur mehr Bilder seine Existenz belegen können, hat sie das Urheberrecht auf diese Schreckensgestalt des Terrorkriegs erbeutet.

Unausgesprochen gestehen die Terrorjäger ein, daß Osama bin Laden stets ein Propagandaprodukt war, und bestätigen, daß Kriege auch und gerade auf der Ebene der Bildproduktion geführt werden. Damit dementieren sie jeden Anspruch auf überprüfbare Faktizität. "Friß oder stirb" wird dem weltweiten Publikum beim Fall des Vorhangs nach dieser Aufführung der Saga Osama bin Laden zugerufen, und es muß nicht eigens danach fragen, wer im globalen Theater Regie führt. Wie schmerzvoll auch immer die konkreten Folgen für die Opfer dieser Kriege sein mögen, ihnen soll mit der kulturindustriellen Negation ihrer Subjektivität die letzte Regung genommen werden, die die Ohnmacht ihrer Vernichtung in eine Gegenposition hätte münden lassen können. Es empfiehlt sich, die Definitionswillkür der imperialen Bildpolitik grundsätzlich zu negieren, indem jegliche Affinität zu ihrem immanenten Wahrheitsanspruch und jegliche Reflektion auf dieses Gaukelspiel unterbrochen wird.

Fußnote:

[1] http://edition.cnn.com/2011/WORLD/asiapcf/05/07/pakistan.bin.laden.intelligence/index.html

8. Mai 2011