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KRIEG/1555: Nicht alle Syrer werden über diese "neuen Freunde" begeistert sein (SB)



Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Unter den "Freunden Syriens", die sich in Tunis trafen, tat sich das Herrscherhaus Saudi-Arabiens besonders hervor. Mit der von ihm erhobenen Forderung nach einer Bewaffnung der syrischen Oppositionskräfte soll weiter Öl ins Feuer eines Bürgerkriegs gegossen werden, der sich bei frühzeitigem und bemühtem Eintreten für eine Verhandlungslösung seitens nämlicher "Freunde" längst in einen friedlichen Prozeß hätte überführen lassen können. Statt dessen wurden ganz nach dem erprobten Modell Libyen mit dem Syrischen Nationalrat (SNC) und der Freien Syrischen Armee (FSA) Kräfte unterstützt, die nichts anderes als den vollständigen Sturz der Regierung in Damaskus im Sinn haben und sich daher auf nichts einlassen, was diese im Amt belassen könnte.

Die sich nun in weiteren Sanktionsforderungen und der mehr oder minder offenen Bewaffnung nämlicher Oppositionskräfte ergehenden "Freunde Syriens" wollten der zweifellos autoritären und reformbedürftigen Regierung Bashir Al Assads von Anfang an nicht die Möglichkeit gewähren, im Rahmen eines allein den Syrern vorbehaltenen Prozesses einen Neustart zu initiieren. Obwohl selbst Assad keineswegs unkritisch gegenüberstehende Nahostexperten zugestehen müssen, daß dessen Regierung in Anbetracht der von ihr zugestandenen Reformschritte immer noch erhebliche Unterstützung in der Bevölkerung genießt, obwohl mit der Situation in Syrien vertraute Journalisten wiederholt berichteten, daß es sich um einen Bürgerkrieg zweier bewaffneter Kontrahenten handelt, in dem die militärisch organisierten Aufständischen keine Verhandlungsbereitschaft erkennen lassen, wird in den politischen Verlautbarungen westlicher Regierungen und der Berichterstattung westlicher Medien der Eindruck erweckt, die Grausamkeiten dieses Krieges gingen allein auf die Kappe der Regierung in Damaskus.

Dahinter steckt die mehr als durchsichtige Absicht, gerade das rückgängig zu machen, was mit dem Aufbruch in Tunesien und Ägypten ein neues Selbstbewußtsein der seit Jahrzehnten massiv - und mit offener Unterstützung alter wie neuer westlicher Kolonialmächte - unterdrückten arabischen Bevölkerungen hervorgebracht hat. Die Gefahr, daß aus der demokratischen auch eine soziale Revolution wird, die nach dem Sturz der politischen Macht die nationalen Oligarchien und autokratischen Generäle ihrer Privilegien beraubte, die die Raubzüge westlicher Investoren sowie die Hegemonie der USA und EU beendete, war real und mußte dadurch gekontert werden, daß die Sachwalter neokolonialistischer Vorherrschaft sich selbst an die Spitze der Bewegung setzten.

Dieses Manöver gelang in Libyen auch deshalb, weil die autokratische Herrschaft Muammar al Gaddafis allen Anlaß zum Protest bot. Die schnelle Kooptierung einer demokratischen Protestbewegung, die sich anfangs gegen eine Intervention der NATO aussprach, durch von imperialistischen Mächten unterstützte reaktionäre Kräfte trug allerdings auch zur Schwächung der Protestbewegung in Ägypten bei. Das Arrangement der NATO mit islamistischen Gruppen in Libyen steht ebenso Pate bei der Begrenzung der ägyptischen Revolution auf eine bürgerliche, mit Geldmitteln aus den Golfstaaten dem politischen Islam preisgegebene Reformbewegung, wie es die Allianz der reaktionärsten arabischen Kräfte mit den Aufständischen in Syrien tut. Saudi-Arabien war an der Niederschlagung des Aufstands in Bahrain aktiv beteiligt und hat bei der Unterstützung welcher Aufstandsbewegung auch immer alles andere als soziale Gerechtigkeit und säkulare Freiheit auf seine Fahnen geschrieben. Wenn in Syrien ein Aufstand gegen die repressiven Praktiken und die oligarchische Korruption der syrischen Administration von einer finanzstarken Gruppe arabischer Feudalherrscher okkupiert wird, dann sicherlich nicht deshalb, um die in ihren eigenen Staaten herrschende orthodoxe islamische Sittenlehre, die Unterdrückung der weiblichen Bevölkerung und der demokratischen Opposition aufzuheben.

Wie ignorant muß man sein, die von der US-Regierung und ehemaligen Kolonialmächten wie Britannien und Frankreich, die erst kürzlich den vergleichsweise weit entwickelten Lebensstandard der libyschen Bevölkerung um Jahrzehnte zurückgeworfen haben, in Syrien geltend gemachten humanitären Beweggründe für bare Münze zu nehmen? In Homs wird zweifellos ein grausamer Kampf geführt. Dies jedoch auf den Titelseiten der Zeitungen und als Breaking News der TV-Sender allein zu Lasten der Regierung in Damaskus gehen zu lassen steht in scharfem Kontrast dazu, daß die fast flächendeckende, unter Einsatz völkerrechtswidriger Waffen erfolgte Zerstörung der irakischen Stadt Fallujah 2004 durch die US-Invasoren weitgehend im Schatten der internationalen Berichterstattung erfolgte. Die planmäßige Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Irak schon im Golfkrieg 1991, an dem im übrigen Syrien auf der Seite der Aggressoren teilnahm, ohne daß dem damals regierenden Präsidenten Hafiz al Assad die blutige Unterdrückung der islamischen Opposition, die im Massaker von Hama 1982 gipfelte, übel genommen wurde, galt als gerechte Intervention demokratischer Staaten, ohne daß die systematische Vernichtung der Lebensgrundlage von Millionen Menschen zu dem Verbrechen erklärt wurde, das es war. Die Aushungerung des Iraks durch ein fast 13 Jahre währendes Embargo der Vereinten Nationen hatte den schleichenden Tod hunderttausender Menschen zur Folge und entzog ganzen Generationen von Irakern angemessene Lebens- und Bildungsmöglichkeiten, ohne daß eine auch annähernd vergleichbare Empörung ausbrach, als sie nun gegen die syrische Regierung geschürt wird.

Der Bürgerkrieg in Syrien findet im größeren geopolitischen Rahmen der langfristigen Isolation und möglicherweise militärischen Eroberung des Irans statt. Allein diese Konstellation erklärt, wieso sich zahlreiche Regierungen darum reißen, den Syrern ein schreckliches Erwachen zu bescheren. Man will auch im nächsten Krieg auf der Seite der Sieger stehen und bei der Verteilung der Beute nicht leer ausgehen, läßt doch schon die systematische Verzerrung des Konflikts mit der iranischen Regierung als angeblich durch deren Unbotmäßigkeit verursacht ahnen, wer das Heft des Handelns in den neuen globalen Verteilungskriegen in der Hand hat. Nicht zuletzt soll jede Revolution, die den Namen verdient hätte, weil das darin artikulierte Anliegen sozialer Art ist, im Keim erstickt werden, und dabei denken die "Freunde Syriens" vor allem an die eigenen Bevölkerungen.

Der Nahe und Mittlere Osten ist in Aufruhr nicht nur deshalb, weil die große Offensive des Globalen Kriegs gegen den Terrorismus, die erklärtermaßen zu einer Neuordnung der Region unter wohlwollender Hegemonie der USA und ihrer Verbündeten führen sollte, an mehreren Fronten regelrecht versackt ist. Er befindet sich im Umbruch, weil die Menschen entdeckt haben, daß sie sich von ihren Regimes nicht endlos kujonieren lassen müssen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Daß diejenigen Kräfte, die ihrer Macht und ihrer Pfründe verlustig zu gehen drohen, dabei nicht tatenlos zuschauen, hat die Fortschreibung der Diktatur Hosni Mubaraks durch den ägyptischen Militärrat ebenso bewiesen wie der Angriff der NATO auf Libyen unter dem Vorwand, Zivilisten vor der Bombardierung durch die eigene Regierung schützen zu wollen. Im Endeffekt bombardierte die NATO libysche Zivilisten, bereitete die Ermordung und Pfählung ihres einstmals umworbenen Gesprächspartners Gaddafi vor und ermächtigte Rebellenmilizen dazu, rassistische Hetzjagden auf Schwarze durchzuführen und an Parteigängern der ehemaligen Regierung grausam Rache zu nehmen.

Es ist mithin nicht nur von abenteuerlicher Ignoranz, sondern entspricht vor allem dem leichtfertigen Zündeln an einem Pulverfaß, wenn hierzulande Stimmung für die Bewaffnung der syrischen Opposition und eine militärische Intervention der NATO gemacht wird. Es fällt kaum auf, daß das moralische Handeln, das dabei eingefordert wird, immer an Bevölkerungen exekutiert wird, deren Staaten nicht der NATO angehören. Wenn also in fernen Weltregionen das Recht der kapitalistischen Klassenherrschaft durchgesetzt wird, dann entrichten die dabei Ermordeten den Preis auch dafür, vergessen zu machen, daß die Bevölkerungen der USA und EU allen Grund hätten, ihrerseits den Aufstand zu proben. Auf der langen Strecke des Konflikts in Syrien gab es diverse Wegmarken, an denen die Weichen für eine friedliche Lösung durch die USA, die EU und die Türkei hätten gestellt werden können. Untätig bleiben ist, wie notorische Falken mit dem Vorwurf des Appeasement gerne hervorheben, eine politische Entscheidung. Das stimmt allerdings auch dann, wenn die nichtergriffene Chance einer friedlichen Konfliktbewältigung gewidmet gewesen wäre.

25. Februar 2012