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KRIEG/1630: Gefahr im Verzug! Die NATO inszeniert sich als "Verteidigungsbündnis" (SB)




Die NATO würde ihrem Ruf, alles andere als ein bloßes Verteidigungsbündnis zu sein, nicht gerecht, wenn sie die angespannte Lage in der Ukraine nicht dazu nützte, sich demonstrativ als defensiver Akteur zu inszenieren. Indem NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärt, man werde angesichts der "russischen Aggression" im Eiltempo mehr Streitkräfte in die osteuropäischen Mitgliedstaaten entsenden, greift er zu der vielfach erprobten Strategie, dem Widersacher zu unterstellen, was man selbst beabsichtigt. Zu behaupten, der durch das langfristig verfolgte Ziel, die an Rußland grenzenden GUS-Staaten in die NATO aufzunehmen, maßgeblich provozierte Konflikt in der Ukraine könne sich nach Westen ausdehnen, ist als Schattenwurf der eigenen, gegen den hauptsächlichen Kontrahenten auf dem Feld der Staatenkonkurrenz gerichteten Hegemonialpolitik unschwer zu erkennen.

Der damit in der Öffentlichkeit der NATO-Staaten erweckte und von den Leitmedien kolportierte Eindruck, die Militärallianz betrachte die Sicherung des Bündnisgebietes als ihre zentrale Aufgabe, ist auch insofern weniger als die halbe Wahrheit, als die globale Zuständigkeit der NATO längst in ihren offiziellen strategischen Entwürfen ausformuliert wurde. Wenn dort von "Sicherheit" die Rede ist, dann ist damit nicht die militärische Abwehr eines ohnehin kaum mehr gegebenen Aggressors gemeint, sondern die Durchsetzung der politischen und ökonomischen Interessen der NATO-Mitgliedstaaten im allgemeinen und der führenden Akteure USA, Britannien, Frankreich und Deutschland im besonderen. Deren Verfügungsgewalt über menschliche Arbeit und natürliche Ressourcen in aller Welt nicht nur durch ein erhebliches militärisches Drohpotential zu garantieren, sondern mit Hilfe kriegerischer Interventionen in Staaten, die sich der Geschäftsordnung des freien Marktzugangs und Kapitalverkehrs, des Eigentumsrechts und Investitionsschutzes nicht in ausreichendem Maße unterwerfen, durchzusetzen, kann nur mit einer Bereitschaft zur militärischen Aggression gelingen, wie sie etwa vor drei Jahren am Beispiel Libyen unter Beweis gestellt wurde.

Daß sich dieses Land bis heute nicht davon erholt hat, durch Staaten, die Nordafrika seit jeher als ihr Lehen betrachten, einem blutigen Regimewechsel unterzogen worden zu sein, ist die Regel faktischer Gesetzeslosigkeit, die die Willkür eigener Handlungsmacht besonders nachdrücklich zur Geltung bringt, wenn sie in das Gewand des Rechtsanspruchs gekleidet wird. So wie die NATO sich als System regionaler Sicherheit auf ein klar umrissenes Territorium beruft, um von diesem aus in aggressiver Absicht über andere Länder herzufallen, so nimmt sie Demokratie und Menschenrechte in Anspruch, um im Namen dieser universalen Prinzipien legitimer gegen sie verstoßen zu können. Die operative Negation ihres Wertekodex als Rechtsakt auszuweisen und ihre Gegner damit ins Unrecht zu setzen, ist eine Waffe, deren Wirksamkeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

So führt die NATO den sozialen Krieg gegen das globale Elendsproletariat, der die Hauptlinie aller geostrategischen Konfrontationen bildet, kraft einer Deutungshoheit, die die Antwort auf die dadurch provozierte Machtfrage stets im voraus gibt. Den Feind, sei es die Regierung eines Staates oder eine nichtstaatliche Organisation, der Aggression zu bezichtigen, um im Brustton selbstgerechter Empörung alle Regeln zu brechen, die die unabsehbare Austragung militärischer Gewalt verhindern sollen, setzt voraus, die Anlässe der Eskalation zu produzieren, um niemals die Initiative zu verlieren. Um Präsident Vladimir Putin, der auf diesem Feld nicht minder geschickt ist als seine Gegenspieler in den Regierungen der NATO-Staaten, den Wind aus den Segeln zu nehmen, werden die legitimen Interessen Rußlands auf seine Person eingedampft und als besonders bösartige Charaktereigenschaft dargestellt. Dieses Spiel mit mehrfach gezinkten Karten ist ein Grund mehr dafür, die von der NATO ausgehende Gefahr beim Namen zu nennen und ihre Existenzberechtigung im Grundsatz zu bestreiten.

16. April 2014