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KRIEG/1570: "Sinnlose Gewalt" ... Aufruf zu herrschender Ordnung (SB)




"Sinnlose Gewalt" erkannten der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney und andere US-Politiker in dem Massaker, das der 24jährige James Holmes allem Anschein nach unter den Besuchern eines Kinos in Aurora, Colorado, anrichtete. Sinnlos deshalb, weil der Schießerei keine strategische oder repressive Ratio zugrundelag, wie sie etwa für die Ermordung ganzer Familien durch die US-Streitkräfte in Pakistan und Afghanistan, im Jemen und in Somalia geltend gemacht wird. Das Entsetzen über den Einbruch massiver Gewalt in der zivilen Szenerie eines cineastischen Events unter den Betroffenen ist zweifellos nicht minder berechtigt als die Verzweiflung der Menschen, über die US-amerikanische Drohnen und Kampfflugzeuge aus heiterem Himmel den Tod bringen. Dennoch findet letzteres nicht ansatzweise so viel Aufmerksamkeit wie die symbolträchtige Bluttat an einem kultureller Erbauung gewidmeten Ort.

Wie sinnlos diese Bluttat für den Attentäter war, läßt sich bislang nicht ermessen. Die mutmaßlich mehrwöchige Vorbereitung des Fanals legt jedoch nahe, daß der Mörder nicht anders als der norwegische Rechtsterrorist Anders Behring Breivik oder Eric Harris und Dylan Klebold, die das Massaker im unweit von Aurora gelegenen Littleton an der Columbine High School anrichteten, seine ganz persönlichen Gründe hatte. Derartige Gewaltausbrüche werden üblicherweise auf entwicklungspsychologische Motive hin untersucht, und nicht selten gelangt man zur Diagnose einer psychopathologischen Genese der Tat. Derartige Deutungen sind so unbefriedigend wie die Anwendung des Begriffs "Amoklauf" auf Mordtaten, deren Urheber, wie auch die Mordserie in Winnenden gezeigt hat, kühl kalkuliert vorgehen, anstatt in regelrechte Raserei zu verfallen.

Um so naheliegender ist der Blick auf gesellschaftliche Zustände, deren vermeintliche Normalität und Zivilität, die durch solche Gewaltausbrüche jäh unterbrochen werden, nicht so haltbar sind, wie der allgemeine Geschäftsbetrieb suggeriert. So erzeugen die sozialen Verwerfungen der neoliberalen Konkurrenzgesellschaft eine durchaus erwünschte Atmosphäre der Angst und Aggression, die schon im Vorfeld körperlicher Gewalt eine feindselige Einstellung der Marktsubjekte untereinander begünstigt. Menschen, denen essentielle Lebensvoraussetzungen genommen werden, haben oft nicht mehr zu verlieren als eben jene Angst, bevor sie sich in selbstdestruktiver oder aggressiver Verzweiflung aufgeben. In ihrer Überlebenskonkurrenz atomisiert und einer Sprache, die den gesellschaftlichen Schein brutaler Klassenverhältnisse durchdringen könnte, nicht mächtig sind paranoiden Projektionen Tür und Tor geöffnet.

In den USA werden Gewalttaten, die wie ein numinoser Schicksalsschlag wirken, durch die hochgradige Militarisierung der Gesellschaft wie die leichte Verfügbarkeit von Schußwaffen begünstigt. Eine deutliche Mehrheit der US-Bürger ist gegen die Einführung restriktiver Waffengesetze, das gilt auch für die Planer imperialistischer Kriege, denen eine im Umgang mit Waffen geübte Bevölkerung ein gutes Rekrutierungsreservoir bietet. Gleichzeitig ist diese Gesellschaft von sozialen Widersprüchen schärfster Art gezeichnet. Der hegemoniale Konsens des marktwirtschaftlichen Liberalismus läßt Lösungen, die an der Linderung materieller Not ansetzen, kaum zu. Um so fanatischer wird der Freiheitspathos einer Gun Lobby zelebriert, deren Credo, jeder gesetzestreue Bürger müsse sich mit der Waffe in der Hand verteidigen können, in der überproportionalen Einkerkerung sozial schwacher Gruppen im gigantischen System staatlich organisierter Freiheitsberaubung das repressive Äquivalent bourgeoiser Selbstgerechtigkeit findet.

Von schwer zu ignorierender Symbolkraft ist schließlich der Ort des jüngsten Anschlags, die Premiere des Batman-Films "The Dark Knight Rises". Zeugenaussagen zufolge waren einige Zuschauer zu Beginn der Schießerei der Ansicht, es habe sich bei den Schüssen um besonders realistische Sensationen des cineastischen Spektakels gehandelt. Der mit Gasmaske und kugelsicherer Kleidung ausgestattete Schütze wäre in einem Publikum, das zum Teil auf ähnliche Weise verkleidet war, nicht einmal besonders aufgefallen. Die sich aufdrängenden Analogien zwischen Fiktion und Realität betreffen auch den Mythos der Superhelden, sind die maßgeblichen Akteure dieses Genres doch stets Einzelkämpfertypen, die das Recht in die eigene Hand nehmen. In ihnen kulminieren gesellschaftliche Gewaltverhältnisse, die zu entschlüsseln nicht nur zu schwierig, sondern rundheraus unerwünscht ist, könnten die Menschen doch darauf kommen, daß es nicht monströse Freaks oder machtbesessene Bösewichte sind, denen ihre Misere geschuldet ist, sondern schlichtweg die kapitalistische Eigentumsordnung.

Ob als gut oder böse ausgewiesen, die Protagonisten der Superheldenfilme geben Antworten auf eine individuell erfahrene Ohnmacht, die in der Ermächtigung zur ultimativen Tat besteht. Daß von der dabei entfachten Gewalt, wie auch im aktuellen Batman-Film, regelmäßig Unbeteiligte betroffen sind, treibt das Dilemma subjektiver Betroffenheit zu seiner imaginativen Überwindung im Rahmen einer Willkür, die von dem mörderischen Treiben nicht emanzipiert, sondern es gegen vermeintlich Schuldige in Stellung bringt. Daß diese sich allzuleicht hinter gesetzlichen Bestimmungen oder etablierten Machtstrukturen verstecken können, wie das ins Negative gewendete Szenario des amerikanischen Traums besagt, legitimiert den Bruch der herrschenden Rechtsordnung, die in ihrer Suspendierung auf repressiv qualifizierte Weise reorganisiert wird.

Das Elend einer Gesellschaft, in der Wirtschaft und Politik von Korruption und Ränkespielen bestimmt werden, schreit nach der Lösung des Problems durch die harte Hand jener Gerechtigkeit, die der Superheld in einsamer Verantwortung über alle anderen bringt. Dieser bedient sich, um gegen die Superbösewichte bestehen zu können, einer gutbürgerlichen Fassade, hinter der die Machtfülle besonderer Fähigkeiten zum Vollzug drängt. Nicht anders agiert jene Geheimexekutive, der die Aufhebung demokratischer Willensbildung, wie sie in den USA spätestens seit dem 11. September 2001 vorangetrieben wird, kein Kollateralschaden, sondern wesentlicher Zweck ist.

Die sich überaus großer Beliebtheit beim Publikum erfreuenden Superhelden geben dem von sozialen Widersprüchen und politischer Hybris zerrissenen Subjekt die Hoffnung auf eine Lösung für das Dilemma seiner Bedingtheit, die in der Elimination des physisch wie psychisch ins Monströse des Freaks getriebenen Bösen besteht. Biologistischer Rassismus und sozialeugenische Politik nehmen in vielen Produkten des Genres keineswegs nur dystopische Form an, sondern werden durchaus als Errungenschaft der postmodernen Kulturgesellschaft gefeiert. In der Karriere des Individuums, das seine eigenen Regeln setzt, zum Retter der Menschheit oder zumindest der eigenen Stadt erhält die Dichotomie von Gut und Böse eine Gültigkeit, die in der Ermächtigung des autoritären Sicherheitsstaats zu quasidiktatorischer Vollmacht seine realpolitische Entsprechung findet.

Was auch immer den mutmaßlichen Attentäter James Holmes getrieben haben mag, so können die Reißbrettprodukte des hyperanimierten Blockbusterkinos zumindest zur Weiterentwicklung der Frage beitragen, wie die atomisierten Subjekte des neoliberalen Kapitalismus mit dem Gewaltcharakter der sie bedingenden Verhältnisse umgehen. Daß diese einen sozialen Krieg hervorbringen, in dem Millionen Menschen materiell verelenden und einen vorzeitigen Tod erleiden, gerät bei der kulturindustriellen Illumination bürgerlicher Normalität allzuleicht in Vergessenheit. Der Ausbruch aus diesen Zwangsverhältnissen mit Hilfe jener Waffengewalt, die in den hochproduktiven Zentren wie in den abgehängten Peripherien kapitalistischer Gesellschaften angebliche Sicherheit schafft, vertieft die dabei erlittene Ohnmacht. Auf deren Gründe zu sprechen zu kommen wäre eine Möglichkeit, nicht der Faszination einer Zerstörung zu erliegen, deren cineastische Dramatisierung den Vorschein schlimmerer Formen des sozialen Krieges verkörpert.

22. Juli 2012