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KULTUR/1045: Indymedia linksunten-Verbot - ins Leere greifen und fündig werden ... (SB)



Bei "linksunten indymedia" handelt es sich um eine Vereinigung, zu der sich beim Gründungstreffen im Jahr 2008 mehrere Personen zu dem gemeinsamen Zweck, durch den Betrieb der Internetplattform eine "linke Gegenöffentlichkeit" herzustellen und soziale Bewegungen auch auf lokaler Ebene stärker zu vernetzen, freiwillig zusammengeschlossen haben.
Aus der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Bestätigung des Verbotes von Indymedia linksunten [1]

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot der Nachrichtenplattform Indymedia linksunten bestätigt, indem es die Existenz eines seiner Ansicht nach vorhandenen, mit den Prozeduren des Vereinsrechtes aber niemals offiziell eröffneten Vereins als gegeben ansah. Weil die fünf Personen, denen die mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen begründete Verbotsverfügung zugestellt wurde, dem nichtvorhandenen Verein nicht angehörten, wie sie in Leizpig erklärten, die inkriminierte Vereinigung jedoch selbst gegen das Verbot vor Gericht hätte auftreten müssen, wurden die durch den damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière im August 2017 geltend gemachten Verbotsgründe [2] nicht weiter auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersucht.

Auf die zentrale demokratietheoretische Frage der Legalität derartiger Einschnitte in die grundrechtlich garantierte Freiheit der Meinungsäußerung wurde randläufig dennoch insofern eingegangen, als die Absicht, eine "linke Gegenöffentlichkeit" herzustellen, in kausalen Zusammenhang mit dem ergangenen Vereinsverbot gebracht wurde. Dadurch, daß das Leipziger Gericht die Verbotsbegründung der Exekutive bestätigt hat, zementiert es auch deren Deutungsmacht über das, was an kritischen Stellungnahmen und politischer Kommunikation zu erlauben und zu verbieten wäre. Unterstellt wird implizit eine potentielle Angreifbarkeit des Staates durch die radikale Linke, gegen die vermeintlich nur Verbote helfen, und zwar gleich der ganzen Kommunikationsstruktur und nicht nur einzelner beanstandeter Inhalte wie etwa der vielzitierten Aufrufe zur Gewalt. Das bedeutet folgerichtig, daß nach dem Muster, die Existenz eines Vereins zu postulieren und diesen dann als verfassungsfeindlich zu verbieten, alle möglichen Erscheinungsformen in irgendeiner Form selbstorganisierter politischer Positionierung am Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit vorbei kriminalisiert werden könnten.

Warum eine sich im Spektrum politischer Standorte als "linksunten" verortende Struktur, in der vor allem über aktivistische und politische Fragen debattiert wurde und zahlreiche Beiträge von hohem inhaltlichen Reflexionsniveau veröffentlicht wurden, so viel gefährlicher sein soll als die Allgegenwart sozialer Netzwerke, in denen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Sozialchauvinismus weithin unbehindert aggressive Blüten treiben, kann letztlich nur in Hinsicht auf die prinzipielle Feindseligkeit von Staat und Kapital verpflichteter Institutionen gegenüber der sozialen Opposition verstanden werden. So erfolgte das Verbot im Sommer 2017 nur fünf Wochen nach den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg, über die auf Linksunten indymedia ausgiebig, kontrovers und vor allem hochgradig engagiert diskutiert wurde. Was sich der Staat angeblich an mündigen BürgerInnen wünscht, bei Einlösung dieses Anspruches in denkbarer Freiheit von Wort und Schrift jedoch fürchten zu scheint, lud dort in basisaktivistischer Urform zum aktiven Gespräch und zu zugewandter Lektüre ein.

2017 war zudem ein Sommer aufwallender Klimaproteste nicht nur im Rheinischen Braunkohlerevier, sondern auch im Vorfeld des Anfang November in Bonn stattfindenden Weltklimagipfels COP 23. Auch dort hätte Indymedia linksunten eine wichtige Rolle bei der Organisation von Protesten spielen können. Zudem war es eine zentrale Plattform für die antifaschistische Vernetzung und Informationsbeschaffung durch Rechercheteams, die Nazivereinigungen und rechtsradikalen Gruppen mit der Veröffentlichung konkreter Informationen zu deren Strukturen und der fotografischen Sichtbarmachung einzelner Personen auf den Leib rücken. Dort geschah im Kampf gegen den neuen Faschismus in aller Öffentlichkeit, was die Behörde, die Indymedia linksunten verboten hat, mit einem gigantischen Aufklärungsapparat namens Verfassungsschutz im Geheimen vollzieht. Zudem wird in diesem überreichlich bemittelten Apparat nicht nur unter der Ägide des politisch eindeutig zu verortenden Hans-Georg Maaßen gegen rechtsaußen sehr viel zurückhaltender aufgetreten, als es die kostenlos arbeitenden Rechercheure der Antifa tun.

Kurzum, die "linke Gegenöffentlichkeit" hat mit Indymedia linksunten viel besser funktioniert, als wenn versprengte Gruppen und Initiativen ihre jeweils eigene Webseite unterhalten, sich in Facebook-Gruppen virtuell treffen oder über Twitter kommunizieren. In diesen Fällen sitzen zahlreiche unsichtbare AkteurInnen mit im Boot und arbeiten den Staatsschutzbehörden zu, wenn diese etwa vorhaben, Ermittlungen im Rahmen des Vereinigungsstrafrechtes nach Paragraph 129 a und b aufzunehmen. Eine selbstorganisierte Kommunikationsplattform, die wirksame Maßnahmen gegen die Ausspähung anonymer VerfasserInnen von Textbeiträgen als auch die Durchsuchung der dafür genutzten Rechner trifft, kann dem Staat da nur ein Ärgernis sein. Daß dessen Innenminister so weit geht, eine bei vermutlich Zehntausenden von AktivistInnen der außerparlamentarischen Opposition und politisch interessierten Menschen beliebte Struktur schlicht zu verbieten und damit ihren ganzen Textfundus aus dem Verkehr zu ziehen, ist eine klassische Zensurmaßnahme, bei der sich im Falle eines bürgerlichen Mediums lauter Protest geregt hätte.

Das Verbot von Indymedia linksunten hingegen wurde von Pressemenschen, MedienarbeiterInnen und berufständischen Organisationen von JournalistInnen nur zurückhaltend kommentiert. Auch die angeblich an liberalen Werten so interessierten PolitikerInnen der Grünen ließen sich nicht aus der Reserve locken, wie der Verfasser dieser Zeilen erleben konnte, als er einen Tag nach der Großaktion der Polizei gegen die vermeintlichen Strukturen von Indymedia linksunten in Freiburg bei einem Wahlkampfauftritt der Partei- und Fraktionsspitze der Bundesgrünen am Hambacher Forst die Frage stellte, was die anwesenden PolitikerInnen zu der Verbotsaktion zu sagen hätten. Das Thema wurde mit dem Abbruch des Fototermins schnell vom Tisch gewischt, niemand fand sich bereit, vor versammelter Presse ein Wort zu diesem Schlag gegen die politische Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik zu äußern [3].

Um so wichtiger sind nicht von der observierenden und zensierenden Gewalt kommerzieller sozialer Netzwerke wie der Finanzierung durch Parteistiftungen und NGOs abhängige Möglichkeiten zum Gedankenaustausch, zum produktiven politischen Streit und zum eingreifenden Organisieren eigener Handlungsfähigkeit. Auch von der bürgerlichen Presse und den öffentlich-rechtlichen Medien ist bei der Verteidigung demokratischer Grundrechte nicht viel Unterstützung zu erwarten, wie die harschen Kommentare zur Leipziger Solidaritätsdemonstration im Vorfeld des Gerichtstermins und die weitgehend unkritische Akzeptanz des Leipziger Urteils belegen. Zudem muß befürchtet werden, daß einer schlußendlich rechtlich legitimierten Plattform auf diese oder jene Weise Auflagen gemacht würden, die die Freiheit dort vertretener Positionen und Ansichten einschränken.

Schon wegen der zusehends für autoritäre Maßnahmen und sozialdarwinistische Ideologien offenen Bevölkerung der Bundesrepublik, deren objektive Gründe, um den Bestand ihres relativen Wohlstandes zu fürchten, immer häufiger zu subjektiver Regression und vorauseilender Unterwerfung mit fataler Verlaufsprognose führen, sind Informationen, Austausch und Diskussion abweichender und widerständiger Art vonnöten [4]. Das Minimum eines von Überwachung und Verbotsdruck freien Diskurses findet immer noch zwischen Menschen statt, ohne auf informationstechnische Systeme zwingend angewiesen zu sein. Am Zweck der unabhängigen Verbreitung von Gegennachrichten, so der Gründungsimpuls des globalen Netzwerkes Independent Media Center (Indymedia)vor über 20 Jahren, hat sich nichts geändert, wohl aber an den technischen Formen der Kommunikation. Sich darüber verstärkt auszutauschen könnte ein Nebenprodukt der laut den AnwältInnen der Verteidigung geplanten Fortsetzung des Klageweges vor dem Bundesverfassungsgericht sein.


Fußnoten:

[1] https://www.bverwg.de/pm/2020/5

[2] http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0298.html

[3] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0091.html

[4] http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0299.html

30. Januar 2020


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