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KRIEG/1445: Mehr Angriffe auf humanitäre Helfer durch zivil-militärische Zusammenarbeit (SB)



Ob sich die Nachricht, daß sich unter den zehn in der Provinz Badachschan getöteten humanitären Helfern sechs deutsche Ärzte oder nur eine deutsche Ärztin befanden, bestätigt oder nicht, ist für die Kritik humanitärer Organisationen an ihrer Einbindung in militärstrategische Zwecke unerheblich. Laut AP erklärte der Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid, daß die Ausländer getötet wurden, weil sie "für die Amerikaner spionieren" und "das Christentum predigen" [1]. Zwar besteht stets die Gefahr, daß humanitäre Helfer aus Ländern, die zumindest von Teilen der Bevölkerung als ausländische Aggressoren betrachtet werden, bei ihrer Arbeit vom einheimischen Widerstand der Spionage verdächtigt werden. Seit der humanitären Bemäntelung imperialistischer Kriege, die den ehemaligen Verteidigungsminister Peter Struck gar zu der Behauptung veranlaßte, die Bundeswehr sei die größte Friedensbewegung der Republik, haben die Gegner von Besatzungsmächten allerdings mehr Anlaß als zuvor, diesen Verdacht zu hegen.

Zuletzt hat Entwicklungsminister Dirk Niebel explizit gefordert, die Arbeit von Organisationen der Entwicklungshilfe mit den Aktivitäten der Bundeswehr enger zu verzahnen. Indem die Bundesregierung droht, die Mittelvergabe an die Unterwerfung der humanitären Arbeit unter ihre strategischen Ziele zu knüpfen, trifft sie die Hilfsorganisationen an der besonders empfindlichen Stelle ihrer finanziellen Ausstattung. Zudem steht, wie im Falle der Einbettung der Pressarbeit durch die US-Streitkräfte vorexerziert, zu befürchten, daß Helfer, die sich nicht auf diese Forderung einlassen, bei ihrer Arbeit in Afghanistan nicht nur seitens des Widerstands, sondern auch der Besatzer prekären Situationen ausgesetzt werden. Haben die Strategen der NATO einmal den Wert ziviler Hilfsorganisationen für das Erreichen ihrer Ziele erkannt, dann muß man davon ausgehen, daß sie mit allen Mitteln versuchen, Fügsamkeit unter den Betroffenen herzustellen.

Im aktuellen Fall handelte es sich um freiwillige Mitarbeiter des christlichen Hilfswerks International Assistance Mission (IAM). Die Organisation ist seit 1966 fast ununterbrochen in Afghanistan tätig und bietet insbesondere auf dem Gebiet der chirurgischen Augenheilkunde eine von der Bevölkerung begehrte medizinische Dienstleistung an. Auch bei den Betroffenen soll es sich um ein Team von Augenärzten handeln, die sich auf dem Rückweg von einem Einsatz mit einer mobilen Augenklinik in der Provinz Nuristan nach Kabul befanden, zu dem sie von den Bewohnern der Region eingeladen worden waren.

Wenn die Taliban nun eines feigen Mordes bezichtigt werden, dann sollte der Anteil, den die Besatzer mit ihrer Politik der Instrumentalisierung humanitärer Arbeit für kriegsstrategische Zwecke an dieser Tragödie haben, nicht unterschlagen werden. Bei einer ausschließlich in Afghanistan arbeitenden Hilfsorganisation mit über 40 Jahren Einsatzerfahrung kann man davon ausgehen, daß sie die Risiken in einem Land, in dem seit 30 Jahren Krieg geführt wird, für ihre Mitarbeiter einzuschätzen weiß. Die jüngste Eskalation der Gewalt zwischen Besatzern und Widerstand scheint die Parameter dieses Kalküls über den Haufen geworfen zu haben. Nach neun Jahren der Okkupation Afghanistans wird nun mit verschärfter Intensität um die angeblich beabsichtigte Befriedung des Landes respektive den erzwungenen Abzug der Besatzer gekämpft. Diese wurden nicht eingeladen, Afghanistan zu bombardieren und zu erobern, auch wenn mit der Vasallenregierung unter Präsident Hamid Karzai dieser Eindruck erzeugt wird. Es ist an der Zeit, daß sie das Land wieder verlassen, um wirklicher Hilfe für die notleidende Bevölkerung nicht mehr im Weg zu stehen.

7. August 2010