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KULTUR/1002: Stets auf Kosten des anderen ... Unterwerfung in der "Spaßgesellschaft" (SB)



Wer erinnert sich noch an Happy Slapping? Ganz so glücklich waren die Opfer der Attacken Jugendlicher, die den Spaß mit ihren Handys aufzeichnen und im Netz präsentieren wollten, meist nicht. Ohnehin waren die Betroffenen nur Requisiten einer Staffage, in der sich die Akteure auf ihre Kosten beglückten. Die beiden 16jährigen Kölner Schüler jedenfalls, die 2008 in mindestens sieben Fällen schlafende Wohnungslose überfielen, mit Urin übergossen, traten und demütigten, um die dabei gemachten Videos ins Netz zu stellen, hatten begriffen, daß soziale Verachtung das Gelbe vom Ei testosterongesättigter Erregung ist. Die vielzitierte "Spaßgesellschaft" war für diejenigen, die als sozial Abgehängte nichts zu Lachen haben, noch niemals witzig, müssen sie sich doch des Vorwurfes erwehren, selbst mit staatlich gewährter Mangeldiät noch "über ihre Verhältnisse" zu leben. So tragen Angriffe auf Obdachlose oder Behinderte bis heute auch deshalb zur Unterhaltung bei, weil sie der sozialhygienischen Logik des neoliberalen Almosenstaates entsprechen und kaum einen der vielbesagten Aufschreie der Empörung hervorrufen.

Sich an "Losern" schadlos zu halten war schon immer eine naheliegende Idee, wenn der Druck der Verhältnisse auf den Knochen lastet und die soziale Entwertung am Selbstbewußtsein nagt. Wer möchte schon Popanz im sozialdarwinistischen Rudeltreiben sein, wer erträgt es leichten Herzens, daß die anderen über ihn oder sie kaum versteckt lachen oder Witze machen? '"Humor ist, wenn man trotzdem lacht" - die bittere Realität allgemeiner Erheiterung liegt darin, daß sie immer auf Kosten irgendeines anderen geht, der oder die dann "gute Miene zum bösen Spiel" macht, um nicht vollständig als "Miesmacher" oder "Spielverderber" abgestraft zu werden.

Das von den Boulevardmedien genüßlich aufgegriffene wie moralinsauer verurteilte Treiben sogenannter Horror- oder Gruselclowns ist mithin nicht so weit von der sozialen Strategie entfernt, sich in die Position zu bringen, den anderen zur "Lachnummer" zu machen, anstatt selbst im sozialen Hauen und Stechen ins Visier der Alpha-Männchen und ihrer Entourage zu geraten. Wie sagt es Dieter Seeger, Vorsitzender des nun um das Ansehen des ganzen Berufsstandes professioneller Spaßmacher fürchtenden Verbandes Deutscher Zirkusunternehmen, doch so treffend: "Mit einem Clown soll eigentlich Spaß, Freude und Tollpatschigkeit assoziiert werden. Über ihn soll man lachen." Was als Inszenierung für den hinter der Maske steckenden Darsteller unproblematisch ist, weil er nicht gemeint ist und im besten Fall dem Publikum einen entlarvenden Spiegel vorhalten kann, ist von der grausamen Realität der Ausbeutung und Anprangerung menschlicher Schwächen nicht zu trennen. Jemanden zur Erheiterung vorzuführen gelingt nur aus einer Position der Stärke heraus, die nicht selten in einem tiefverwurzelten Konsens der Ablehnung bestimmter Verhaltensweisen und Lebensformen wurzelt.

Es ist denn auch kein Zufall, daß Angehörige ethnischer oder nicht der heterosexuellen Norm entsprechender Minderheiten, körperlich oder geistig behinderte Personen und andere Menschen, die sich nicht adäquat verteidigen können, zu den bevorzugten Zielen kollektiven Spottes werden. Sich schadlos an den Problemen anderer zu halten funktioniert am besten, wenn diese sich in einer unterlegenen Position befinden, und das trifft in der Regel nicht auf maskuline Herrenmenschen, sondern Frauen, Ältere oder auch Tiere zu. Die Zahl wortassoziativer Schmähungen, die feminine oder animalische Zuschreibungen zum Zweck des Verächtlichmachens einsetzen, ist Legion. Kaum jemand denkt darüber nach, was es über den Affen sagt, daß jemand zu ihm gemacht werden kann. Die schmerzhafte Zurichtung von Elefanten, die Menschen körperlich haushoch überlegen sind, zum braven Männchenmachen oder anderen Kunststücken mit häufig devoter Pointe ist ein weiteres Beispiel dafür, daß es in der sozialen Arena im Kern um Dominanz und Unterwerfung geht.

Das unvermittelte Aufkommen eines Phänomens wie das der Horrorclowns ist denn auch nicht so rätselhaft, wie es erscheint. Abgesehen von zahlreichen Vorbildern aus dem Genre des Horrorfilms, die dabei Pate stehen könnten, entspricht es der Absicht eines verletztenden Lachens oder diskriminierenden Witzelns. Die dabei hervortretende Aggressivität wird meist nicht beim Namen genannt, weil die Betroffenen doch "Spaß verstehen" sollen, um nicht Schlimmeres befürchten zu müssen. Wie blutig dieser Spaß werden kann, zeigt sich immer dann, wenn die Quälerei zur physischen Verletzung ausartet oder sich Betroffene umbringen, weil sie nicht mehr wissen, wie sie mit einer Ablehnung, die im Gewand humorigen Spaßes um so schwerer als solche zu demaskieren ist, umgehen sollen.

Nicht das durch protestantische Strenge gebeugte Haupt oder moralinsaure Spaßfreiheit sind die Antwort auf einen Humor, der mit kategorialen Anwürfen nicht nur die gemeinten Menschen trifft, sondern Rassismus und Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie zur sicheren Bank gewalttätiger Mehrheiten erklärt. Mehr Empfindsamkeit für das, was den anderen im Überschwang der Heiterkeit angetan wird, trüge viel dazu bei, daß vielleicht auch einmal die Herren der Schöpfung von ihrem hohen Roß, das sie nicht danach fragen, ob es sie überhaupt tragen möchte, herunterkämen. Wo das Lachen über Ungeschicklichkeiten und Peinlichkeiten zum Volksvergnügen der You Tube- und Facebook-Gesellschaft wird, sind Horrorclowns nicht fern. Die schon dabei zu Tage tretende Gewalt läßt ahnen, daß sie gegenüber dem offenen Blutvergießen im Bürgerkrieg das kleinere Übel ist.

26. Oktober 2016


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