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KRIEG/1624: Ostexpansion der NATO schafft Brandherde (SB)




Südossetien läßt grüßen, behaupten deutsche Kommentatoren angesichts der Spannungen zwischen der ethnisch russischen Bevölkerungsmehrheit und den ukrainischen wie krimtatarischen Minderheiten auf der Halbinsel Krim. Unterstellt wird nicht nur eine Einmischung Rußlands in die inneren Angelegenheiten der Ukraine, sondern auch die Androhung einer militärischen Intervention auf der Krim.

Als hätten sich in den letzten Monaten westliche Regierungsmitglieder auf dem Kiewer Maidan nicht die Klinke in die Hand gegeben, um die Annäherung der Ukraine an EU und NATO auch zum Preis eines möglichen Bürgerkriegs voranzutreiben, wird der russischen Regierung jegliche Wahrnehmung ihrer Hegemonialinteressen als aggressives Gebaren angelastet. Der Vergleich mit der Situation in Georgien vor sechs Jahren hinkt dementsprechend, denn die Intervention russischer Truppen in Südossetien erfolgte im Rahmen einer langen Kette expansiver Manöver der NATO, deren Vorrücken auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion bis heute das maßgebliche Momentum potentiell kriegerischer Eskalation darstellt. Die Aufnahme Georgiens wie der Ukraine in die NATO ist zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben, und wird bis zum heutigen Tage zielgerichtet weiterverfolgt [1].

In der Augustkrise 2008 machten die NATO-Staaten geltend, daß der Übergriff Georgiens auf seine separatistischen Gebiete eine innere Angelegenheit der Regierung in Tiblisi gewesen sei, während Rußland als Aggressor agiere. Allerdings kamen bei den Angriffen georgischer Truppen vom 8. August 2008 Mitglieder russischer Friedenstruppen, die sich aufgrund des Waffenstillstandsabkommens von 1992 in Südossetien befanden, sowie 162 südossetische Zivilisten, unter ihnen Bürger Rußlands, ums Leben. Zur Friedenssicherung waren die russischen Truppen vertraglich verpflichtet, und für ihren Entsatz durch neue Kontingente aus Rußland machte die Regierung in Moskau den völkerrechtlichen Anspruch auf Selbstverteidigung im akuten Notfall geltend. Ebensogut hätte sie die von den NATO-Staaten propagierte Doktrin der Schutzverantwortung, die man angeblich im Kosovo und bei anderen Interventionen wahrnahm, für sich in Anspruch nehmen können.

Zudem hatte die russische Führung gegenüber den NATO-Staaten frühzeitig klargestellt, auf die Unabhängigkeit Südossetiens so lange keinen Wert zu legen, als sein autonomer Status erhalten blieb und Georgien nicht der Zutritt zur NATO eröffnet werde. Dies jedoch wurde 2008 insbesondere von der US-Regierung vorangetrieben, deren Militärberater in Tiblisi aus und ein gingen. Der angebliche Aggressionsakt Rußlands wurde denn auch durch eine Untersuchung der OSZE widerlegt. Aus ihr ging hervor, daß georgische Truppen den Krieg unprovoziert mit dem intensiven Artilleriebeschuß russischer Friedenstruppen und südossetischer Zivilisten begonnen hatten. Am 7. August 2008 schlugen georgische Artilleriegranaten in Intervallen von 15 bis 20 Sekunden in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali ein. Die Behauptung der georgischen Regierung, ihre Truppen hätten auf einen russischen Angriff reagiert, wurde von den OSZE-Experten ausdrücklich bestritten. Auch lägen keine Beweise dafür vor, daß von Georgiern in Südossetien bewohnte Dörfer an diesem Abend mit Artillerie beschossen worden seien wie der georgische Präsident Michail Saakaschwili geltend gemacht hatte, um den Angriff seiner Truppen auf Zchinwali zu rechtfertigen.

In der Rückschau spricht vieles dafür, daß es sich bei diesem Konflikt um ein langfristig angelegtes Unternehmen handelte, mit dem Saakaschwili die von ihm angekündigte Wiederherstellung seiner Regierungsgewalt in der abtrünnigen Provinz Südossetien vollziehen wollte. Während er behauptete, Moskau habe den Krieg über Jahre und Monate vorbereitet, verbreitete die Nachrichtenagentur Reuters (14.09.2008) die Aussage des ehemaligen georgischen Verteidigungsministers Irakly Okruaschwili, Saakaschwili habe den Angriff auf Südossetien wie einen weiteren auf Abchasien seit langem geplant. Da von Anfang an klar war, daß ein solcher Kriegsakt eine entsprechende russische Reaktion zur Folge hätte, der die georgischen Streitkräfte nicht standhalten könnten, war der Vorstoß der georgischen Truppen darauf angelegt, einen Konflikt zwischen der NATO und Rußland zu provozieren. Saakaschwili bat denn auch die USA öffentlich um Hilfe. Dabei behauptete er, bei diesem Krieg gehe es nicht nur um Georgien, sondern "um Amerika und seine Werte", so der 2004 durch eine bunte Revolution an die Macht gelangte georgische Präsident, der in den USA zum Juristen ausgebildet wurde und dort auch praktizierte.

Die Politik der NATO gegenüber Georgien lief darauf hinaus, das aggressive Verhalten des Landes gegenüber seiner eigenen Bevölkerung wie gegenüber Rußland zu belohnen. So wurde Georgien von der NATO nicht nur gegen den Vorwurf verteidigt, gegenüber Südossetien aggressiv agiert zu haben. Nach dem Konflikt wurde es mit einem EU-Kredit in Höhe von 3,5 Milliarden Euro und der aufrechterhaltenen Option auf NATO-Mitgliedschaft honoriert, was als Aufforderung an die Adresse weiterer Beitrittskandidaten, ihre Eignung für das Militärbündnis mit Hilfe eines Aggressionsakts zu verifizieren, kaum mißverstanden werden konnte.

Die russische Regierung hatte dem langen Marsch der NATO bis an ihre Grenzen 2008 ein unübersehbares Stoppschild in den Weg gestellt. Die entschiedene Reaktion des damaligen russischen Präsidenten Medwedew auf das kriegerische Vorgehen Georgiens hatte die Handlungsfähigkeit Rußlands wie seine Bereitschaft, nicht nur die Grenzen des Landes, sondern auch seine jenseits davon liegende Einflußsphäre offensiv zu sichern, unter Beweis gestellt. Dem ging voraus, daß die NATO die Versuche Moskaus, Prinzipien gegenseitiger Begrenzung zu etablieren, durch die notorische Mißachtung der dazu erforderlichen strategischen Reziprozität quittierte. Indem Rußland das Vorgehen der NATO gegen Jugoslawien 1999, wenn auch längst nicht so blutig, kopierte, zeigte sich, daß die NATO-Staaten kein Monopol auf die Praxis, internationales Recht nach Belieben zu eigenen Gunsten auszulegen, beanspruchen können. Diese schlechte Nachricht für eine friedliche Zukunft Europas war jedenfalls nicht, wie behauptet, das Ergebnis einseitiger Aggressivität Rußlands.

Wenn heute seitens der NATO-Staaten ähnliche Töne angeschlagen werden wie vor sechs Jahren, dann zeigt sich, daß man nicht nur bereit ist, zugunsten des eigenen Hegemonialinteresses einen Bürgerkrieg in der Ukraine zu riskieren, sondern darüber hinaus auch die Gefahr eines größeren Krieges in Kauf zu nehmen. Wie schnell es zu einer solchen Situation kommen kann, sollte hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs allen Beteiligten klar sein.


Fußnote:

[1] Georgia Sets Sights on NATO Membership Action Plan
http://www.eurasianet.org/node/67950

26. Februar 2014