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KULTUR/0945: Material Tier - Eklat um grausame Kunstperformance (SB)




An die 23.000 Unterzeichner fordern in einer Petition der Kampagnenorganisation avaaz.org [1], die Ausstellung des in Algerien geborenen und in Frankreich lebenden Künstlers Adel Abdessmed im Pariser Kunsttempel Centre Pompidou zu verhindern, weil er dort mehrere Tiere öffentlich töten wolle. Dem in deutschen Tierschutz- und Tierrechtsforen kursierenden Text der Petition ist zu entnehmen:

"Abdel Abdessemed stellt am 7. Januar im Centre Pompidou aus. Sein Programm ist es, ein Schwein, eine Ziege, ein Schaf, eine Kuh, ein Kalb und ein Pferd dort mit einem Vorschlaghammer zu töten.
Das Tier wird dabei an eine Wand gefesselt / befestigt und mit Hammerschlägen zu Tode gebracht. Die Schläge sollen immer wieder fallen, wie eine Wiederholungschleife, mit der Begleitung des gedämpften Sounds von Schlägen gegen einen Metallschädel oder irgendein sonstiges Instrument oder ähnlichem."

In den Kommentarspalten werden denn auch Forderungen laut, dem Künstler selbst ähnliches anzutun. Die angesichts solcher zur Schau gestellten Brutalität unausbleiblichen Reaktionen legen nahe, daß Abdessemed es darauf abgesehen hat, zu welchem Preis auch immer mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Wer allerdings versucht, genaueres über die angekündigte Performance herauszufinden, stößt immer wieder auf den von avaaz.org in die Welt gesetzten Text.

Zieht man das französische Original der Petition [1] zu Rate, dann zeigt sich, daß hier mit dem unlauteren Mittel gearbeitet wird, nicht eindeutig klarzustellen, daß es sich bei der angekündigten Performance um eine Videoinstallation handelt, die bereits 2008 aufgrund von Protesten zur Schließung einer Ausstellung in San Francisco geführt hat [2]. Aus der damaligen Debatte [3] geht nicht hervor, daß Abdessemed die Tiere selbst getötet hat, sondern es soll sich um Szenen aus einem ländlichen Schlachhof in Mexiko handeln. Einige Tierrechtsaktivisten, denen dies nicht verborgen blieb, führen nun das Argument ins Feld, daß es sich dabei lediglich um den geschickten Versuch handelt, dem Publikum das grausame Spektakel präsentieren zu können, ohne sich damit angreifbar zu machen. Abdemesseds Arbeit sei ein Animal Snuff Video, "das Speziesisten und Sadisten zur Ergötzung an einer echten gezeigten Tiertötung dient". Demgegenüber diene Videomaterial, das zur Aufklärung über an Tieren begangene Grausamkeiten gedacht sei, "der Dokumentation und nicht der Erregung von Lustgefühlen oder vermeintlich ästhetischen Gefühlen" [4].

Italienische Tierrechtler, die 2009 vergeblich versuchten, eine Ausstellung Adel Abdessemeds in Turin zu verhindern, hatten vor allem das "Usine" betitelte Video des Künstlers im Blick, da darin Hunde, Hähne und andere Tiere zu sehen sind, die sich gegenseitig zerfleischen. Diese Tierrechtsaktivistinnen und -aktivisten sollen das Video "Don't Trust Me" eher als aufklärerisch verstanden haben. Den Plan, es durch eigene Aufnahmen von Schlachthofszenen zu ergänzen, gaben sie allerdings auf, um den Künstler nicht zu legitimieren [5].

Wie sehr die im Mittelpunkt der avaaz-Kampagne stehende Videoinstallation "Don't Trust Me", die im Rahmen der Ausstellung "Je Suis Innocent" im Centre Pompidou gezeigt wird, tatsächlich dem voyeuristischen Lustgewinn des Publikums dient, bleibt letztlich dem subjektiven Umgang des jeweiligen Betrachters überlassen. Dem Exponat generell jeglichen künstlerischen Wert abzusprechen, wie es viele Kommentatoren der Petition tun, läuft hingegen Gefahr, einer puritanischen Form der Zensur zuzuarbeiten, die jegliche Auseinandersetzung mit den Grausamkeiten, die Menschen einander und anderen Lebewesen antun, als unethische Obszönität disqualifiziert. Inmitten des Marsches in eine die soziale Lebenswelt nach behavioristischen, medizinischen oder ethischen Normen reglementierenden und kontrollierenden Gesellschaft auf die Verhinderung von Darbietungen zu drängen, die sich mit vielfach üblichen Formen der Gewaltanwendung auseinandersetzen, stärkt im Zweifelsfall die Vollmachten einer Herrschaftsicherung, der es in keiner Weise um das Wohl des Menschen, der Tiere oder der natürlichen Umwelt geht.

Viel fruchtbarer wäre es, die Auseinandersetzung mit der künstlerischen Thematisierung von Gewaltakten im allgemeinen und diesem Konzeptkünstler im besonderen anhand der Frage zu führen, inwiefern dementsprechende Arbeiten über die bloße Reflexion grausamer Praktiken hinausweisen und eine Positionierung zugunsten konkreter gesellschaftlicher Veränderung ermöglichen. Anlaß zur Kritik an Adel Abdessemed bietet zum Beispiel ein 2010 geführtes Interview, in dem er auf die Frage, ob seine Kunst grundsätzlich kontrovers angelegt sei und er das Publikum mit den brutaleren Seiten des Lebens konfrontieren wolle, antwortet:

"Meine Arbeit hat mit Energie zu tun. Ich bin daran interessiert, die Quellen der Energie aufzuspüren, aber wenn Energie zu Gewalt wird, hat das nichts mit mir zu tun. Zudem glaube ich nicht, daß irgend etwas im Leben nicht gewalttätig ist. Alles ist gewalttätig, bis auf meine Seele." [6]

Abdessemeds Behauptung, lediglich an der Energie interessiert zu sein, die gewaltsamen Entwicklungen zugrundeliegt, und für diese nichts zu können, verweist auf ein Selbstverständnis bloßer Beobachtung, das die Notwendigkeit eigener Stoffwechselprozesse schlicht ignoriert. Sich auf die Warte einer von alledem unbetroffenen Seele zurückzuziehen, erspart dem Künstler, die umso mehr zu bloßen Objekten seiner Produktivität degradierten Lebewesen als solche anzuerkennen. Was er für seine Kunst verwertet, und sei es nur als bloßer Zeuge zerstörerischer Akte oder Käufer von anderen getöteter Tiere, soll in seiner Austauschbarkeit die Einzigartigkeit seiner Schaffenskraft illuminieren. Zum bloßen Material in den Händen bewunderter Kreativität degradiert bleibt die Auseinandersetzung mit dem einzelnen Lebewesen, das dem Verhältnis von Mensch und Tier konkrete Gestalt gäbe, auf der Strecke der Bequemlichkeit, sich nicht vom konsumistischen und legitimatorischen Charakter des bürgerlichen Kunstbetriebs zu emanzipieren. Die Ausflucht religiöser und weltanschaulicher Glaubenssysteme, den Schrecken kreatürlichen Untergangs in der Ewigkeit jenseitiger Existenz zu spiegeln, verharrt in einem Fatalismus, der den politischen Anspruch Abdessemeds als verkaufsträchtige Pose kenntlich macht.

So erklärt der Künstler, im gleichen Interview zur Empörung über das Video "Don't Trust Me" gefragt: "In meiner Kunst gibt es keine Distanz zwischen Form und Inhalt, noch ist sie von Absichten erfüllt; sie basiert auf Fakten" [6]. Leichter kann man sich einer verbindlichen Positionierung zu den Problemen, die mit der Ausbeutung der Tiere keineswegs auf diese beschränkt bleiben, sondern den Menschen als Verursacher und Nutznießer unermeßlicher Schmerzen auf die Nichtigkeit der eigenen Existenz zurückwerfen, nicht entziehen. Die Schlachthöfe der Reproduktion menschlichen Lebens derweil als gegeben hinzunehmen betrifft aber auch eine Empörung, die sich an einer mit der Lust an Zerstörung handelnden Kulturindustrie entzündet, aber deren gesellschaftliche Voraussetzungen nicht konsequent negiert und überwindet. Ein mit einfach gestrickten Appellen werbender und leichtfertig Feindbilder produzierender Clicktivism trägt eher zur Beschwichtigung seiner Adressatinnen und Adressaten bei, als daß er sie dazu bewegte, drängende Fragen zu wirksamer Streitbarkeit zu entwickeln.

Fußnoten:

[1] Stand 4. Januar 2013 19.30 Uhr
http://www.avaaz.org/fr/petition/Arreter_lexposiotion_Adel_Abdessemed_Je_suis_innocent/?pv=174

[2] http://www.sfgate.com/movies/article/Show-s-cancellation-a-rare-case-of-artists-3219735.php

[3] http://sanfrancisco.about.com/b/2008/03/24/art-or-cruelty.htm

[4] http://veganberlin.wordpress.com/2012/12/30/was-ist-ein-animal-snuff-video/

[5] http://www.davidzwirner.com/wp-content/uploads/2011/10/AA-The-Art-Newspaper-Harris-09-04-.pdf

[6] http://www.davidzwirner.com/wp-content/uploads/2011/10/101015-AA-The-Art-Newspaper-Harris.pdf

4. Januar 2013