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KRIEG/1432: Schadensbegrenzung durch Beschwichtigung ... Köhler rudert zurück (SB)



In einer vom Kult der Echtzeitinformation bestimmten Medienwelt, in der Minuten über den geschäftlichen Erfolg von Nachrichtenagenturen entscheiden und das Aktualitätsprimat einmal täglich erscheinende Zeitungen zu Anachronismen aus dem letzten Jahrhundert degradiert, mutet es schon ein wenig merkwürdig an, wenn es fünf Tage dauert, bis eine elementare Aussage des deutschen Staatsoberhaupts durch Politik und Medien rezipiert wird. Schließlich handelt es sich bei Horst Köhler nicht um einen der zahllosen Wichtigkeitsproduzenten, die sich allerhand einfallen lassen müssen, um auf dem Markt der Aufmerksamkeit Beachtung zu finden. Der Bundespräsident wird insbesondere bei Auslandsreisen stets von Journalisten begleitet, zudem verfügt das Bundespräsidialamt über eine eigene Presseabteilung, die im Zweifelsfall nachhelfen kann, wenn etwas nicht so ankommt, wie es ankommen soll.

Im Falle des Interviews, daß Horst Köhler auf dem Rückflug von seinem unangekündigten Blitzbesuch im Feldlager der Bundeswehr im nordafghanischen Masar-i-Scharif mit Christopher Ricke für Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk führte, mußte man den Eindruck gewinnen, daß es so schlecht ankam, daß entscheidende Passagen am besten gar keine weitere Verbreitung finden sollten. Mittlerweile hat Deutschlandradio Kultur unter der Webadresse, unter der der um 7.51 am 22. Mai ausgestrahlte Teil des Interviews, der die heute diskutierten Aussagen Köhlers enthält, als Audiomitschnitt verfügbar gemacht wurde, das dort unvollständige Interview [1] mit dem Verweis auf eine andere Seite des Senders ergänzt, auf der sich die komplette Fassung des Interviews findet. Am Schluß dieser Version wird als "Letzte Änderung" die Zeitmarke "27.05.2010 13:57 Uhr" angegeben [2]. Offensichtlich hat man nachgebessert, womöglich nicht zuletzt aufgrund reger Reaktionen der Zuhörer. Diese hatten, wie in der Anmoderation eines Interviews des Deutschlandfunks mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz, um 7.15 am 27. Mai erklärt wurde, die Stellungnahme des Bundespräsidenten in ungewöhnlich großer Zahl mit zum Teil empörten E-Mails kritisiert.

Kurz gesagt, Politik und Medien wurden mit fünftägiger Verspätung doch noch von einer Stellungnahme des protokollarisch höchstrangigen Repräsentanten der Bundesrepublik eingeholt, die es allemal verdient, nicht unbeachtet in den Archiven zu verschwinden. Wie an dieser Stelle am Tag der Ausstrahlung des Interviews dokumentiert [3] hat Köhler die Bedeutung von Wirtschafts- und Handelsinteressen für Auslandseinsätze der Bundeswehr unterstrichen und als Ergebnis eines breiten gesellschaftlichen Diskurses antizipiert, um die Zustimmung der Bürger zur Kriegführung der Bundesregierung im allgemeinen und die Unterstützung der Soldaten im besonderen zu fördern.

Nun findet der vom Bundespräsidenten angemahnte Diskurs statt, und er scheint in Anbetracht seiner deutlichen Worte nicht den erwünschten Verlauf zu nehmen. Die Begeisterung hält sich in engen Grenzen, statt dessen suchen die Befürworter des Krieges ihr Heil in der Defensive. Offensichtlich sind die Bundesbürger noch nicht dazu bereit, sich zu einer offen imperialistischen Kriegführung zu bekennen. Sie müssen mit Legitimationsfassaden abgespeist werden, die zu verteidigen nun die Aufgabe all jener Politiker ist, die das ISAF-Mandat für die Bundeswehr alljährlich erneuern.

So verlegt sich Polenz im Deutschlandfunk [4] auf die Sprachregelung, daß Köhler sich "hier etwas missverständlich ausgedrückt" habe. Er wollte doch "nur deutlich machen, dass Deutschland mit seinem Einsatz in Afghanistan einen Beitrag zur internationalen Sicherheit und Stabilität leistet", rekurriert Polenz auf die offizielle Kriegslegitimation, um dem Bundespräsidenten auf halbem Weg entgegenzukommen, da "wir" von regionalen Instabilitäten wie im Falle Pakistans und Afghanistan "natürlich auch in einer globalisierten Welt betroffen wären, auch wenn das scheinbar weit entfernt ist." Allerdings, so Polenz zum Interesse der Bundesrepublik "an freien Handelswegen", wären Interventionen wie im Fall der Piraterie am Horn von Afrika selbstverständlich an "ein klares, völkerrechtliches Mandat und ein multilaterales Vorgehen" gebunden.

Deutschlandfunk-Moderator Tobias Armbrüster bringt diese Scharade mit seiner Nachfrage zu Klarstellung "Sie sagen jetzt, er habe sich etwas unmissverständlich ausgedrückt" perfekt auf den Punkt der von Polenz betriebenen Beschwichtigung, sind die Worte des Bundespräsidenten doch von solcher Eindeutigkeit, daß die Richtigstellung des CDU-Politikers, er habe sich "Missverständlich ausgedrückt!", eigentlich eine Beleidigung jedes des Deutschen kundigen Zuhörers ist. Schadensbegrenzung ist das Gebot der Stunde, das sehen auch die sogenannten Oppositionsparteien SPD und Grüne so. "Köhler schadet der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr", rügt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, gegenüber Spiegel Online [5], um darauf zu insistieren, Deutschland führe in Afghanistan "keinen Krieg um Wirtschaftsinteressen, sondern es geht um unsere Sicherheit".

Oppermanns Warnung, daß wer anderes behaupte oder fordere, der Linkspartei das Wort rede, ist wiederum absichtsvoll mißverständlich, handelt es sich bei dieser Fraktion doch um die einzige, die sich bislang geschlossen gegen die Erneuerung des Afghanistanmandats stellte. Natürlich rennt der Bundespräsident bei der Partei Die Linke offene Türen ein, denn sie hat niemals etwas anderes gesagt als, wie Parteichef Klaus Ernst gegenüber Spiegel Online bestätigt, daß es bei diesem Krieg "um Einfluss und Rohstoffe" geht. Dies wird von der Linkspartei abgelehnt, so daß Köhler nicht im Sinn gehabt haben kann, dem politischen Gegner Zulauf zu bescheren. Daß seine Worte dennoch diese Wirkung haben könnten, liegt daran, daß parlamentarische Alternativen für Kriegsgegner nicht vorhanden sind. So mag die von Oppermann geltend gemachte Trennung von Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen bei lernresistenten Wählern seiner Partei verfangen, dürfte aber bei den Strategieexperten in der Ministerialbürokratie, in den Planungsstäben der Bundeswehr und den regierungsnahen Think Tanks mit vielsagendem Lächeln quittiert werden.

Selbstverständlich geht es bei der sogenannten Sicherheitspolitik im kapitalistischen Weltsystem stets um die Absicherung von Verwertungsinteressen, auch wenn kein vordergründiger Nutzen im Sinne geldwerter Beute wie in Afghanistan erkennbar ist. Nicht umsonst wurde in der sogenannten strategic community ausführlich über die Gefahr diskutiert, daß ein Scheitern der NATO in Afghanistan dem Militärbündnis eine schwere Legitimationskrise bescheren könnte, so daß ein erfolgreicher Verlauf schon aus diesem Grund geboten sei. Interventionistische Kriege haben stets auch Signalwirkung für diejenigen Staaten, die aufgrund ihrer antagonistischen Politik gegenüber Großmächten wie den USA als nächstes an die Reihe kommen könnten. Wenn die Bundesrepublik in diesem Konzert mitspielen und bei der Verteilung der Beute bedacht werden will, dann muß sie auch die unschöne Aufgaben übernehmen, die grausame Seite ihres Akkumulationssystems herauszukehren.

Der von Politikern der Linken vorgebrachte Einwand, daß der Krieg gegen den Terrorismus Terroristen erzeuge, gilt mit der Einschränkung, daß es sich bei nationalem Widerstand gegen fremde Besatzer nicht um ein Verbrechen handelt, selbst wenn die Akteure nicht unbedingt sympathisch sind, auch in Afghanistan. Menschen mit kriegerischen Mitteln zu peinigen, um in angeblich präventiver Verteidigung zu verhindern, daß sie Selbstmordattentäter in alle Welt schicken, könnte man fast als Schildbürgerstreich bezeichnen, wenn mit diesem offiziellen Kriegsgrund nicht die zentralen Beweggründe der Ratio imperialistischer Expansion hintertrieben würden.

Oppermann siedelt den Schaden bei der Vermittlung dieser Politik an, um nicht den Krieg selbst zum Problem erklären zu müssen. Als versierter Kulissenschieber tut sich auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frithjof Schmidt, hervor, wenn er Köhlers Äußerungen gegenüber Spiegel Online als "bestenfalls unglücklich" kritisiert. Das von ihm beim Bundespräsidenten ausgemachte "gefährlich falsche Verständnis von Auslandseinsätzen" läßt ein affirmatives Grundverhältnis zur Kriegführung in aller Welt erkennen, das an den gleichen ideologischen Bauchschmerzen wie das von Oppermann benannte Vermittlungsproblem krankt. SPD und Grüne haben einen Krieg zu verkaufen, den viele ihrer Wähler und Mitglieder nicht gutheißen können, den politisch zu legitimieren jedoch der Preis ihrer aus nämlichem Grund nicht in Frage gestellten "Regierungsfähigkeit" ist.

Da kann ein von der eigenen Vergangenheit als hochrangiger Beamter der nationalen wie internationalen Wirtschaftsadministration eingeholter Bundespräsident doch einigen Schaden anrichten, wenn er sich "unglücklich vergaloppiert", wie Markus Kaim von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im ZDF [6] behauptet. Die Erklärung des Sicherheitsexperten, daß die Bundesrepublik "an die bestehende klare Rechtssprechung gebunden" sei und diese "ein unilaterales militärisches Eingreifen aus wirtschaftlichen Gründen" ausschließe, verhindert allerdings keine Kriege, die im Verbund mit der NATO oder anderen EU-Staaten zur Mehrung des eigenen Einflusses geführt werden. Der Überfall der NATO auf Jugoslawien ist ein Beispiel, die mögliche Teilnahme an einem Krieg gegen den Iran wäre ein anderes. In letzterem Fall wäre sogar eine Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat zu haben, wenn sich die dort mit Vetorecht ausgestatteten Akteure einig werden. Dazu bedarf es nicht unbedingt der objektiven Bedrohung durch einen Aggressor, ist der UN-Sicherheitsrat doch ein supranationales Gremium, in dem Beschlüsse, auch wenn sie dem Geist der UN-Charta widersprechen, im Abgleich nationaler Interessen ausgehandelt werden können.

Um dem nun doch - unter beklagenswerter Dauerrotation immer gleicher Ausflüchte und Vorwände - stattfindenden "Diskurs" den Brennstoff des Streitpotentials zu entziehen, hat Bundespräsident Horst Köhler durch seinen Sprecher Steffen Schulze verlauten lassen, daß sich seine umstrittenen Äußerungen "auf die vom Deutschen Bundestag beschlossenen aktuellen Einsätze der Bundeswehr wie zum Beispiel die Operation Atalanta gegen Piraterie" bezögen. Afghanistan sei nicht gemeint gewesen, dementiert Schulze, als hätte der Bundespräsident nicht auch ein generelles Plädoyer für die Notwendigkeit militärischer Maßnahmen gehalten:

"Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern." [2]

Horst Köhler mag in der Annahme, daß der Mehrheit der Bürger ihr Wohlstand so wichtig ist, daß sie seinem Erhalt auch unter Waffengewalt zustimmten, über das Ziel hinausgeschossen sein. Er ist dennoch auf den Kern einer sozialdarwinistischen Überlebenslogik zu sprechen gekommen, die schon vor dem Einsatz militärischer Mittel auf dem Rücken der Armen und Schwachen in aller Welt ausgetragen wird. Vor dem Hintergrund einer wie selbstverständlich in Anspruch genommenen Klassenherrschaft, deren neokonservative Vordenker ihre Stimme immer lauter und aggressiver erheben, ist es mit einer an der Norm politischen Wohlverhaltens ausgerichteten Zurückweisung der Worte des Bundespräsidenten nicht getan. Weil er Klartext redete, wird er nun eines Fehlers und Irrtums bezichtigt, den er zurückzunehmen habe. Dies ändert nichts am Vormarsch der von ihm propagierten kriegerischen Interessenpolitik im Rahmen der NATO, der EU und der Bundesrepublik.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1393.html

[2] http://www.dradio.de/aktuell/1191138/

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1430.html

[4] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1190941/

[5] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,696982,00.html

[6] http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/25/0,3672,8075225,00.html

27. Mai 2010