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KRIEG/1564: Wie ein Dieb in der Nacht - Obamas Blitzbesuch am Hindukusch (SB)




Ein Sieg der Supermacht über den Aufstand in einem der ärmsten Länder der Welt sieht anders aus. US-Präsident Obama, dessen Reise nach Afghanistan aus Sicherheitsgründen wie üblich streng geheim gehalten worden war, mied die einheimische Bevölkerung wie der Teufel das Weihwasser. Im Schutz von Panzerfahrzeugen und jubelnden US-Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram nördlich von Kabul behauptete er in einer knapp 15 Minuten langen Rede an das amerikanische Volk unverfroren, nach verlustreichen Jahren sei der Krieg in seine letzte Phase eingetreten: "Wir haben ein Jahrzehnt unter der dunklen Wolke des Kriegs durchlebt. Diese Zeit des Kriegs begann in Afghanistan, und hier wird sie auch enden." [1] Gegen Mitternacht zerriß der Lärm von Hubschraubern die nächtliche Stille Kabuls, als Barack Obama zum Präsidentenpalast in der afghanischen Hauptstadt geflogen wurde. Dort unterzeichnete er ein strategisches Abkommen mit Hamid Karsai, der sich unablässig darum bemüht, nicht als Marionette Washingtons wahrgenommen zu werden. Anwesende Reporter beschrieben Karsais Stimmung als "überschwenglich", als Obama ihm im Unterschied zu seiner letzten Visite im Dezember 2010 diesmal nicht nur seine Aufwartung machte, sondern nach einer kurzen und geschäftsmäßigen Zeremonie demonstrativ erklärte: "Heute vereinbaren wir, langfristige Partner zu sein", worauf er ihm mit den Worten "danke, mein Freund", die Hand schüttelte. [2]

Als am Morgen die Stadt von einer Explosion erschüttert wurde und die Alarmsirenen aufheulten, hatte der angeblich mächtigste Mann der Welt nach einem nur sechsstündigen Aufenthalt längst das Weite gesucht. Der Anschlag galt dem Green Village, einem Gebäudekomplex, in dem insbesondere Ausländer aus westlichen Staaten wohnen. Bei dem Angriff, zu dem sich die Taliban bekannten, wurden mindestens elf Menschen getötet. Mit der Tat habe man gezeigt, daß Obama in Afghanistan "nicht willkommen" sei, sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid: "Afghanen erdulden keine Besatzer, und sie müssen dieses Land verlassen." Statt Abkommen über die Partnerschaft zu unterzeichnen sollte der US-Präsident "darüber nachdenken, seine Truppen aus Afghanistan abzuziehen und die Afghanen ihr Land wieder aufbauen lassen". [3]

Die Aussagen des US-Präsidenten bei seinem Kurzbesuch im Kriegsgebiet Afghanistan könnten haltloser und widersprüchlicher nicht sein. "Wir werden weder ständige Stützpunkte in diesem Land haben, noch werden wir in den Städten und auf den Bergen patrouillieren. Das wird die Aufgabe des afghanischen Volkes sein", sagte er in Gegenwart Karsais, worauf dieser erwiderte, das Abkommen begründe eine "gleichwertige Partnerschaft" zwischen beiden Ländern. Wie viele amerikanische Soldaten und Militärberater nach dem Abzug der Kampftruppen in Afghanistan bleiben sollen, legt der Vertrag jedoch nicht fest. Auch wird keine feste Summe genannt, mit der Kabul über das Jahr 2014 hinaus bei der Besoldung und Ausrüstung seiner Sicherheitskräfte geholfen werden soll. Zuvor hatte Obama in Bagram mit Blick auf den NATO-Gipfel Ende Mai erklärt: "Unsere Allianz wird sich in Chicago das Ziel setzen, dass die afghanischen Kräfte im kommenden Jahr die Führung bei Kampfeinsätzen überall im Land übernehmen." Internationale Truppen würden die Afghanen jedoch weiter "trainieren, beraten und unterstützen und an ihrer Seite kämpfen, wenn es sein muss", aber "unsere Truppen werden heimkehren".

Von dieser Vernebelung der militärischen Niederlage und der zu keinem Zeitpunkt aufgegebenen Pläne einer Dauerpräsenz in Afghanistan abgesehen, war Obamas Besuch zu einem symbolischen Datum - dem ersten Jahrestag der mutmaßlichen Tötung Osama bin Ladens durch eine Spezialeinheit der amerikanischen Kriegsmarine in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad - nicht zuletzt dem Wahlkampf in den USA geschuldet. Dort sieht die Lage düster aus, da die rasch fortschreitende Verarmung der Mittelschicht, die bislang die wichtigste Stütze der Gesellschaftsordnung war, deren Fundamente zu untergraben droht. Prognostiziert werden zunehmende soziale Unruhen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die den staatlichen Zusammenhalt in Frage stellen.

Obamas Antwort ist eine groß angelegte PR-Offensive, die darauf abzielt, mittels seiner präsidialen Kriegstauglichkeit die Wahlchancen zu erhöhen. Krokodilstränen der Republikaner, die Betrübnis simulieren, weil der Präsident die Tötung Bin Ladens politisiere, was sich für einen Oberbefehlshaber nicht zieme, ziehen nicht. In den Umfragen bescheinigen die Wähler Obama hohe Kompetenz bei der nationalen Sicherheit - ein Thema, bei dem gewöhnlich die Republikaner punkten, und der Tod Bin Ladens ist einer der Gründe dafür.

Der Präsident, der weniger als neun Monate nach seinem Amtsantritt mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, entpuppte sich als der militärisch aggressivste US-Präsident seit Jahrzehnten. Er führt Krieg in den sechs muslimischen Ländern Irak, Afghanistan, Pakistan, Somalia, Jemen und Libyen, wie er auch die extralegale Hinrichtung selbst von Bürgern seines Landes salonfähig gemacht hat. Krieg statt Brot ist die Rechnung, die Barack Obama seinen Landsleuten präsentiert, wobei der aktuelle Wahlkampf allenfalls einen Vorgeschmack auf künftige Verwerfungen des US-Gesellschaft liefert.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/obama-in-afghanistan-zwischen-den-tagen-11737435.html

[2]‍ ‍http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article106252349/Taliban-antworten-mit-Gewalt.html

[3]‍ ‍http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/taliban-angriff-in-afghanistan-sechs-tote-bei-anschlaegen-nach-obamas-blitzbesuch_aid_746228.html

2.‍ ‍Mai 2012