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KRIEG/1551: Mandatsverlängerung - Bundesdeutsche Kriegsparteien simulieren Abzugsstrategie (SB)



Ohne viel Federlesens haben die Kriegsparteien im deutschen Bundestag auch die fünfzehnte Absegnung des Afghanistaneinsatzes seit 2001 über die parlamentarische Hürde gebracht. Einzig die Linkspartei sprach sich wie immer dagegen aus und verlangte den sofortigen Abzug der deutschen Truppen, was sie in den Augen der etablierten politischen Konkurrenz bekanntlich disqualifiziert. Man spricht ihr nicht nur aus diesem Grund auf Bundesebene die Koalitionsfähigkeit ab, von einer Regierungsbeteiligung ganz zu schweigen, und debattiert in aller Öffentlichkeit darüber, welche ihrer PolitikerInnen der Verfassungsschutz überwachen und welche er allenfalls beobachten sollte. Nicht, daß Die Linke keine handfesten Argumente hätte, um, wie ihr Abgeordneter Paul Schäfer dies tat, den angekündigten Teilabzug als Scheinmanöver auszuweisen und den Beginn des vollständigen Abzugs der Bundeswehr zu fordern.

Da wären mehr als zehn Jahre Krieg samt der Erkenntnis zu nennen, daß dieser für die Okkupationsmächte nicht zu gewinnen ist. Auch wurden die ausgewiesenen Ziele des Besatzungsregimes nicht nur verfehlt, sondern die Lebensverhältnisse für den überwiegenden Teil der afghanischen Bevölkerung zum Schlechteren gewendet. Niemand vermag zu sagen, wie viele Afghanen im Verlauf des unablässigen Waffengangs getötet wurden, da die westlichen Mächte nur ihre eigenen Opfer zählen. So mußten 52 Soldaten der Bundeswehr die Kriegsbeteiligung mit dem Leben bezahlen, während die deutschen Steuerzahler mit Milliarden Euro zur Kasse gezwungen wurden. Das und vieles mehr ist gegen den Auslandseinsatz vorzubringen, von prinzipiellen Einwänden wie Verfassungsbruch, Militarismus oder neoimperialistischer Expansion und Aggression ganz zu schweigen.

Die Kriegsparteien ficht das nicht an. Sie tauschten teils artig, teils mit den üblich verteilten Rollen inszenierter Demokratie die Versatzstücke gängiger Propagandaformeln aus. Nun, da man nicht mehr mit wechselnden Lügengebäuden den Krieg verschleiern muß, sondern ihn achselzuckend zum Faktum herunterspielen und inzwischen sogar über sein absehbares Ende fabulieren kann, geht man entspannt ans Werk der obligatorischen Debatte um längst gelegte Eier. Während die Regierungskoalition voll und ganz hinter dem Einsatz stand, steuerten Sozialdemokraten und Grüne das von ihnen als Opposition erwartete Stirnrunzeln bei. Der größte Teil der SPD-Abgeordneten befürwortete den Einsatz, von den Grünen kamen überwiegend Enthaltungen und einige Gegenstimmen. So erklärte der Grüne-Politiker Frithjof Schmidt, seine Fraktion sei mit dem Mandat in der vorliegenden Form nicht einverstanden. Die geplante erste Etappe des Abzugs sei lediglich eine Luftbuchung. Auch gebe es keine Klarheit über die Strategie der Regierung für die Zeit nach 2014, wenn die Kampftruppen abgezogen sein sollen. [1] Eine Position gegen den Krieg ist das nicht, allenfalls ein Geplänkel um Manöver, die man gern anders gehandhabt sehen möchte, solange man nicht selber am Kabinettstisch sitzt.

Dabei hatte die Bundesregierung schon zuvor erklärt, man habe offene Fragen mit den Partnern, vornehmlich den Vereinigten Staaten, auf dem NATO-Gipfel im Frühjahr in Chicago zu besprechen, da der Abzugsplan multilateral koordiniert werden und Washington seine Pläne konkretisieren müsse. [2] Wie man sich hinter den Amerikanern versteckt, als teile man nicht weitgehend deren Absichten und Ziele, demonstrierte der SPD-Außenpolitiker Mützenich: Seine Partei habe noch zu Regierungszeiten für einen Strategiewechsel geworben, der dann durch Präsident Obama ermöglicht worden sei. Daß sich die angeblich neue Strategie des 44. US-Präsidenten darin erschöpfte, die Truppen massiv aufzustocken und gleichzeitig fiktive Abzugspläne vorzuhalten, stört die Sozialdemokraten nicht: Bei der Abstimmung votierten 74,5 Prozent der Abgeordneten mit Ja und damit mehr als vor einem Jahr. Damals waren 72,5 Prozent für die Mandatsverlängerung.

Zieht die Bundeswehr 2014 ihre Truppen restlos aus Afghanistan ab? Natürlich nicht, auch wenn man das vorerst noch wie einen Pseudovorbehalt ankündigt. Sollte ein eskalierender Bürgerkrieg drohen, müsse man umdisponieren: "Selbstverständlich werden wir bei allem, was wir tun, die Lageentwicklung vor Ort genauestens berücksichtigen", erklärte Außenminister Guido Westerwelle. Man werde alles dafür tun, daß Afghanistan nicht erneut im Chaos versinke und wieder Rückzugsort für internationale Terroristen werde. Verteidigungsminister Thomas de Maizière schloß sich mit der Zielvorgabe an, "wenn wir weg sind, darf nichts gefährdet werden von dem, was wir aufgebaut haben". [3]

Wie alle anderen Besatzungsmächte einschließlich der USA will auch Deutschland den überwiegenden Teil seiner Kampftruppen abziehen, die künftig für andere Kriege gebraucht werden. Preisgeben will man die Beute deswegen aber nicht: Während sich ein Kontingent US-Truppen, Geheimdienstler und Militärdienstleister dauerhaft in Stützpunkten festsetzen und damit die Okkupation verewigen soll, denkt die Bundesregierung laut über deutsche Soldaten als Ausbilder auch nach 2014 nach: "Neben weiterer Hilfe beim Wiederaufbau geht es da vor allem um die fortzusetzende Unterstützung bei der Finanzierung und Ausbildung der afghanischen Armee. Bei all dem werden auch wir Deutsche verantwortlich unseren Beitrag leisten", so Westerwelle.

Von "Ausbildern" zu sprechen, wenn man subversive Kriegsführung in anderen Ländern meinte, war in der Vergangenheit ein sattsam bekanntes Propagandamanöver der US-Regierung im Kalten Krieg. Da Kriege der USA und ihrer Verbündeten heute fast ausnahmslos in aller Offenheit geplant und vom Zaun gebrochen werden wie auch Tod und Zerstörung im Namen der Freiheit, Demokratie oder Menschenrechte weithin legalisiert worden sind, gilt Propaganda als Schnee von gestern. Man erörtert längst nüchtern und unverblümt, als sitze man mit dem Bürger am Stammtisch, die Sachlage:

"Vorher weiß man oft nicht, was ein solcher Einsatz an Geld und Blutzoll kostet. Aber der Einsatz war richtig", erklärte de Maizière. "Gleichwohl ist klar: Die Arbeit ist noch nicht getan. Der Weg zu dauerhaftem Frieden und Aussöhnung in Afghanistan ist noch lang", dämpfte Westerwelle voreilige Erwartungen. Wenn die USA und die anderen Geberländer ihre Finanzierung wie geplant reduzieren, könne bald eine Situation entstehen, "in der weit über 100.000 dieser Sicherheitskräfte arbeitslos sind", warnte der SPD-Afghanistanexperte Johannes Pflug. "Man braucht wenig Phantasie, um sich auszumalen, was passiert, wenn die alle zum Gegner überlaufen." [4]

Da die NATO nicht weniger als 350.000 afghanische Soldaten und Polizisten trainieren will, wäre deren massenhafter Wechsel ins Lager des Widerstands in der Tat kein Szenario, daß sich die Besatzer wünschen können. Im Zeitraum von Mai 2007 bis Mai 2011 sollen 58 ausländische Soldaten von einheimischen Sicherheitskräften getötet worden sein, darunter erst vor wenigen Tagen vier Franzosen, was in Paris vorübergehend für Mißstimmung sorgte. Billig ist die Sache ohnehin nicht zu haben: Im abgelaufenen Jahr wurden acht Milliarden Euro für die Ausbildung afghanischer Soldaten gezahlt, und auch nach 2014 werden die Kosten auf mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Ohnehin rechnen Experten wie Timo Christians, Afghanistan-Referent der Deutschen Welthungerhilfe, nach dem Abzug des überwiegenden Teils der ausländischen Streitkräfte mit einem ökonomischen Schock für die afghanische Wirtschaft. Die versiegende Einnahmequelle werde nicht ohne Folgen bleiben: "Auch weil sich alle mit den geringer zur Verfügung stehenden Ressourcen arrangieren müssen, werden alte und neue Konfliktlinien aufbrechen."

Wen so viele Nöte zum Bleiben drängen, der hängt sicher verantwortungsbewußt noch ein paar Jahre dran: "Wir wollen ja bis 2013/2014 mit unseren Kampftruppen Afghanistan verlassen haben. Ich gehe aber davon aus, dass wir mindestens noch zwei Mandatsverlängerungen haben werden", fing Johannes Pflug schon einmal an, die Bundesbürger scheibchenweise auf das zweite Jahrzehnt am Hindukusch einzustimmen. Grundsätzlich glaubt man sich jedenfalls sicher, die hiesige Bevölkerung zur Kriegsräson gebracht zu haben. Verteidigungsminister de Maizière hob hervor, daß der Einsatz in Afghanistan nicht nur die Bundeswehr, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft verändert habe. Die Leistung der Soldaten werde inzwischen anerkannt und gewürdigt, da die Bevölkerung mit der vollen Ernsthaftigkeit von Krieg und Frieden konfrontiert worden sei. Heute werde anders über Sicherheitspolitik diskutiert als früher. Was will man mehr? Stimmt's an der Heimatfront, wird's am Hindukusch nicht fehlen, wenn die Bundeswehr auch die Afghanen mit der vollen Ernsthaftigkeit von Krieg und Frieden traktiert.

Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/f5J38T/436666/Ein-bisschen-Abzug-aus-Afghanistan.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-einsatz-bundestag-verkleinert-bundeswehrkontingent-11626278.html

[3] http://www.stern.de/politik/ausland/ende-des-kampfeinsatzes-bis-2014-bundestag-beschliesst-abzug-aus-afghanistan-1778858.html

[4] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15684913,00.html

28. Januar 2012