Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1435: Gleichstellung im Krieg ... Genderdebatte zur Gewaltlegitimation (SB)



Das Thema Frauen und Krieg ist längst nicht mehr allein eines männlicher Täter und weiblicher Opfer. Als Beitrag zur Emanzipation gilt heute auch die völlige Gleichstellung von Frauen bei der Bundeswehr. Seit lila gekleidete Aktivistinnen von den Straßen verschwunden sind und die Programmatik der Frauenbewegung ihrem linksradikalen Kontext enthoben wurde, ist selbst die Grausamkeit des Kriegshandwerks als Gleichstellungsmerkmal [1] anerkannt. Gesucht werden aber auch Soldatinnen, die das maskuline Ideal des archaischen Kriegers durch ihnen üblicherweise zugeschriebene Qualitäten kommunikativer und aufbauender Art moderieren. Die im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit angestrebte Steigerung strategischer Schlagkraft durch Kompetenzen wissenschaftlich-technischer, gouvernementaler, medizinischer und humanitärer Art ist ein Einsatzgebiet, auf dem sich Frauen bewähren können, denen der Kampfeinsatz zwar nicht zusagt, die jedoch die propagierte "Verantwortung" Deutschlands als weltweit agierende Interventionsmacht für eine im urtümlichen Sinne friedensfördernde Maßnahme halten.

Anfang Juli soll auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr München und damit unter militärischem Schutz - "Wichtig! Bitte einen Lichtbildausweis mitbringen, um auf das Gelände der Universität der Bundeswehr gelangen zu können" - eine "Internationale Tagung zu Gender, Frieden und Sicherheit" [2] stattfinden. Diese mit öffentlichen Mitteln geförderte Konferenz wird von der Frauenakademie München e.V., der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wie der Universität selbst unterstützt und bietet ein illustres Spektrum an Referentinnen und Referenten auf, um auf dem nach herrschender Diktion gar nicht so widersprüchlichen Feld des bewaffneten Friedensdienstes geschlechtsspezifische Fragen moderner Kriegführung zu debattieren.

Maßgeblicher Leitfaden des Diskurses der internationalen "Frauenfriedensbewegung" ist die am 31. Oktober 2000 verabschiedete Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates zu "Frauen, Frieden und Sicherheit". Darin wird unter anderem festgestellt,

"dass ein Verständnis der Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen und Mädchen, wirksame institutionelle Vorkehrungen zur Gewährleistung ihres Schutzes und ihre volle Mitwirkung am Friedensprozess in erheblichem Maße zur Wahrung und Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen können".

Dem in dieser Resolution geforderten Eintreten für den Schutz weiblicher Kriegsopfer arbeitet ein Sicherheitsbegriff, der sich nicht eindeutig von dem der NATO und anderen kriegführenden Institutionen abgrenzt, durchaus entgegen. Wie im Humanitären Völkerrecht, das als ius in bello ein Regelwerk des Verhaltens bewaffneter Kriegsparteien darstellt und Kriegführung nicht grundsätzlich negiert, kommt die Genderdebatte auf dem Feld der Sicherheitspolitik nicht unbewaffnet daher. Wenn an einer Eliteschmiede der Bundeswehr unter Beteiligung hochrangiger Funktionäre des Militärapparates im beschwichtigenden Dreiklang von "Gender, Frieden und Sicherheit" über die Probleme von Frauen im Krieg debattiert wird, liegt nahe, daß die dort versammelten Wissenschaftler, Politiker und NGO-Funktionäre keine grundsätzliche Einwände gegen Interventionskriege wie in Afghanistan erheben.

So wird in der Ankündigung der Konferenz beklagt, daß die NATO "dem Kriegsziel, die Frauenrechte in Afghanistan zu verteidigen, (...) mit dem militärischen Einsatz nicht näher gekommen" [3] sei. Allein die Behauptung, es ginge bei diesem Krieg wesentlich um dieses Ziel, ist abenteuerlich und zeugt nicht davon, daß Gender Mainstreaming im militärischen Kontext auch nur hinsichtlich des Verständnisses für die Ziele und Zwecke moderner Kriegführung aufklärerische Absichten verfolgt. Abgesehen davon stellen gerade in bettelarmen Gesellschaften wie Afghanistan nichtvorhandene Frauenrechte nur einen Teil der Probleme ihrer weiblichen Bevölkerung dar. In einem Land, in dem gut ein Drittel der Bevölkerung hungert, sind Frauen und Mütter auf elementare Weise betroffen. Selbst wenn ihre traditionelle Rolle als Versorgerin der Familie, was in Afghanistan kaum der Fall ist, in Frage gestellt wäre, litten sie unter dieser lebensbedrohenden Not. Mit leerem Magen lassen sich keine emanzipatorische Ansprüche formulieren, dennoch fließt jedoch nur ein Bruchteil der Mittel, die für die Besatzungspolitik der NATO aufgewendet werden, in die Verbesserung der Ernährungslage der Afghanen. Zudem sind afghanische Frauen männlicher Gewalt nicht nur aus den Reihen der eigenen Bevölkerung, sondern auch durch die Angriffe der NATO-Truppen ausgesetzt. Wenn ihre Kinder von Bomben zerfetzt werden, dann kann das Versprechen, auf diese Weise von patriarchalischer Herrschaft befreit zu werden, nur als zynischer Hohn verstanden werden.

Wenn unter anderem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Dr. Stefanie Babst vom NATO-Hauptquartier in Brüssel und die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International und heutige EU-Abgeordnete der Grünen, Barbara Lochbihler, unter dem Titel "Internationale Standards umsetzen: Gender in die Friedens- und Sicherheitspolitik" debattieren, dann wird das Ergebnis kaum in der Forderung bestehen, alle Truppen aus Afghanistan abzuziehen und durch humanitäre Hilfe auf strikt freiwilliger, das heißt durch die afghanische Bevölkerung erwünschte Weise zu ersetzen. Nicht erst seit der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck die Bundeswehr zur "größten Friedensbewegung Deutschlands" ernannte, hat die Vieldeutigkeit des Begriffs "Friedens" erheblich zugenommen. Die Legitimation von Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch Vorhaben der "Friedenssicherung" und "Friedenserzwingung" haben imperialistische Kriegführung auf zivilgesellschaftliche Weise verdaulich gemacht, so daß der Gender-Faktor in diesem Kontext auch dazu führen kann, daß weibliche Bomberpiloten das Leid ihrer Geschlechtsgenossinnen an den Zielorten ihrer tödlichen Fracht mehren.

Dementsprechend abstrakt gibt man sich in der Ankündigung zum Kongreß, wenn unter Verweis auf "jüngere Untersuchungen" gemutmaßt wird, "dass die Struktur der Geschlechterverhältnisse im Zusammenhang steht mit der Neigung zum gewaltförmigen Konfliktaustrag" [3]. Es scheint zu weit zu gehen, einen expliziten Zusammenhang zwischen maskuliner Sozialisierung und männlicher Aggressivität herzustellen, ganz zu schweigen vom patriarchalischen Charakter militärischer Herrschaftsicherung. Daß sich die dabei entfaltete Brutalität durch mehr Gender im Krieg entschärfen ließe, ist eine allerdings nicht minder gewagte Schlußfolgerung, wie etwa der Blick auf den hohen Frauenanteil in den US-Streitkräften von rund 15 Prozent belegt. Während es keinen Beleg dafür gibt, daß die Bereitschaft der USA zur aggressiven Kriegführung in anderen Ländern dadurch geringer geworden wäre, belegt die hohe Zahl von männlichen Kollegen vergewaltigter Soldatinnen, daß der Erniedrigung von Frauen als programmatischer Bestandteil maskuliner Kriegsbegeisterung nicht mehr nur die Frauen und Mädchen auf der anderen Seite der Front zum Opfer fallen, sondern auch die eigenen Kameradinnen.

Die Objektivität vorschützende Positionslosigkeit eines Diskurses, in dem "Gender eine zentrale Rolle bei der Herstellung einer kollektiven Identität, die eine Bedingung zum Austrag kollektiver Konflikte ist", zugeschrieben wird, in dem von "geschlechtsspezifischen Symboliken" die Rede ist, die "in Konflikten die Kommunikation zwischen den Parteien" bestimmten und "bei der Durchführung des gewaltsamen Konflikts zu geschlechtsspezifischen Kosten und Konsequenzen" führten, nimmt die Deutungshoheit des kapitalistischen Patriarchats und seiner Ratio fremdnütziger Verwertung positiv in Anspruch, so daß eine Militarismus und Imperialismus kritisierende Analyse von vornherein unterbunden wird. Die besondere Betroffenheit der Zivilbevölkerung im Krieg und die Instrumentalisierung von Gewalt gegen Frauen als Kriegsstrategie bringen keineswegs "die gesellschaftlichen Zusammenhänge in den Blick, in denen kriegerische Konflikte entstehen" [3]. Es sind Symptome einer unerbittlichen Negation menschlichen Lebens, das sich der herrschenden Verwertungslogik nicht zu unterwerfen bereit ist.

Angriffe auf die logistische Infrastruktur einer Gesellschaft oder die Zivilbevölkerung selbst sollen in modernen "asymmetrischen" Kriegen abschreckende Wirkung erzielen, so daß der durch sie gewährleistete Rückhalt einer Guerilla oder einer Regierung schwindet. Anderslautende Theorien werden durch die Praxis moderner Kriegführung regelmäßig widerlegt, den "chirurgischen", nur die zum Feind erklärte politische und militärische Führung treffenden Krieg gibt es nicht. Die Genese moderner Kriege hat sehr viel mehr mit sozialökonomischen Umständen und imperialistischen Interessen zu tun, als daß sie durch Konfliktkonstellationen bedingt wäre, denen das Scheitern einer wünschenswerten Form der Vergesellschaftung, die per se den Frieden garantiert, vorausginge. Ohne Kapitalismuskritik muß die Erforschung der Beweggründe gewaltsamer Durchsetzung opak bleiben und eine auf Genderfragen orientierte Kausalforschung in Letztbegründungen resultieren, die militärische Konfliktbewältigung als Produkt dadurch postulierter Sachzwänge legitimiert.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1406.html

[2] http://www.gender-peace-security.de/

[3] http://www.gender-peace-security.de/de/relevance

15. Juni 2010