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KULTUR/1044: "Umweltsau" - der Neid der Tatlosen ... (SB)



Weil die Mittel der Produktion und Reproduktion des Lebens die Agenten des leblosen Kapitals und des Profits sind, sucht das Leben selbst Zuflucht in der Passivität; in dieser Welt schrumpft menschliche Praxis auf dein Bild von meinem Bild deines Bildes von mir. Passives Betrachten ist der genehmigte Modus der Entspannung in einer Gesellschaft, die den einzigen Trost, die menschliche Erfahrung, erstickt hat.
Russell Jacoby - Soziale Amnesie [1]

Willkommen in der dritten Dekade eines Jahrhunderts, das in Begriffe endzeitlicher Finalität zu fassen nicht mehr allein evangelikalen FundamentalistInnen, apokalyptischen SchwarzseherInnen und milleniaristischen SchwärmerInnen vorbehalten bleibt. Wer es genauer wissen will, tue sich die Prognosen von WissenschaftlerInnen wie etwa Jem Bendell [2], Peter Carter [3] oder Hans Joachim Schellnhuber an, deren Urteilskraft nicht von institutionellen Zwängen, berufständischen Ängsten oder politisch opportunen Moderationen getrübt zu sein scheint, oder führe sich die Zusammenfassung klimawissenschaftlicher Fakten zu Gemüte, die der Journalist David Wallace-Wells in seinem Buch "Die unbewohnbare Erde" zusammengefaßt hat. Keiner der Genannten ist als ideologisch verblendeter Überzeugungstäter oder radikalökologischer Anarchist bekannt, ganz im Gegenteil, als Exponenten arrivierter Bürgerlichkeit hätten sie allen Grund, den Status quo ihrer Klassenprivilegien zu verteidigen. Dennoch sind sie zu der Erkenntnis gelangt, daß klimatisch bedingte Veränderungen im Zeitraum weniger Jahre bevorstehen, die aller Voraussicht nach gesellschaftliche Umwälzungen zur Folge haben werden, wie sie die bislang meist gut versorgten Bevölkerungen der hochproduktiven Industriestaaten des Globalen Nordens zeitlebens nicht erleiden mußten. Allein die zu erwartende Verschlimmerung der weltweiten Ernährungslage könnte zu Verwerfungen führen, die längst überwunden geglaubte Gefahren genozidaler Vernichtung hervorbringen.

Doch schon bei den dafür in Anspruch genommen Gründen - und um so mehr bei den daraus gezogenen Schlußfolgerungen für die zu ergreifenden Maßnahmen - scheiden sich die Geister. Im unerschütterlichen Glauben an den Genius menschlicher Erfindungskraft und die tiefgreifende Wirkung technologischer Innovation wird die Möglichkeit, das Ruder noch herumzureißen und das Schlimmste zu verhindern, auf eine Art und Weise propagiert, die sich realpolitisch in weiteres Abwarten übersetzt oder der Ausbildung einer sogenannten Resilienz das Wort redet, die der etablierten Herrschaftsordnung über ihr Verfallsdatum hinaus zu untoter Existenz verhelfen soll. Die schlichte Einsicht, daß die explosive, durch fossile Energie befeuerte Produktivkraftentwicklung seit Beginn der Industrialisierung im ersten Schritt dem Insistieren auf bürgerliche Klassenherrschaft und der Unterdrückung dagegen gerichteter sozialrevolutionärer Veränderungen geschuldet ist, legt eine Reihenfolge erforderlicher Transformationsschritte nahe, laut der ohne soziale Emanzipation kein Ende des patriarchalen Anspruches auf Herrschaft über die Natur und Ausbeutung sogenannter Rohstoffe als wertschaffender Faktor industriekapitalistischer Produktion zu erwirken ist.

Der in Australien durch eine über Wochen anhaltende Hitzewelle und Trockenheit entfachte Brand bietet ein eindrückliches Bild weltweit bevorstehender Veränderungen. Auch er ist nicht das Resultat eines Generationenkonfliktes oder Umweltproblems, wie die Satire über die als "Umweltsau" titulierte "Oma" glauben macht. Wer darüber nicht lachen kann, muß kein Nazi sein, der meint, auf diesem Weg Stimmung für die eigene menschenfeindliche Agenda machen zu können. Die Freiheit der Satire ist zu gewährleisten, gerade weil sie nicht mit einer qualitativen Bewertung von amtlichen wie selbsternannten ZensorInnen angegriffener Texte zu verwechseln ist.

Die dem Begriff der "Umwelt" innewohnende Distanz ist ein Grund dafür, warum die Hütte, in der sich die Menschen sicher vor dem Unbill natürlicher Gewalten fühlen, erst abbrennen muß, bevor sie erkennen, daß sie mit dem Feuer ihres Stoffwechsels unauflöslich in die Naturverhältnisse eingebunden sind, denen sie sich so überlegen fühlen. Das in der monotheistischen Tradition verankerte Prinzip, sich die Natur untertan zu machen, ist weit mehr als ein ideengeschichtliches Motiv. Mit ihm wird die schon zuvor existierende Doktrin der Aneignung des Lebens durch den Menschen zu einem patriarchalen Imperativ von ökozidaler Konsequenz vertieft, das im Vorrecht der keiner weiteren Legitimation bedürfenden Entscheidung darüber, wer leben darf und wer sterben muß, seinen entscheidenden Ausdruck findet.

Das Verständnis vom Menschen als autonomes, natürlichen Bedingungen qua seines Geistes enthobenes Lebewesen hat sich als anthropozentrisches Prinzip verstetigt, das anderen Lebewesen den Subjektstatus verwehrt und sie als Objekte freizügigen Verbrauches deklariert. Die "Umwelt" nicht nur als Ressource zu bewirtschaften, sondern auch als Grundlage menschlichen Lebens zu erhalten ändert an ihrem Objektstatus und ihrer fremdnützigen Verfügbarkeit nichts. Die Dominanz marktförmiger Instrumente bei der Regulation des Klimawandels ist ein Ausdruck der vermeintlichen Quantifizierbarkeit eines Problems, dessen "Beherrschbarkeit" durch die kaum absehbare Komplexität langfristiger Wirkungsverläufe wie die mangelnde Bereitschaft der Menschen, die kollektive Transformation gesellschaftlicher Naturverhältnisse an die Stelle sozialdarwinistischer Überlebenskämpfe zu setzen, überzeugend dementiert wird.

Die zum Jahreswechsel durchs Dorf getriebene "Umweltsau" ist mithin kein Charakteristikum fortgeschrittenen Lebensalters, sondern karikiert das allgemeine Unvermögen, die eigene, von anthropozentrischer Ignoranz und patriarchaler Gewalt geprägte  Beteiligung am Weltenbrand überhaupt als solche zu verstehen. Auch bleibt die Frage, was ein weibliches Schwein als mit Schimpf und Schande beladenes Symbol für besonders destruktives Verhalten qualifiziert, ungestellt. Sogenannte Nutztiere weiblichen Geschlechtes haben, weil ihre Reproduktionssubstrate aufgrund ihres besonders hohen Gehaltes an Eiweiß und Wachstumsinhibitoren intensiv bewirtschaftet werden, ein besonders trauriges Dasein. Ihnen wird nicht nur der Nachwuchs genommen, den zu produzieren sie mit technisch induzierter Schwangerschaft bei entsprechend schmerzhafter Deformierung ihrer auf Hochleistung zugerichteten Physis genötigt werden, sie bleiben dennoch nicht vom Schlachten verschont, wenn ihre biologische Produktivkraft nicht mehr den hochgesteckten Normen ökonomischer Effizienz in der Tierhaltung genügt.

Der als Symbol von Dreck und Schmutz, Niedertracht und Gemeinheit gehandelten Sau ist nichts besseres zugedacht, als im Kastenstand unter stark eingeengten, den Kontakt zu ihrem Nachwuchs verhindernden Bedingungen so viele Ferkel wie möglich zur Welt zu bringen, die nach wenigen Monaten in einer Schlachtfabrik durch Ersticken im Kohlendioxidschacht auf grausame Weise zu Tode gebracht werden. Daß sie in ihren Fäkalien liegen muß ist keineswegs Anlaß zu Wohlbehagen, ganz im Gegenteil. Schweine sind reinliche Tiere, die wie Menschen einen besonderen Ort zum Ausscheiden von Harn und Kot haben, anstatt den Platz zu verschmutzen, an dem sie leben, schlafen und essen. Die ihnen entgegengebrachte Verächtlichkeit sagt mithin nur etwas über diejenigen aus, die meinen, sich für etwas Besseres zu halten.

Der bedenkenlosen Verächtlichtkeit des umfassenden Arsenals an mit Tiermetaphern arbeitender Verbalinjurien entspricht die Herabwürdigung von VeganerInnen oder AktivistInnen, die sich für MigrantInnen und Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, als "Gutmenschen" oder Schlimmeres. Sie zu Feindbildern zu machen, weil sie mitunter verbreitete menschliche Schwächen wie die moralische Verabsolutierung ihrer Position an den Tag legen oder einem eher naiven Verhältnis zum Glauben an die Wirksamkeit veränderter Konsumgewohnheiten frönen, verrät ebenfalls mehr über die UrheberInnen als die AdressatInnen derartiger Anwürfe. So belanglos verbale Ausfälle dieser Art erscheinen mögen, sie bergen den Keim von Verteilungskämpfen in sich, bei denen die Menschen sich einmal mehr fassunglos fragen werden, woher nur die Mordlust des eigenen Nachbarn stammt.

Satirische Überspitzungen könnten auch derartige Widerspruchskonstellationen bewußt machen, doch bedarf es dazu etwas mehr an Mut, als im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf oberflächliche Weise Frontverläufe zu markieren, die die grundlegenden Konflikte eher verbergen denn offenlegen. Der soziale Krieg, dem weltweit permanent zahlreiche Menschen zum Opfer fallen, spitzt sich in der ökologischen Krise nicht als Sekundärphänomen zu, sondern ist der konstitutive Faktor ihrer Verschärfung. Was in der Konsequenz auf eine kollektive Gegenbewegung hinauslaufen müßte, ist am ehesten in antirassistischen, antikapitalistischen, antipatriarchalen und antspeziesistischen Initiativen anzutreffen. Sollte deren gesamtgesellschaftlich randständiger Charakter zur Wirkmächtigkeit massenhaften Widerstandes aufwachsen, dann läßt sich auch über den Horizont befürchteter Finalität hinausdenken.


Fußnote:

[1] Russell Jacoby: Soziale Amnesie, Frankfurt am Main 1978, S. 167

[2] http://lifeworth.com/DeepAdaptation-de.pdf

[3] https://theclimatecenter.org/dr-peter-carter-summarizing-the-lack-of-climate-emergency-at-cop25/

31. Dezember 2019


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