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KRIEG/1488: Statt Jubel klammheimliche Trauer über Willkür staatlicher Gewalt (SB)



Darf man sich über den Tod eines Menschen freuen? Oder ist nicht eher klammheimliche Trauer über den Niedergang einer politischen Kultur angezeigt, die, wiewohl immer noch als freiheitliche Demokratie propagiert, praktische Widerlegungen dieses staatsbürgerlichen Ideals am Band produziert? Allerdings steht zu befürchten, daß man schon mit ironischen Anwandlungen dieser Art in die Mühlen einer Staatsschutzmaschinerie gerät, deren technokratische Logik bar jeglicher Bereitschaft ist, den Sinngehalt verfassungsrechtlicher Normen auf die eigene Vorgehensweise anzuwenden. Der moderne antiterroristische Maßnahmestaat betreibt diesen Niedergang auf systematisch abschreckende Weise, indem er den Anspruch humanistischer Moral negiert und anhand der Forderung, diesen Widersinn zu schlucken, das Primat seiner Vollzugsgewalt demonstriert.

So hebt die im Zusammenhang mit den Jubelfeiern über die Erschießung Osama bin Ladens und der demonstrativen Genugtuung vieler Politiker über diese Tat aufgekommene Frage, inwiefern offene Freude über den Tod eines Menschen erlaubt sei, auf einen zivilisatorischen Kodex ab, demzufolge die menschliche Entwicklung nicht so weit vorangeschritten wäre, wenn die Gewalt der unmittelbaren Überlebenskonkurrenz nicht durch ihre gesellschaftliche Institutionalisierung und kulturelle Normierung eingehegt worden wäre. Sie pauschal mit Ja zu beantworten, stellt mehr in Frage als die Legitimität eines Mordanschlags, der von ausländischen Streitkräften auf dem Gebiet eines souveränen Staates begangen wurde. Sie pauschal mit Nein zu beantworten, dokumentierte die Schwäche des moralischen Verdikts, Rache zu üben, selbst wenn dies von einem Staat getan wird, der nicht strafmindernd in Anspruch nehmen kann, im Affekt gehandelt zu haben.

Wie das durch die Instanz der Rechtsprechung repräsentierte Gesetz belegt, gilt die Übertragung rächender Gewalt auf den Staat als Fortschritt zivilisatorischer Entwicklung. Sie soll auch Schwächeren ein Leben unbeschadet vom zügellosen Raubverhalten der Stärkeren und eine gesellschaftliche Produktivität ermöglichen, die ansonsten schon im Ansatz durch die Begehrlichkeiten anderer zerstört würde. Die Rede ist vom Gewaltmonopol des Staates als einem verfassungsrechtlichen Lehen, das der Souverän auf das Gemeinwesen übertragen hat, um ein Leben in berechenbar gewaltfreien und nach Möglichkeit demokratischen Verhältnissen führen zu können.

Die Gewährleistung von Gerechtigkeit, wie sie Osama bin Laden ereilt haben soll, gilt mithin als edelste Pflicht der staatlichen Organisation der Gesellschaft. Dennoch hat die frühere US-Regierung unter George W. Bush die Anschläge des 11. September 2001 nicht als Verbrechen einer Gruppe krimineller Menschen verstanden, das mit Rechtsmitteln zu ahnden wäre. Der damalige US-Präsident hat sie auch nicht als strategischen Angriff auf sein Land, das als globaler Hegemon Streitkräfte auch in Ländern stationiert hatte, aus denen die Attentäter stammen sollen, beurteilt, hätte er doch damit Bin Ladens Vorwurf einer Entweihung heiliger islamischer Stätten durch Truppen aus einem kulturell christlichen Land Gültigkeit verliehen. Bush stellte die Anschläge als Angriff auf die Werte, die den freiheitlichen und demokratischen Gesellschaften Nordamerikas und Europas zugrundelägen, und der durch sie repräsentierten zivilisatorischen Entwicklung dar.

Die Formel "Zivilisation gegen Barbarei" bestimmt seitdem den antiterroristischen Diskurs. Das hinderte die in Afghanistan, Pakistan und Irak kriegführenden Staaten nicht daran, die rechtlichen und moralischen Ideale, die sie dort zu verteidigen vorgaben, mit dem Blut zahlreicher Menschen zu heiligen. Um den offenkundigen Widerspruch zwischen ethischer Legitimation und gewaltsamem Vollzug nicht zu eigenen Lasten austragen zu müssen, mutierte die Inanspruchnahme rechtsförmigen und wertekonformen Regierungshandelns zur zivilreligiösen Dichotomie eines Kampfes zwischen Gut und Böse. Legitimiert wurde diese Frontstellung mit der kulturalistischen Klammer vom rückständigen Islam, dessen angeblich besonders starke Gewaltaffinität der nichtvollzogenen säkularen Aufklärung seiner Gesellschaften geschuldet sei. Dieses Bezichtigungskonstrukt fand in der Person Osama bin Ladens sein personalisiertes Feindbild, dessen Bösartigkeit die Güte eigener Werte reprojektiv bestätigte. So scheint sich zivilisiertes Handeln vor allem darin zu genügen, die eigene Barbarei mit rhetorischen und ideologischen Winkelzügen verstiegener Art zur unabdinglichen Schutzmaßnahme zu erheben, die mit der originären Barbarei des Feindes keineswegs zu verwechseln sei. Dieses Dogma ausschließender, den Beginn der Eskalation stets beim anderen verortender Rechtfertigung muß dessen Menschlichkeit verwerfen, um exekutive Vollmachten etwa der präventiven Entrechtung von Verdächtigen, der Folterung von Gefangenen, der Einführung von Elementen des Feindstrafrechts oder eben der willkürlichen Ermordung zu erlangen.

Die Unantastbarkeit der eigenen Position mit allen Mitteln, also auch denjenigen, die man aus zivilisatorischem Selbstverständnis ablehnt, zu sichern, geht die Wirkmächtigkeit des Terrorismusbegriffs voraus. Er bietet die Letztbegründung dafür, daß es sich beim Terroristen um das autochthon Böse handelt, das zu vernichten ad hoc legitim sei. Nur so läßt sich vermeiden, daß die normativen Grundlagen eigenen Handelns ihre Tragfähigkeit verlieren. Hätte etwa ein Kommando der irakischen Besatzungsgegner den US-Präsidenten ermordet und behauptet, es habe sich dabei um die gerechte Vergeltung für den Urheber eines völkerrechtswidrigen Krieges gehandelt, der großes Leid über die Iraker gebracht hat, dann hätte sich niemand eigens darüber freuen müssen, um in aller Schärfe verurteilt und mit entsprechenden militärischen Maßnahmen zur Räson gebracht zu werden. Es hätte sich in der Lesart der Besatzungsmächte, völlig ungeachtet der nichtvorhandenen Legalität der von ihnen angewendeten Gewalt, um einen terroristischen Akt abscheulichster Art gehandelt.

Das Denkbeispiel zeigt, daß die Frage von Recht und Unrecht nicht zwangsläufig anhand der faktisch ausgeübten Gewalt beantwortet wird, sondern von einer Definitionshoheit abhängt, die erfolgreich auszuüben ausschließlich eine Frage der Machbarkeit, sprich der Macht sie durchzusetzen, ist. Die Bindung des staatlichen Gewaltmonopols an zuverlässig in Anspruch zu nehmende Rechtsnormen ist desto weniger gegeben, je mehr hegemoniale Interessen das Feld beherrschen, denen das Recht nicht nur unterworfen ist, sondern für die es auch instrumentalisiert wird. Auch wenn dies nicht in unverhohlener Offenheit geschieht, so ist es, wie unter anderem die Ermittlungs- und Anklagepraxis des Internationalen Strafgerichtshofs belegt, eine Binsenweisheit, daß in der Regel die Kleinen gehängt werden und die Großen ungestraft davonkommen. Der Gedanke, mit dem Schritt von nationaler zu supranationaler Jurisdiktion universale Gerechtigkeit zu schaffen, schlägt in der machtpolitischen Praxis in sein Gegenteil um, wenn etwa gegen den Präsidenten eines von der NATO angegriffenen Staates Anklage erhoben wird, so daß er als Verhandlungspartner für eine Friedenslösung nicht mehr in Frage kommt.

Darf man sich also darüber freuen, wenn ein Mensch getötet wird? Wer sollte denn etwas dagegen haben, wenn der politische Nutzen dieser Freude so groß ist wie im vorgeführten Fall? Die vielzitierte Erleichterung über den Tod Bin Ladens ist lediglich an der symbolischen Oberfläche der Beseitigung eines Übels gewidmet. Wie auch immer die eigene Gewalt mit der des anderen ins Verhältnis gesetzt wird, ändert nichts daran, daß jegliche moralische Differenz zwischen seinem verwerflichen Tun und der Legitimität eigenen Handelns gegenstandslos wird, wenn man es ihm gleich tut. So produziert das Abfeiern allgemeiner Genugtuung im Kern Zustimmung zur Maximierung des staatlichen Gewaltmonopols, mit dem sich noch ganz andere Probleme aus dem Weg räumen lassen, wenn man es nur von seiner rechtlichen und moralischen Zügelung befreit. Die Betonung liegt dabei auf der Instanz des Staates als ausführendes Organ eines angeblich gemeinschaftlichen Willens. Nach Erlaubnis für die Freude über den Tod des anderen gefragt wird, wenn überhaupt, dann nur aus einem Grund: Das Primat der Gewalt darf nicht anarchisch entufern, dem einzelnen Menschen soll keineswegs die gleiche Entgrenzung seiner Handlungsfähigkeit zugestanden werden wie dem Staat.

Dieser bedarf der Moral durchaus, aber eben nur im klassischen Antagonismus zwischen repressiver Gängelung und machiavellistischer Herrschaft. Wer fragt, ob er sich über den Tod eines Menschen freuen darf, reflektiert auf eine gesellschaftliche Ordnung, deren vor Staatswillkür schützende Garantien durch diese längst zur Disposition gestellt wurden. Sich einer gewaltregulativen Norm zu unterwerfen, die durch staatliches Handeln sinnentleert wurde, läuft folgerichtig darauf hinaus, die eigene Ohnmacht zu zementieren. Begründbar im Sinne eigener Überlebenshoffnung wird diese Aufgabe persönlicher Autonomie durch den widersprüchlichen Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung und das ihn zugunsten partikulärer Interessen sichernde Friedensgebot. Es macht den sozialen Krieg unter Leugnung, es handle sich um einen solchen, führbar zu Gunsten all derjenigen, die meinen, den Wert ihrer darin liegenden Aktien steigern zu können, selbst wenn dieser auf nichts als ungedeckter Hoffnung beruht.

Eine weiterführende Frage zum Vorrecht staatlichen Mordens könnte demgegenüber lauten, wem es nützt, daß die Menschen den Niedergang des Schutzes vor ungezügelter Staatsgewalt und damit ihrer demokratischen Freiheiten bejubeln. Anlaß, das Feld für eine Debatte um die Gefahren zu eröffnen, die mit der Entuferung des staatlichen Gewaltmonopols drohen, bietet nicht erst der jüngste Fall im Limbus zwischen Polizeiaktion und Kriegshandlung angesiedelter Übergriffe, deren Sachwalter unter den termini technici des targetted killing oder der extralegalen Hinrichtung der legalistischen Ermächtigung frönen, Ankläger, Richter und Henker in einer Person zu sein.

3. Mai 2011