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KULTUR/0953: Wem dient das neue Leistungsschutzrecht für Presseverlage? (SB)




Die Verabschiedung des seit langem von großen Zeitungsverlagen wie Springer und Burda verlangten Leistungsschutzrechts erfolgte, kurz nachdem der wesentliche Rechtsvorbehalt der Eigentümer im Internet verbreiteter Texte bis auf einen ungeklärten Restbestand ausgehöhlt wurde. Kurz vor Torschluß der seit Jahren andauernden Debatte wurde im Gesetzesentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes die bereits enthaltene Formulierung des neuen Paragraphen 87f "Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen," mit dem Zusatz ergänzt "es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte."

Damit war der wesentliche Zweck, News-Aggregatoren und Suchmaschinen dazu zu verpflichten, mit den Produzenten in Form sogenannter Snippets präsentierter Presseerzeugnisse Lizenzvereinbarungen einzugehen, weitgehend gegenstandslos geworden. Was den Zeitungsverlagen zusätzlich zu dem Vorteil, Leser zu gewinnen, die über Seiten wie Google News auf ihre Angebote zugreifen, bares Geld einbringen sollte, wird nun aller Voraussicht nach für diesen zwischen Anbieter und Leser geschalteten Webdienst weiter wie bisher kostenfrei bleiben. So mündete die Verabschiedung des Gesetzes in ein allgemeines Rätselraten darüber, wieso überhaupt ein Entwurf, der seiner erklärten Absicht kaum mehr gerecht wird, in Kraft treten soll.

Naheliegenderweise haben die Fraktionen der gelb-schwarzen Regierungskoalition, in deren Reihen bereits erste Absetzbewegungen sichtbar wurden, dem zu Lasten der Verleger verwässerten Gesetz dennoch zugestimmt, um ihr Engagement für das Leistungsschutzrecht, dessen Durchsetzung im Koalitionsvertrag verankert ist, nicht in aller Offenheit aufzukündigen. Da Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Friede Springer und Liz Mohn befreundet sein soll und die großen Verlage Springer, Bertelsmann und Burda den politischen Positionen der Regierungskoalition am nächsten stehen, wäre es schlicht unklug gewesen, diese einflußreichen Medien vor den anstehenden Bundestagswahlen zu brüskieren. Auch wenn das Gesetz nun in einer Form verabschiedet wurde, die den absehbaren Schaden für die Meinungsfreiheit mindert, so stärkt die Schutzwürdigkeit bloßer Textausschnitte, die über den bereits durch das Zitatrecht gewährten Urheberschutz hinausgeht, die Position der Presseverlage dennoch.

Dies gilt nicht für die eigentlichen Urheber der zu schützenden Texte, betrifft das Leistungsschutzrecht doch die Vergütungsansprüche der sie verwertenden Verlage, während die Journalistinnen und Journalisten, die sie verfassen, an eventuellen Mehreinkünften bestenfalls beteiligt werden sollen. Da die festangestellten Mitarbeiter von Zeitungsredaktionen sich in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit in einer äußerst schwachen Position gegenüber den Verlagen befinden und dies für freie Autoren in noch größerem Maße gilt, kann von einer Verbesserung ihrer Lage durch das Leistungsschutzrecht nicht ausgegangen werden. Ihre Lage könnte sich durch eine durch das Leistungsschutzrecht bedingte Einschränkung der Reichweite ihrer Zeitungen sogar noch verschlechtern.

Der zwischen dem Quasi-Monopolisten unter den Suchmaschinenanbietern, Google, und den Zeitungsverlagen ausgetragene Konflikt um die Frage, ob nicht Lizenzgebühren für die Präsentation von Textausschnitten im Nachrichtenportal Google-News an die Rechteinhaber zu entrichten wären, droht diesen ohnehin auf die Füße zu fallen. Während der Weltkonzern den Verzicht auf die Erzeugnisse der Presseverlage eines nationalen Teilmarktes schon aufgrund seiner schieren Größe verschmerzen könnte, sind vor allem kleinere Verlage darauf angewiesen, über die Suchmaschine Leser zugeführt zu bekommen. Auch könnte das Publikum großer Publikationen wie Bild, Spiegel oder Focus ohne den Umweg über Google auf ihre Online-Angebote zugreifen. Kleinere Zeitungen wären jedoch durch den denkbaren Schritt des Suchmaschinenkonzerns, ihre Angebote in Reaktion auf das Leistungsschutzrecht nicht mehr zu indizieren, in ihrer Existenz bedroht.

Die Regierungskoalition könnte in der Entschärfung des Gesetzes einen gangbaren Weg sehen, es zwischen Google und den Verlagskonzernen nicht zum äußersten kommen zu lassen. So kam es in Belgien in einem ähnlich gelagerten Fall zu einer gütlichen Einigung. Nachdem Google einige große Zeitungen aus ihrem Index genommen hatte, weil diese den Suchmaschinenkonzern erfolgreich wegen Verletzung ihres geistigen Eigentums verklagt hatten, verpflichteten sich die Verlage, künftig keine Rechtsmittel mehr einzulegen, wenn sie wieder im Angebot Googles gelistet würden. Ohnehin ist die Argumentation der deutschen Verlagskonzerne, Google würde sich unrechtmäßig an ihrer Arbeit bereichern, widersprüchlich, weil sie die Möglichkeit besitzen, die Suchmaschine von der Indizierung ihrer Artikel abzuhalten. Da dies nicht in ihrem Interesse ist, stand der Versuch, zusätzliche Einnahmen durch die Einforderung von Lizenzgebühren zu generieren, von Anfang an auf schwachen Füßen.

Eine Einigung, die die Geschäfte der Verlagskonzerne und der Suchmaschine zu beiderseitigem Vorteil entwickelt, ist damit nicht aus der Welt. Anders verhält es sich mit Bloggern und anderen privaten Betreibern von Webseiten mit publizistischen Angeboten, die aus Presseerzeugnissen zitieren und sie verlinken. Sie müssen in Anbetracht der ungeklärten Rechtslage, an welcher Stelle die Grenze für "kleinste Textausschnitte" überschritten wird, befürchten, mit Zahlungsforderungen überhäuft zu werden, so lange sich die Abmahnindustrie versprechen kann, daß die endgültige Klärung der Vorwürfe vor Gericht aufgrund der zu erwartenden Kosten gescheut wird.

Diese Entwicklung wirft grundlegende Fragen nach der Gültigkeit des Anspruchs auf demokratische Meinungs- und Pressefreiheit auf. Auch wenn Google sich mit der Kampagne "Verteidige dein Netz" zur Vorkämpferin dieser Freiheiten aufschwingt, kann der Konzern doch schon aufgrund des undurchsichtigen Charakters seiner Algorithmen, die darüber befinden, welche Webadressen bei Suchanfragen zuerst erscheinen, welche fast unsichtbar bleiben und welche überhaupt nicht indiziert werden, keinesfalls als Ausbund demokratischer Tugendhaftigkeit gelten. Mit seinem durch Werbeeinnahmen finanzierten Geschäftsmodell wie der Neigung, seine Monopolmacht mit einem breiten Angebot an weiteren informationstechnischen Dienstleistungen auszubauen, verfolgt der Konzern keine anderen Ziele als Presseverlage, die ihren Eignern und nicht der Gesellschaft verpflichtet sind.

Wen also schützt eine Verschärfung des Urheberrechtes, der das formale Kriterium einer quantitativ bestimmten Schutzwürdigkeit zugrundeliegt, die Textausschnitte von bestenfalls informativem Charakter betrifft? Es sind Verlagsökonomen und Kapitalinvestoren, die geistige Produktivität in verkaufsgerechte Form bringen und die Erwirtschaftung hoher Auflagenzahlen zur wichtigsten Aufgabe der journalistischen Profession erheben. Wie die Trivialisierung und Boulevardisierung vieler Presseerzeugnisse belegt, ist die Orientierung an Umsatzbilanzen und Klickraten alles andere als ein Garant für die kulturelle Entwicklung der Urheber wie Leser. Wo marktwirtschaftliche Logik das Feld beherrscht, werden Form und Inhalt einem Nutzen unterworfen, dem gesellschaftskritische Debatten und menschliche Erkenntnis nicht nur fremd sind, sondern als Störfaktoren beim Verbrauch der Ware Information und Unterhaltung verworfen werden.

Die für die Debatte um einen verbesserten Schutz für Presseverlage zentrale Forderung nach der Bezahlbarkeit immaterieller Leistungen verweist auf das grundlegende Problem, daß der demokratische Anspruch kommerzieller Medienarbeit stets durch die vielfältigen Bedingungen und Zwänge ihrer Rentabilität eingeschränkt ist. Sie ist daher bestens als Einfallstor machtpolitischer Manipulationen geeignet, sei es durch die Interessen der Werbewirtschaft, die Anzeigen nur in ihr günstig erscheinenden Umgebungen schalten will, sei es durch politische wie finanzielle Interessen der Verlagskonzerne, sei es durch die Erfordernis, sich politische und gesellschaftliche Akteure gewogen zu halten, um überhaupt publizieren zu können. Eine Debatte um die Frage, ob die gesellschaftliche Entwicklung in einem kapitalistischen Weltsystem, in dem das Geschäft mit Lizenzen aller Art eine immer größere Bedeutung erlangt hat, überhaupt auf egalitäre und demokratische Weise erfolgen kann, wäre wohl das denkbar positivste Ergebnis, aus dem vielleicht der Versuch erwachsen könnte, im Interesse der Menschen jene geistigen Erkenntnisse zu befördern, die sie auf selbstbestimmte Weise tatmächtig werden ließen, um sich von dem Warencharakter herrschender Produktionsweisen mit Hilfe besserer Perspektiven emanzipieren zu können.

1. März 2013