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KRIEG/1324: Argumente für Afghanistankrieg immer unglaubwürdiger (SB)



Unterschiedlichen Angaben zufolge sind am Montag zwischen 70 und 150 Zivilisten bei Bombenangriffen der sogenannten Coalition Forces, sprich Besatzungstruppen, auf ein im Bezirk Bala Buluk in der westafghanischen Provinz Farah nahe der Grenze zum Iran gelegenes Dorf ums Leben gekommen. Dieses Massaker erfolgte kurz bevor der afghanische Präsident Hamid Karzai in Washington mit dem pakistanischen Präsidenten Ali Asif Zardari zusammentrifft. Ob dieser Luftangriff von US-Kampfflugzeugen geflogen wurde, geht aus den Berichten nicht eindeutig hervor, ist aber zu vermuten.

Meldungen wie diese dürften die Einschätzung des SPD-Außenpolitikers Hans-Ulrich Klose, daß vielen Menschen in Deutschland "nicht recht verständlich" sei, "was wir dort eigentlich tun", bestätigen. Allerdings gilt dies auch für seinen Umgang mit dieser offenen Frage:

"Man muss, um das zu beantworten, an zwei Dinge erinnern: an die Tatsache, dass nach den Anschlägen von New York und Washington, die ja in Afghanistan geplant worden sind und von dort ausgegangen sind, ein deutscher Bundeskanzler den Amerikanern Solidarität zugesagt hat, und zwar uneingeschränkte Solidarität. Das war Gerhard Schröder.

Und zweitens muss man an einen Spruch des früheren Verteidigungsministers Peter Struck erinnern, der etwas verkürzt, aber wie ich finde zutreffend formuliert hat, dass wir am Hindukusch auch unsere Sicherheit verteidigen, und das ist richtig, weil wenn Afghanistan wieder ein Hort des Terrorismus wird, ein Stützpunkt für Al-Kaida, dann sind auch wir Europäer gefährdet, wie die Anschläge in Madrid und in London bewiesen haben."
(06.05.2009, Deutschlandradio Kultur)

Klose beruft sich auf ehemalige Amtsträger, als sei die Welt stehengeblieben und keine andere Option in Sicht, das angebliche Problem Afghanistan in den Griff zu bekommen. Acht Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 könnte die Nachfolgerin Schröders durchaus wortbrüchig werden, zumal uneingeschränkte Solidarität mit den USA auch bedeuten könnte, sich gerade nicht an Kriegen zu beteiligen, in denen US-Bürger sterben und die zur Verarmung der US-Bevölkerung beitragen. Bei den vielen Versprechen, die SPD-Politiker ihren Wählern gemacht und die sie nicht gehalten haben, ist ihnen auch kein Zacken aus der Krone gefallen. Klose mahnt etwas an, das viele Bundesbürger längst verworfen haben, nicht um Schröder gerecht zu werden, sondern um die Hegemonialinteressen führender Kreise zu sichern.

Nicht eben überzeugender ist das zweite Argument, könnte doch, selbst wenn es so wäre wie Klose behauptet, jedes andere Land dazu dienen, derartige Anschläge vorzubereiten. Es macht wenig Sinn, wenn die sogenannten Terrorismusexperten auf der einen Seite behaupten, man habe es mit einer so unsichtbaren wie allgegenwärtigen Bedrohung zu tun, die gerade deshalb so gefährlich wäre, weil die Terroristen jederzeit wie aus heiterem Himmel zuschlagen könnten, um auf der anderen Seite eine Gefahrenabwehr zu propagieren, die in der Beherrschung eines konkret umrissenen staatlichen Territoriums besteht. Der irreguläre und entgrenzte Charakter des Terrorismus verlange nach innovativen Formen polizeilicher und militärischer Bewältigung, werden die Verfechter des totalen Sicherheitsstaats nicht müde zu fordern. Das auf Afghanistan angewendete Argument der Prävention läuft jedoch auf die Doktrin hinaus, die barbarischen Horden weit vor dem Erreichen der eigenen Grenzen zurückzuschlagen, sprich einem territorial definierten strategischen Konzept zu folgen, das bei den Betroffenen vor allem den Wunsch nach Vergeltung weckt. Das Zerstören von Häusern, in denen Zivilisten Schutz suchen, hat mit der Bekämpfung von Attentatsplanungen nur so viel zu tun, als daß es zu diesen geradezu anfeuert.

Wenn Klose darauf verweist, daß der UNO-Sicherheitsrat zwei Mal festgestellt habe, "dass hier eine Gefährdung des Weltfriedens vorliege," läuft dies auf versuchte Täuschung der Bevölkerung hinaus. Eine völkerrechtliche Legitimation des Afghanistankriegs hat es nie gegeben, statt dessen behalf man sich mit Auslegungen von höchst windiger Art. Am 12. September 2001 erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in Resolution 1368:

"Der Sicherheitsrat, entschlossen, die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch terroristische Gewalttaten mit allen Mitteln zu bekämpfen, in Anerkennung des naturgegebenen Rechts zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, in Übereinstimmung mit der Charta, verurteilt unmißverständlich und auf das schärfste die abscheulichen terroristischen Gewalttaten, die am 11. September 2001 in New York, Washington D.C. und Pennsylvania verübt wurden, und betrachtet diese Gewalttaten als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit."

Die damit zugestandene Selbstverteidigung wird nicht umsonst "in Übereinstimmung mit der Charta" gewährt, denn die Satzung der Vereinten Nationen sieht prinzipiell vor, daß die Weltorganisation über die Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Gewalt und Gegengewalt entscheidet. Das muß für einen Fall, bei dem sich die vermeintlichen Angriffshandlungen auf einen Tag beschränkt haben, in besonderem Maße gelten. Das Gewaltverbot nach Artikel 2 der UN-Charta läßt die in Artikel 51 prinzipiell gewährte Selbstverteidigung ohne vorherige Abstimmung mit dem UN-Sicherheitsrat nur unter den sehr eingeschränkten Umständen eines feindlichen Angriffs zu, dessen unmittelbare und überwältigende Wucht keine Wahl der Mittel und keine Zeit für Beratungen läßt.

Davon konnte keine Rede sein, zumal weder die Täterschaft einer Einzelperson und schon gar nicht die Einmischung eines Staates zweifelsfrei bewiesen war. Die einzige völkerrechtliche Basis für einen Krieg hätte in einem Beschluß des Sicherheitsrats auf der Basis von Kapitel VII der UN-Charta bestanden. Das Gremium würde von einem bedrohten Land angerufen, um über ein Vorgehen gegen den Aggressor, das auch militärische Mittel beinhalten könnte, zu befinden. Entschlösse man sich zu einem Krieg, dann stellte der UN-Sicherheitsrat ein Mandat für die Streitkräfte einzelner Länder oder auch eines Bündnisses kollektiver Sicherheit aus und ermächtigte diese zu Kriegshandlungen.

Die Resolution des UN-Sicherheitsrats 1373 vom 28. September 2001 widmete sich zwar allgemein der Bekämpfung des Terrorismus, sprach sich jedoch an keiner Stelle für den Einsatz militärischer Gewalt aus. Eine genaue Textanalyse beider Resolutionen erbringt, daß Kriegsbefürworter wie Klose mutwillig einzelne Passagen des Texts aus seinem Kontext reißen, um den irreführenden Eindruck zu erzeugen, der Krieg gegen Afghanistan sei vom UN-Sicherheitsrat mandatiert worden.

Im Unterschied zum Jahre 2001 hat man heute acht Jahre Krieg am Hindukusch geführt, und das Blutvergießen nimmt weiter zu. Klose wandelt mit seinem Rechtfertigungsversuch aus gutem Grund auf dünnem Eis, denn hier gibt es nichts zu beschönigen. Die Kriegführung der NATO in Afghanistan wird von imperialistischen Zielen geleitet, so viel reiner Wein müßte den Bundesbürgern schon eingeschenkt werden. Das vermeiden auch jüngere SPD-Politiker wie der sich gerne friedensbewegt gebende Nils Annen, wenn er in der Debatte über die Aufnahme von Häftlingen aus Guantanamo erklärt, diese sei nicht nur aus humanitären Gründen sinnvoll. Es liege "auch im deutschen Interesse, weil wir etwa in Afghanistan in Mithaftung für die verfehlte Politik des früheren US-Präsidenten George W. Bush genommen werden", behauptete Annen gegenüber der Berliner Zeitung.

Wo US-amerikanische Truppen wie die Axt im Walde hausen, da führen deutsche Soldaten gerechte Kriege. Die Bundesrepublik hat sich von Anfang an an Operation Enduring Freedom beteiligt, in deren Rahmen die Eroberung Afghanistans erfolgte. Nun, da die Sache nicht zur Zufriedenheit verläuft, sind natürlich die anderen schuld. Dennoch soll bis zum bitteren Ende durchgehalten werden, was wiederum bedeutet, eben die Methoden der Kriegführung zu übernehmen, die man abzulehnen behauptet. Die schwachen Argumente dieser beiden Politiker zeugen davon, auf welch dünnen Beinen der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr steht. Desto unverhohlener wird mit unlauteren Argumenten, dem falschen Schein unabdinglicher Sachzwänge und einem Herrschaftsmanagement, das Karzais Entmachtung vorbereitet, um einen noch willigeren Prokonsul der NATO-Staaten einzusetzen, nachgebessert.

6. Mai 2009