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KRIEG/1521: Deutsche Waffen nicht nur gegen den "arabischen Frühling" (SB)



"Diese Waffenlieferungen sind genehmigt worden, obwohl schon damals ein erhebliches Risiko bestand, dass mit diesen Waffen Menschenrechtsverletzungen begangen werden", sagte Mathias John, der Rüstungsexperte von Amnesty International, anläßlich der heutigen Veröffentlichung eines Berichts der Menschenrechtsorganisation. [1] Eine erstaunliche Argumentation, muß man doch weder euphemistisch von einem bloßen Risiko sprechen, noch die Menschenrechte zitieren, wenn von Rüstungsgütern die Rede ist. Kriegswaffen werden produziert, an die heimischen Streitkräfte verkauft oder exportiert, damit sie als Unterfütterung von Staatsgewalt und Wirtschaftsmacht den Fortbestand der Herrschaftsverhältnisse im Inland sichern und deren expansiven Übergriff auf andere Weltregionen befördern. Dagegen entschieden Stellung zu beziehen verträgt sich nicht mit einer Differenzierung und Relativierung, die auf dem Feld von Recht und Ordnung ihre Beteiligungsansprüche geltend macht.

In der hundertseitigen Studie untersucht Amnesty Rüstungslieferungen nach Ägypten, Bahrain, in den Jemen, nach Libyen und Syrien in den Jahren 2005 bis 2009. In diesem Zeitraum seien deutsche Exportgenehmigungen im Wert von 77 Millionen Euro erteilt worden, die es einheimischen Produzenten erlaubten, unter anderem Kleinwaffen, Munition und Militärfahrzeuge in diese Länder auszuführen. Zudem haben 16 weitere Staaten Waffen in den Nahen Osten und nach Nordafrika geliefert. Die wichtigsten Exportstaaten waren neben Deutschland Belgien, Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Rußland, Tschechien und die USA. Sie alle lieferten Waffen, Munition und andere Ausrüstung, mit deren Hilfe Polizei und Militär friedliche Demonstranten getötet, verletzt oder willkürlich verfolgt haben.

Den positiv konnotierten "arabischen Frühling" zum Anlaß zu nehmen, Waffenlieferungen an die Regimes zu thematisieren, bietet sich an. Fehlt es jedoch an einer Einordnung in hegemoniale Verfügungsinteressen, die erst plausibel macht, aus welchen Gründen autoritäre Regierungen gestützt werden, bleibt die Kritik nicht nur zahnlos. Sie verschleiert geradezu das unablässige Walten eines Verwertungsregimes, das mit politischen, ökonomischen, ideologischen und eben auch polizeilich-militärischen Mitteln zu verhindern trachtet, daß die Umwälzungen in der arabischen Welt außer Kontrolle geraten. Antikapitalistische und antiimperialistische Erhebungen wären das letzte, was die offiziösen Unterstützer der Demokratiebewegungen zu dulden bereit sind.

"Wenn jetzt Waffenembargos verhängt werden, dann kommt das zu spät und ist zu wenig", argumentiert Amnesty International. Die vorgelegte Untersuchung mache erneut deutlich, daß die bestehenden Exportkontrollen nicht ausreichen und ein wirksames internationales Waffenhandelsabkommen dringend erforderlich sei. Bestehe das Risiko, daß der Empfänger damit schwere Menschenrechtsverletzungen begeht, dürften keine Rüstungsgüter geliefert werden, so Mathias John. Man fordere die Bundesregierung auf, sich weiterhin für ein umfassendes internationales Waffenhandelsabkommen einzusetzen. Notwendig sei aber auch, daß Deutschland schon jetzt eine verbindliche Menschenrechtsklausel anwendet. Die Regierung müsse den Bundestag in den Genehmigungsprozeß einbeziehen und über ihre Maßnahmen zur Sicherung der Menschenrechte bei Exportgenehmigungen Rechenschaft abgelegen.

Amnesty International macht sich mithin für einen Prozeß der Kodifizierung und Legalisierung stark, der im Zuge einer Neugewichtung den künftigen deutschen Rüstungsexport regulieren soll. So wünschenswert es wäre, würden keine Waffen an Folterstaaten und diktatorische Regimes mehr geliefert, drängt sich doch augenblicklich die Frage auf, wer dann noch als rechtmäßiger Empfänger der Erzeugnisse hiesiger Rüstungsschmieden übrigbliebe. Wohl kaum die Aufständischen in Libyen, die als Handlanger westlicher Interessen den Regimewechsel gewaltsam durchsetzen und dabei nachweislich ebenso wenig vor Greueltaten zurückschrecken wie die luftkriegführenden NATO-Staaten. Israel vielleicht, das bezeichnenderweise in diesem Bericht völlig ausgeblendet wurde, obschon das Land der weitaus größte Empfänger westlicher Militärhilfe in der Region ist und von seiner Waffengewalt rigoros Gebrauch macht?

Worauf solche Fragen hinausliefen, wissen natürlich auch die im Bundestag vertretenen Parteien. Die Grünen - bekennende Protagonisten des "gerechten Krieges" - forderten selektiv ein generelles Verbot von Waffenlieferungen in Länder, in denen massiv gegen Menschenrechte verstoßen wird. Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck bezeichnete es als "Horrorvorstellung", daß deutsche Waffen zur Niederschlagung von Protesten eingesetzt werden. Zugleich verlangte er eine bessere parlamentarische Kontrolle. Solche grüne Entschiedenheit hätte man sich seinerzeit auf dem Balkan, später in Afghanistan und heute mit Blick auf den Libyenkrieg gewünscht. Für die Linkspartei verwies der Abgeordnete Jan van Aken darauf, daß Deutschland den Export von Militärgütern in den Golfstaat Bahrain bis heute nicht verboten habe. Bekanntlich lehnt Die Linke als einzige im Parlament vertretene Partei deutsche Kriegsbeteiligung grundsätzlich ab, wie sie auch entschieden gegen Rüstungsexporte Stellung bezieht.

Von der Opposition zur Auskunft aufgefordert verwies die Bundesregierung ausweichend auf den nächsten Rüstungsexportbericht, der vermutlich im Dezember veröffentlicht wird. Wie der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter nichtssagend beschwichtigte, würden vor der Erlaubnis von Rüstungsexporten alle Argumente "sorgfältig" abgewogen: "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungsland wird besonderes Gewicht beigemessen." [2] Im Falle Saudi-Arabiens drückt man dabei mehr als nur ein Auge zu, hat doch der Bundessicherheitsrat bereits Ende Juni grünes Licht für die geplante Lieferung von mehr als 200 Leopard-2-Kampfpanzern gegeben. Bis zum Jahresende will das geheim tagende Gremium erneut über das Geschäft beraten, weshalb die Bundesregierung öffentliche Erläuterungen zu dem umfangreichen Rüstungsgeschäft kurzerhand ablehnt.

Wie jeder weiß, war Saudi-Arabien an der Niederschlagung von Protesten in Bahrain beteiligt und weist außerordentlich repressive gesellschaftliche Verhältnisse auf. Das hat die Sachwalter westlicher Einflußnahme in der arabischen Welt nie gehindert, das Land aufzurüsten. So fand man das Königreich in den vergangenen zehn Jahren fast durchgängig unter den 20 wichtigsten Bestimmungsländern deutscher Rüstungsexporte. Vor allem nach 2002 stiegen die Ausfuhren kontinuierlich an, bis der Ölstaat 2008 Waffen im Wert von 170,4 Millionen Euro erhielt. Vor zwei Jahren verkaufte Cassidian, ein auf Rüstungsgüter spezialisiertes Tochterunternehmen des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, den Saudis eine neue Technik zur Sicherung der Landesgrenze. Die Firma Heckler&Koch belieferte die saudische Armee nicht nur in mehreren Chargen mit dem weltweit begehrten Sturmgewehr G36, sondern überließ dem Wüstenstaat 2008 auch eine Lizenz zur Herstellung der Waffe. [3]

Theoretisch stehen der Lieferung nach Saudi-Arabien die Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern im Wege. Dort heißt es unter "Allgemeine Prinzipien": "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen." In der Panzerdebatte stellte Bundeskanzlerin Merkel jedoch die Prioritäten unmißverständlich klar: Saudi-Arabien sei trotz erheblicher Defizite bei den Menschenrechten ein Land von "großer strategischer Bedeutung". Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich würdigten die Saudis gleichermaßen als Stabilitätsfaktor in der Region und wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den "islamistischen Terror". Die Entscheidung über Rüstungslieferungen sei "zunächst eine sicherheitspolitische": "Menschenrechtsüberlegungen müssen eine Rolle spielen, doch überwiegen die internationalen Sicherheitsinteressen." Und Bundespräsident Christian Wulff rundete die Rechtfertigung des Panzergeschäfts mit den Worten ab, dieser Rüstungsexport sei schließlich mit Israel und den NATO-Partnern abgestimmt.

Die vielgerühmte Exportstärke der deutschen Wirtschaft gründet nun einmal zu einem nicht unerheblichen Teil auf dem Rüstungsgeschäft. Kriegsschiffe aus dem Thyssen-Krupp-Konzern, Panzer aus dem Hause Krauss-Maffei Wegmann oder Schußwaffen von Heckler&Koch stehen bei den Militärs in aller Welt so hoch im Kurs, daß die deutschen Rüstungsexporte zwischen 2004 und 2009 um sagenhafte 70 Prozent stiegen. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI hat Deutschland im genannten Fünfjahreszeitraum Kriegsmaterial für 11,5 Milliarden Dollar verkauft und rangiert damit nach den USA und Rußland mit fast elf Prozent Weltmarktanteil an dritter Stelle. Was angesichts der deutschen Geschichte in der Vergangenheit des öfteren unter Geheimhaltung und Schmiergeldzahlungen abgewickelt wurde und in diverse Affären mündete, wird heute nahezu öffentlich diskutiert und steht an der Schwelle der Legalisierung: Waffen sind in den richtigen Händen ein Segen, lautet die Doktrin, und Menschenrechte haben uns nur insoweit zu interessieren, als sie zum Kriegsvorwand taugen.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,792637,00.html

[2] http://www.morgenpost.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article1798386/Opposition-fordert-Klarheit-ueber-Waffenexporte.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1503.html

19. Oktober 2011