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KRIEG/1632: Im Ernstfall unschuldig - einmal mehr in die Katastrophe "geschlittert" ... (SB)




"Niemand hat vorhersehen können, wie schnell wir in die schwerste Krise seit dem Ende des Kalten Kriegs geschlittert sind."[1] Im Vorschein schlimmerer Ereignisse schützt Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf eine Weise Arglosigkeit vor, als handle es sich bei der Bundesregierung um eine Art Wohltätigkeitsverein, der auf einen gewieften Betrüger hereingefallen sei. Als hätten der Auftritt seines Vorgängers Guido Westerwelle auf dem Kiewer Maidan inmitten der Putschisten, der Versuch der Bundesregierung, Vladimir Klitschko als Führer der Opposition im Bündnis mit der neofaschistischen Swoboda aufzubauen und die Orchestrierung des Sturzes Janukowitschs durch EU und USA nie stattgefunden, wird alle Verantwortung für die Eskalation in der Ukraine der russischen Regierung angelastet. Als wären die die Ukraine umfassenden Osterweiterungspläne der NATO, ihre exklusive, eine Mitgliedschaft in der Eurasischen Union (EaU) ausschließende Integration in die Östliche Partnerschaft der EU und das eine militärische Option beinhaltende EU-Assoziierungsabkommen bloße Makulatur gewesen, spielt der SPD-Politiker den treuherzigen Diplomaten.

Dieser Offenbarungseid des ansonsten keinen Zweifel an seiner proaktiven Diplomatie zulassenden Außenpolitikers läßt einen politischen Dilettantismus erkennen, der die Bevölkerung der Bundesrepublik in Angst und Schrecken ob der Gefahren versetzen müßte, denen sie von ihrer Regierung ausgesetzt werden. Das gilt um so mehr, als inzwischen sogar einige auf "Putin" scharfgestellte Leitmedien eingestehen, daß es sich bei der angeblichen OSZE-Mission deutscher Offiziere um eine deutsch-ukrainische Operation handelte, die sich des OSZE-Labels aus eher opportunistischen Gründen bediente. Der Drang, an vorderster Front mitzumischen, und das auf der Seite einer Regierung, die durch einen gewaltsamen Umsturz unter Mißachtung des von Steinmeier selbst ausgehandelten friedlichen Übergangsszenarios an die Macht kam, liegt auf der Linie einer Remilitarisierungspolitik, die nur wenige Monate, nachdem der Ruf zu den Waffen aus den Mündern deutscher Regierungspolitiker und des Bundespräsidenten erscholl, wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt.

So steuert die Bundesrepublik im Geleitzug einer NATO, deren Generalsekretär die Krise um die Ukraine als "Weckruf für Europa" bezeichnet und zur Aufrüstung mahnt, auf einen Krieg zu, dessen mögliches Zerstörungspotential alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Besonnenes Agieren der Bundesregierung, um das Schlimmste zu verhindern, unbeirrbare Fragen im Parlament nach den eigenen Anteilen an dieser Entwicklung, journalistische Selbstkritik an der massenmedialen Scharfmacherei gegen den alten und neuen Feind, eine drängende Sorge, die sich in großen Antikriegsdemonstrationen manifestiert - Fehlanzeige. Der gegen Rußland gerichtete Kurs liegt fest an, und wer noch so gut begründete Einwände dagegen ins Feld führt, wird wahlweise als "Putinversteher", als Nationalist oder Antimperialist der ideologischen Verblendung bezichtigt.

Dabei reichte der ungetrübte Blick auf das gezielt vollstreckte Massaker von Odessa, das an vorderster Front von neofaschistischen Maidan-Kämpfern begangen wurde, auf die unverhohlene Gutheißung dieser Bluttat durch führende ukrainische Politiker, die am Ort des Geschehens bis heute durch Abwesenheit glänzen, und auf die Gleichschaltung des Kiewer Parlaments, das die Abgeordneten der Kommunistischen Partei von der geschlossenen Sitzung über die sogenannte Antiterroroperation im Osten des Landes ausgeschlossen hat, aus, um zu erkennen, welcher Kräfte sich der deutsche Imperialismus bedient, um seinerseits Gebietsgewinne zu machen. Die fatale Logik, den Kreml all dessen zu bezichtigen, was am gescheiterten strategischen Entwurf der EU und USA kritikwürdig war, löst sich nicht im Nullsummenspiel gegenseitiger Aufhebung in Wohlgefallen auf. Wer nicht mehr von der einmal erklommenen Kommandohöhe herunterkommen will, weil das getätigte Investment Rendite treiben und der erreichte Einfluß nicht preisgegeben werden soll, riskiert nicht nur das eigene Leben, sondern provoziert einen Schwall entfesselter Gewalten, der alles mit sich reißen kann.

Wer in dieser Situation meint, sich jeder Positionierung enthalten zu können, weil der Widerstand gegen die NATO der Sympathie für Rußland verdächtig ist, hat noch nicht begriffen, daß die Möglichkeit, zu dieser Entwicklung auf die Distanz bloßer Beobachtung gehen zu können, vom Ernstfall des Ausnahmezustands überholt werden könnte. Freiheit und Demokratie sind in den NATO-Staaten allerdings schon im vermeintlichen Friedenszustand in Frage gestellt. In den USA wurden gerade die als "Nato 3" bekannten Aktivisten zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und acht Jahren verurteilt, weil sie vor dem NATO-Gipfel in Chicago 2012 angeblich Anschläge geplant hätten. Das Belastungsmaterial kam unter Einwirkung von Polizeispitzeln zustande, deren Versuche, sie zum Einsatz von Molotow-Cocktails zu überreden, aufgezeichnet wurden, um vor Gericht als Beweis verwendet zu werden. Dieser Sachverhalt wurde zu einer terroristischen Bedrohung aufgeblasen, um die Proteste gegen den NATO-Gipfel zu kriminalisieren. Obwohl die Geschworenen die Angeklagten in allen den Vorwurf des Terrorismus betreffenden Punkten für nicht schuldig befanden, wurden sie wegen des Besitzes eines Brandsatzes und des Landfriedensbruchs zu mehrjähriger Haft verurteilt. Der von acht Jahren Haft betroffene Aktivist hat laut einem medizinischen Gerichtsgutachter aufgrund einer schweren Erkrankung nur noch zehn Jahre zu leben, doch nicht einmal das konnte das Gericht zu einer Strafminderung veranlassen.

Die von deutschen Politikern und Journalisten artikulierte Schmähung "Putins" richtet sich aus gutem Grund nicht gegen den russischen Kapitalismus oder den Nutzen, den deutsche Unternehmen aus ihm ziehen. Sie kommt auch nicht als sachdienliche Kritik an einer Amtsführung daher, die deutlich machte, daß es grundlegende Unterschiede zwischen dem russischen Präsidenten und seinen westlichen Kollegen gäbe. Sie ergeht sich in der Personifizierung eines Gewaltverhältnisses, das Staaten jeder Couleur eigen ist, und bringt dabei die Karikatur eigener Interessen und Absichten hervor. In diesem projektiven Abtausch tritt nichts anderes als der Ärger darüber hervor, daß dem eigenen Herrschaftsanspruch Interessen entgegenstehen, die nicht, wie es im Fall der eigenen Bevölkerung üblich ist, auf manipulative und repressive Weise zur Räson des eigenen Vorteils zu bringen sind.


Fußnoten:

[1] https://magazin.spiegel.de/digital/index_SP.html#SP/2014/18/126717922

6. Mai 2014