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KRIEG/1352: Siegreich sollst du sein ... vom Elend der Debatte um den Afghanistankrieg (SB)



Es gibt viele Gründe, um gegen den Krieg in Afghanistan zu sein, doch in der aktuellen Debatte gewinnt ausgerechnet einer der schlechtesten Oberhand. Nicht nur ehemalige Generäle und Verteidigungsminister fordern den absehbaren Abzug der Bundeswehr vom Hindukusch, weil dieser Krieg für die deutschen Streitkräfte nicht zu gewinnen wäre. Auch der Verleger einer Wochenzeitung mit linkem Selbstverständnis wirft das Gewicht seines illustren Namens in die Arena einer Diskussion, in der man sich betont pragmatisch gibt, um weiteren militärischen Abenteuern keine Steine in den Weg zu legen, die sich nicht mehr so leicht überwinden lassen, wie es mit dem grundgesetzlichen Verbot des Vorbereitens von Angriffskriegen gelang.

Jakob Augstein, der im Frühjahr der Wochenzeitung Freitag ein neues, bunteres Erscheinungsbild verpaßte und das profilierte Forum linksintellektueller Reflexion einem inhaltlichen Kurswechsel hin zu seichteren und erfreulicheren Ufern unterzog, stellte dort am 14. August fest, daß der Westen den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen könne. Der Sohn des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein diagnostiziert, daß der Westen "die Kluft zwischen seiner demokratieseligen Rhetorik und der Realität am Hindukusch mit immer mehr Geld, immer mehr Waffen, immer mehr Soldaten schließen" wolle und dabei immer mehr Tote produziere. Indem Augstein die Kriegspropaganda der NATO, in Afghanistan ginge es um Freiheit und Demokratie, für bare Münze nimmt und ihre Unvereinbarkeit mit der Wirklichkeit im Lande konstatiert, versucht er einen breiten Konsens zwischen unentschlossenen Bürgern und traditionellen Kriegsgegnern zu stiften.

Was aus Sicht des Verlegers opportun erscheinen mag, weist den vorgeblichen Kritiker als besseren Feldherrn aus. Augstein sucht Anschluß an die politische Mitte, indem er konstatiert, daß man, um gegen diesen Krieg zu sein, "kein Pazifist (...) und auch kein deutsch-micheliger Isolationist" sein müsse. Es genüge "ein nüchterner Blick", um zu dem Schluß zu gelangen: "In Afghanistan führt der Westen einen Krieg, den er nicht gewinnen kann". So relevant die Gründe dafür sein mögen, die Augstein anführt, so sehr erweist sich all dies unter der Maßgabe von Erfolg oder Mißerfolg als nachrangig. Die Probe aufs Exempel wäre mit der Antwort auf die Frage zu stellen, wie man denn weiter verfahren würde, wenn ein Sieg in Aussicht stände.

Dieser wachsweichen Haltung gegenüber dem Problem imperialistischer Kriegführung ist auch Augsteins Appell an die SPD geschuldet, "den Fehler der Struckschen Polit-Geografie zu korrigieren und die Räumung des Hindukusch zu fordern". Die Neuauflage eines Wahlkampfcoups wie desjenigen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, sich dem Irakkrieg zumindest im Extrem der Entsendung deutscher Truppen zu verweigern, läßt sich schon deshalb nicht eins zu eins auf den Afghanistankrieg übersetzen, weil dieser Bestandteil der deutschen Beteiligung am Terrorkrieg Washingtons war und ist. Nämlicher Gerhard Schröder, von dem Augstein behauptet, er hätte sich als Kanzler vor dieser Bundestagswahl für einen Rückzug aus Afghanistan eingesetzt, hat sein ganzes Gewicht zum Preis des möglichen eigenen Untergangs in die Waagschale geworfen, um die Zustimmung des Bundestags zu diesem Krieg zu erzwingen. Sein Verteidigungsminister Peter Struck, der den Horizont deutscher Kriegsbeteiligung gerade noch einmal auf zehn Jahre erweitert hat, was gleichbedeutend ist mit einem offenen Ende, hat seine "Polit-Geografie" von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch in Übereinstimmung mit Schröder entwickelt, um die Bundesrepublik nicht nur für Afghanistan kriegsbereit zu machen.

Was gerne übersehen wird, wenn die Frage der deutschen Kriegsbeteiligung debattiert wird, ist der Laborcharakter der Befriedung Afghanistans. Die dort ausprobierten Konzepte der Friedenserzwingung und Demokratisierung, der Counterinsurgency und des Nation Building kommen gerade in der Diversität der beteiligten NATO-Staaten einem Großexperiment unter härtesten, weil realistischen Bedingungen gleich. Der Ausgang des Wettbewerbs der verschiedenen Rezepturen und Methoden zur Durchsetzung westlicher Interessen in weniger entwickelten Weltregionen entscheidet nicht nur über die Zukunft der Afghanen, sondern wird maßgeblichen Anteil daran habe, wie die politische Durchsetzbarkeit imperialistischer Kriege zukünftig gestaltet werden wird. Nicht nur die NATO hat ihre Existenz an den Erfolg in Afghanistan geknüpft, sondern die Glaubwürdigkeit der kapitalistisch globalisierten Weltordnung unter Kuratel westlicher Ordnungspolitik steht und fällt mit der Entwicklung in Zentralasien.

Zu erwarten ist die Verschärfung der westlichen Kriegführung etwa im Sinne des Newsweek-Kommentators Christopher Dickey, der kaum verhohlen dazu auffordert, die Zivilbevölkerung, die den Taliban Deckung gibt, auf vernichtende Weise militärisch abzustrafen. Dieser Strategie nicht unverwandt ist die Schärfung der repressiven Mittel, mit denen den Bevölkerungen der NATO-Staaten der Widerstand gegen imperialistische Politik ausgetrieben wird. Den Abzug der Bundeswehr zu fordern, ohne die relevanten Gründe ihrer Anwesenheit am Hindukusch zu nennen, verbleibt im Feld einer Wahlkampfrhetorik, die den Niedergang des ehemaligen Ost-West-Magazins Freitag seit Übernahme durch den neuen Verleger nicht besser dokumentieren könnte.

21. August 2009