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KULTUR/0904: Morbide Werbekampagne um einen Hohepriester des Warenfetischismus (SB)



Die Glorifizierung des verstorbenen Apple-Gründers und ehemaligen Konzerchefs Steve Jobs als "Visionär" dokumentiert die Bescheidenheit dessen, was heute mit diesem Ehrentitel verbunden wird. Die von ihm konzipierten und vermarkteten Produkte mögen besonders praktisch und leistungsfähig sein, doch der darum betriebene Kult hat stets einer Konsumkultur gefrönt, dessen messianischer Impetus sich darin übererfüllt, den Menschen durch den Besitz einer begehrten Ware zu erlösen. Weit über deren Gebrauchswert hinaus stiften Markenname und -design die Identität der besonderen, in der millionenfachen Vervielfältigung dieser Insignien vermeintlich ganz besonderen Persönlichkeit. Wer sich dem Apple-Kult anschließt, trifft eine Entscheidung, die ihn über andere Nutzern entsprechender Geräte hinauswachsen läßt und seine Zugehörigkeit zum Adel konsumistischer Performanz unterstreicht.

Wer sich über industriell erzeugte Produkte definiert und diese nicht nur zur elektronischen Kommunikation verwendet, sondern ihre Vor- und Nachteile selbst zu einem wichtigen Gesprächsgegenstand macht, schafft Sinn und Zweck in ansonsten von Inhaltsleere und Langeweile verödeter Existenz. Wäre es anders, dann könnte die obsessive Überhöhung bloßer Gebrauchsgegenstände zu Reliquien einer postmodernen Religion nicht auf eine Weise um sich greifen, die die Beantwortung der Frage, wie man eigentlich vor der Ära mobiler elektronischer Kommunikation gelebt hat, an verlorengegangener Erinnerung scheitern läßt. Da der im Falle Apples zivilreligiöse Züge annehmende Markenkult die durchaus praktischen und sinnvollen Möglichkeiten der von dem IT-Konzern entwickelten Produkte fast verblassen läßt, wird gerne vergessen, daß ihr hoher Preis Voraussetzung für eine Exklusivität ist, die der Distinktionssucht einer ansonsten immer armseligeren Bürgerkultur neue Nahrung gibt.

Die Verehrung des verstorbenen Jobs als weiser Ratgeber und mutiger Unternehmer ist ebensosehr der Selbstreferenz der Geld- und Funktionseliten geschuldet wie die allgegenwärtigen Börsennachrichten. Wer nicht darauf angewiesen ist, die eigene Bedeutung durch das Markenlogo eines weltweit führenden IT-Konzerns zu unterstreichen, dem teilen die in deutschen Medien nach Bekanntgabe des Ablebens von Steve Jobs kolportierten Huldigungen vor allem mit, daß hier ein Vorbild neoliberalen Entrepreneurships beschworen wird, das die Hoffnung, es vom Garagenbastler zum Milliardär zu schaffen, nicht minder illusionär inszeniert als die entsprechenden Hollywoodfilme.

Was aus der Sicht der dadurch legitimierten Unternehmens- und Elitenkultur eine bloße PR-Strategie ist, nimmt in seiner medialen Verallgemeinerung den Charakter einer affirmativen Indoktrination an. Was hat Steve Jobs, dessen angeblicher "Mut, die Welt zu verändern", nach seinem Ableben wie die Litanei eines in Endlosrotation geratenen Werbespots heruntergebetet wurde, anderes geleistet als einem verdichteten Arbeitsregime zuzuarbeiten, das den meisten Betroffenen nicht einmal einen höheren Lebensstandard beschert? Der sinnlichen Ästhetik, die viele Apple-Kunden beim Anblick ihrer Geräte erleben, geht nicht nur knochenharte Niedriglohnarbeit voraus, sie ist ein schaler Ersatz für all das, was durch die Unterwerfung unter die mikroelektronische Produktionsweise verloren geht.

Daß beim kritischen Umgang mit den vermeintlichen Errungenschaften informationstechnischer Systeme eine große Leerstelle klafft, ist von der Suggestivkraft der durch sie entworfenen Perspektiven umfassenden Zugriffs nicht zu trennen. An die Stelle realer Kontakte und Bemächtigung tritt die Verheißung, die ständige Erreichbarkeit und Vernetzung eröffne ein Füllhorn an Möglichkeiten. Wem am Ende schwant, daß die Automatismen prozeßgesteuerter Produktivität die eigene Entbehrlichkeit vergrößern, weil die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation schlichtweg keiner Menschen mehr bedarf, daß die vorformatierten Informationsangebote und Speicherkapazitäten einem Kalkül kommerzieller wie ideologischer Verwertbarkeit unterliegen, das die Neutralität dieser Dienstleistungen im Ansatz negiert, daß die Durchdringung aller Lebensbereiche durch angeblich entlastende IT-Leistungen die Auseinandersetzung mit den körperlichen wie kognitiven Möglichkeiten eigener Befähigung eliminieren, dem dürfte der Warenfetisch der mobilen IT-Kultur nicht nur als Kette eigener Beherrschbarkeit, sondern auch als Instrument kultureller Verarmung zusehends suspekt werden.

9. Oktober 2011