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KRIEG/1549: Klare Worte Lawrows - Moskau warnt Westen vor Angriff auf Syrien und den Iran (SB)



Auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 definierte das transatlantische Bündnis im Rahmen seines neuformulierten Strategiekonzepts sein Verhältnis zu Rußland. Der von einer Arbeitsgruppe um die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright vorgelegte und in der portugiesischen Hauptstadt gebilligte Entwurf sieht explizit eine stärkere Einbindung Moskaus vor, schließt aber die von russischer Seite geforderte Vollmitgliedschaft aus. Mithin zeichnet sich ab, daß Rußland westlicherseits nicht als Partner gesehen wird, den man schrittweise an den weltweit mächtigsten Militärpakt heranführen und schließlich als gleichrangigen Mitgliedsstaat integrieren will. Vielmehr bleibt Rußland ein Feind in künftigen Kriegen, den man zuvor soweit unter Kontrolle zu bringen hofft, daß er während der von bellizistischer Expansion des Westens bis an seine Grenzen geprägten Periode keine Steine in den Weg legt. Die von der überlegenen Waffengewalt und darauf gegründeten Wirtschaftsmacht der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten durchgetragene geostrategische Offensive zwingt Rußland das Dilemma auf, die absehbaren Rückzugsgefechte in einer Mischung aus Willfährigkeit und Widerspenstigkeit in der Hoffnung zu strecken, daß der doppelgleisigen Einkreisungsstrategie Washingtons, deren zweites Ziel China ist, unterwegs die Puste ausgeht.

Wenn der russische Außenminister Sergej Lawrow in seiner jüngsten Rede vor einer Intervention in Syrien und dem Iran gewarnt hat, so geschah das zweifellos in der Gewißheit, wem ein möglicher Angriff westlicher Mächte auf diese beiden Länder in letzter Konsequenz gilt. Ihre Zerschlagung und Überführung in ein Protektorat der NATO zu verhindern, ist unmittelbar russischen Interessen geschuldet. Das schließt jedoch nicht aus, daß die von ihm vorgetragenen Argumente im Kontext des Völkerrechts und internationaler Friedensbemühungen stichhaltig sind. Zunächst auf die russisch-amerikanischen Beziehungen eingehend, hob Lawrow hervor, daß von einem neuen Wettrüsten keine Rede sein könne und man durchaus nicht an der Schwelle zu einer neuen Runde des Kalten Krieges stehe. Man arbeite bei vielen Fragen der internationalen Sicherheit zusammen, und eine Konfrontation sei ganz bestimmt nicht die Wahl Rußlands. Er gehe auch nicht davon aus, daß vernünftige Politiker in den USA eine Konfrontation wünschten. [1]

Auch was die unmittelbare Bedrohung seines Landes durch das geplante Raketenabwehrsystem im osteuropäischen Raum betrifft, bediente sich Lawrow moderater diplomatischer Formeln, die die Position der russischen Regierung zum Ausdruck brachten, doch zugleich an eine Konzessionsbereitschaft Washingtons appellierten. Er rechne damit, daß die USA die legitimen Besorgnisse anhören und berücksichtigen werde, über die man sie konkret und professionell informiere. Aus Gesprächen mit den amerikanischen Kollegen gehe hervor, daß diese zumindest nicht ausschließen, daß das Raketenabwehrsystem Risiken für das atomare Potential seines Landes schaffen könne. Daher gehe Moskau davon aus, daß man in Washington eine Entscheidung zu Gunsten eines Zusammenschlusses der Bemühungen und der Arbeit an solidarischen Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart treffen werde.

Natürlich ist Solidarität kein Begriff, den man im kapitalistischen Westen je geschätzt hat, noch heute und künftig im Umgang mit Rußland in Gebrauch nähme. Wenn Lawrow davon spricht, so in der Hoffnung, die vorgeschobenen Absichten der NATO beim Wort zu nehmen und im argumentativen Klingenkreuzen auf dem diplomatischen Parkett dem Widersacher in die Parade zu fahren. Bislang ist die Neue Weltordnung, wie sie US-Strategen vor mehr als zwei Jahrzehnten in einer Mischung aus kaltem Kalkül und Größenwahn entworfen haben, nur in einem Maße realisiert, das ihre Endgültigkeit ahnen läßt, ein Stadium der Unumkehrbarkeit jedoch noch nicht erreicht hat. Wenn die NATO ihre Waffen sprechen läßt, so ist dieser Akt nackter Willkür unvermeidlich eingebettet in eine ideologische Offensive, die zu bremsen sich Moskau derzeit energisch anschickt.

Mit Blick auf den politischen Wandel in Nordafrika und im Nahen Osten warnte Lawrow eindringlich vor einem großen Krieg, in dem nicht nur Länder der Region, sondern auch weit entfernte Staaten zu Schaden kämen. Die äußeren Kräfte müßten die Wahl der Völker akzeptieren und dürfen sich nicht in die Angelegenheiten dieser Staaten einmischen, bezog der russische Außenminister Position gegen westliche Intervention in Syrien und dem Iran. Den Kräften, die sich in diesen Ländern in Opposition befinden, müsse nahegelegt werden, "dass sie sich im Rahmen des politischen Prozesses einigen sollen". Diese Kräfte sollten "nicht dazu aufgewiegelt werden, dass sie zur Waffe greifen und ihre Regimes stürzen". Auf die Möglichkeit angesprochen, daß islamistische Parteien an die Macht kommen, unterstrich Lawrow, daß man mit allen Kräften zusammenarbeiten müsse, die sich im Rahmen der Verfassung befänden.

Womöglich noch weitreichender war die Aussage Lawrows, daß die von ihm hervorgehobenen Prinzipien die Voraussetzung dafür seien, daß es zu einer Stabilisierung der Region und zur Lösung der sozioökonomischen Probleme kommen könne, deren Vorhandensein die eigentliche Ursache der Volksproteste in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas sei. Damit kontrastierte der russische Außenminister die westlicherseits vorgetragene Stoßrichtung, der Herstellung formaldemokratischer Mechanismen und Strukturen oberste Priorität einzuräumen, dabei jedoch die soziale Frage auszublenden. Wer Staaten wie Libyen zerschlägt, das vordem den höchsten Lebensstandard in Afrika aufwies, um ein botmäßiges Statthalterregime zu installieren, klammert die Lebensverhältnisse der Bevölkerung tunlichst aus. Weder sind sie für die Angriffskrieger von Interesse, noch wollen sich diese mit der mörderischen Bilanz ihres Feldzugs konfrontieren.

Klartext sprach Lawrow insbesondere hinsichtlich der geplanten Sanktionen gegen den Iran, die darauf abzielten, die iranische Wirtschaft abzuwürgen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu provozieren. Mit dem Streben, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, habe das nichts zu tun. Teheran sei zu einer Wiederaufnahme der sechsseitigen Verhandlungen bereit, weshalb ihm Sorge bereite, daß diese Prozesse behindert werden. Die Folgen einer möglichen militärischen Intervention wären sehr schwerwiegend und führten zu einer Kettenreaktion in der gesamten Region. [2]

Mit dem im UN-Sicherheitsrat eingebrachten Resolutionsentwurf zu Syrien ziele sein Land darauf ab, jede Gewalt, von wem sie auch ausgeht, zu stoppen. Während China und die anderen BRICS-Staaten den Entwurf unterstützen, fordern westliche Staaten, den Punkt über die Nichtanwendung von Gewalt zu streichen. Wie Lawrow bekräftigte, verurteile man sowohl die Gewalt der Regierung von Präsident Baschar al-Assad als auch der Opposition. Von diesem Standpunkt werde Moskau nicht abrücken und daher weder einseitige Sanktionen unterstützen, noch die Einrichtung einer Flugverbotszone zulassen: "Für uns ist die rote Linie klar gezogen." [3]

Lawrow reagierte mit diesen deutlichen Worten nicht zuletzt auf Vorwürfe seitens der US-Regierung, Rußland beliefere Syrien heimlich mit Waffen. Kürzlich war ein russisches Schiff auf Zypern abgefangen worden, das Medienberichten zufolge große Mengen Munition und Sprengsätze an Bord hatte. Erst als die Reederei zusicherte, Syrien nicht anzulaufen, durfte der Frachter die Fahrt fortsetzen, worauf er dann doch die syrische Hafenstadt Tartus ansteuerte. Dazu erklärte der russische Außenminister, sein Land betreibe Handel mit Syrien, der nicht durch internationales Recht verboten sei. Sich zu erklären oder zu rechtfertigen halte man nicht für nötig, weil Rußland weder internationale Vereinbarungen, noch Resolutionen des Sicherheitsrats mißachte.

In einem Klima der Angriffsvorbereitungen, das nicht zuletzt von regionalen Kettenhunden des Westens wie Katar geschürt wird, das die Entsendung arabischer Truppen angeregt hat, setzt die russische Regierung ein Zeichen. Anders als im Falle Libyens, wo Moskau durch seine Enthaltung im Sicherheitsrat die Einrichtung einer Flugverbotszone und damit die Einleitung des Angriffskriegs möglich gemacht hatte, scheint nun tatsächlich eine rote Linie erreicht zu sein, hinter die Rußland nicht zurückweicht.



Fußnoten:

[1] http://de.ria.ru/world/20120118/262490718.html

[2] http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article2162177/Moskau-warnt-vor-Militaerschlag-gegen-Syrien-und-Iran.html

[3] http://derstandard.at/1326503064121/Nach-unklarer-Schiffslieferung-Moskau-verteidigt-Handel-mit-Syrien

18. Januar 2012