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KRIEG/1682: Mauerbau - Komponente asymmetrischer Kriegsführung (SB)



Der Bau einer Mauer mag auf den ersten Blick wie ein anachronistischer Rückfall in längst überwunden geglaubte Epochen der Menschheitsgeschichte anmuten. In Zeiten globalisierter ökonomischer Expansion und weltweit exekutierter militärischer Übermacht kehrt er jedoch als Instrument asymmetrischer Kriegsführung und Abschottung mit innovativer Wucht in das Arsenal überlegener Produktivität und Waffengewalt zurück. Derartige Grenzbefestigungen avancieren überall dort zum Mittel der Wahl, wo die Mobilität von Menschen eingeschränkt werden soll, die über keine anderen Mittel der Fortbewegung auf dem Landweg als die eigenen Füße verfügen. Mithin errichtet die Mauer gleichermaßen eine kaum zu überwindende physische Barriere wie sie als symbolische Scheidelinie zunehmend auseinanderdriftende Sphären höchst unterschiedlichen Zugangs zu Überlebensmöglichkeiten voneinander trennt.

Was auf seiten der Mauerbauer als unverzichtbarer Schutz vor der Infiltration durch feindliche Kräfte oder einem Massenansturm von Flüchtlingen ausgewiesen wird, die unzulässigerweise an einem Wohlstand partizipieren wollen, den sie selbst nicht generiert haben, ist im wesentlichen eine Folge expansionistischer Übergriffe auf die Herkunftsländer dieser Menschen. Handelsbeziehungen zwischen Staaten mit ungleich entwickelten Produktivkräften schaden in aller Regel dem schwächeren Partner, indem sie dessen kleinbäuerliche Landwirtschaft ruinieren, ihn zu monokulturellen Anbauweisen für den Export zwingen und seine industrielle Entwicklung untergraben. Das gilt um so mehr für umfassendere Handelsabkommen wie etwa die EPAs zwischen der EU und Gruppen afrikanischer Länder, welche die Strukturen ökonomischer Abhängigkeit verstetigen, kodifizieren und justitiabel machen.

Hinzu kommt die Kriegsführung der westlichen Mächte in Afrika wie auch dem Nahen und Mittleren Osten, deren Folge viele Millionen Binnenflüchtlinge in den betroffenen Ländern und massenhafte weiträumige Fluchtbewegungen sind. Und selbst der Klimawandel ist keine ausschließlich höhere Gewalt, an der die führenden Industrienationen keinen verursachenden Anteil hätten. Ihre fossilistische und wachstumsfixierte industrielle Entwicklung trägt maßgeblich zum Temperaturanstieg bei, dessen katastrophale Auswirkungen zuallererst die ärmeren Weltregionen in Mitleidenschaft ziehen. Der Bau einer Mauer als eine von vielen Maßnahmen der Ausgrenzung trennt mithin die Nutznießer der vorherrschenden Produktionsweise von jenen Menschen, auf deren Rücken der Wohlstand im globalen Kontext erwirtschaftet und gewaltsam durchgesetzt wird.

Das meistdiskutierte Monstrum einer solchen Abschottung ist derzeit zweifellos die von der neuen US-Regierung geplante Mauer zwischen den USA und Mexiko. Donald Trump hatte im Wahlkampf für seine Präsidentschaft angekündigt, an der rund 3200 Kilometer langen Grenze eine Mauer errichten zu wollen, um die "illegale" Einwanderung und den Drogenschmuggel zu stoppen. Er will dem Nachbarland die Kosten aufbürden, die sich jüngsten Schätzungen zufolge auf nicht weniger als 21,8 Milliarden Dollar belaufen sollen. Die mexikanische Regierung hat wiederholt erklärt, daß sie keinesfalls dafür aufkommen wird. Der neue US-Präsident zieht in Erwägung, die Finanzierung durch eine Besteuerung von Einfuhren oder der Rücküberweisungen an Familienangehörige im Nachbarland zu erzwingen.

Wie rasant die Pläne umgesetzt werden, unterstreicht ein Ideenwettbewerb, zu dem die US-Grenzschutzbehörde CBP aufrufen will. Die entsprechende Aufforderung solle bis zum 6. März veröffentlicht werden, kündigte die dem Heimatschutzministerium untergeordnet Behörde an. Demnach sollen Bewerber Konzeptstudien oder Prototypen "für das Design und den Bau" der Mauer nahe der Grenze zu Mexiko einreichen. Auf die Ideensammlung soll die offizielle Ausschreibung folgen. Die Zoll- und Grenzschutzbehörde rechnet damit, daß nach Sichtung der Vorschläge die ausgewählten Unternehmen bis Mitte April den Zuschlag für Aufträge erhalten werden. [1]

Als ein anderes Beispiel der Abschottung schaffte es jüngst die spanische Exklave Ceuta in die Schlagzeilen. Dort gelang es im Zuge eines Massenansturms rund 850 Menschen, den sechs Meter hohen Doppelzaun zu überwinden und damit das Territorium der EU zu erreichen. Wer Bilder derartiger Zäune und des dazwischenliegenden NATO-Drahts gesehen hat, wird wissen, daß deren Bewältigung nur unter Lebensgefahr möglich ist. Die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika sind mithin Nadelöhre der Migration nach Europa, die als Schauplätze blutiger Überlebenskämpfe das ansonsten der europäischen Öffentlichkeit zumeist verborgene Leiden und Sterben von Flüchtlingen vor Augen führen.

Weit weniger dürften die Fortschritte des Mauerbaus an der türkisch-syrischen Grenze wahrgenommen werden, der nicht zuletzt auf Druck der EU Gestalt annimmt. Von den geplanten 511 Kilometern sind 290 Kilometer fertiggestellt, womit die Türkei bereits mehr als die Hälfte des Bollwerks vollendet hat. Dies gab Ergün Turan bekannt, der Vorsitzende der an der Errichtung beteiligten staatlichen Wohnungsbaugesellschaft Toki. Demnach erstreckt sich die Mauer über die süd- und südosttürkischen Provinzen Hatay, Kilis, Sanliurfa, Mardin, Sirnak und Gaziantep. Wie es weiter hieß, sei der drei Meter hohe Wall mit Stacheldraht und Wachtürmen versehen. Seine Elemente seien mobil und könnten bei Bedarf an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Medienberichten zufolge soll die Mauer Schmuggler und andere Menschen abhalten, die illegal über die Grenze kommen.

In der Vergangenheit hatte die EU die türkische Regierung immer wieder für zu lasche Grenzkontrollen kritisiert. Damit hätten unter anderem Dschihadisten über die Türkei nach Syrien einreisen und sich etwa der Terrormiliz "Islamischer Staat" anschließen können, so der Vorwurf. Bekanntlich hat das Erdogan-Regime dem IS lange einen Rückzugsraum auf türkischem Territorium gewährt: Verwundete IS-Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt, der Waffennachschub lief über die Türkei und deren Geheimdienst schleuste offenbar Attentäter ein, die schwere Anschläge auf Kurden und deren Unterstützer verübten.

Inzwischen hat die türkische Armee den IS vollständig von der Grenze vertrieben. Ein Teil der syrischen Grenzregion zur Türkei wird vom türkischen Militär und verbündeten Rebellen kontrolliert, ein anderer von kurdischen Milizen. Daß die neue Grenzmauer den IS fernhalten soll, der inzwischen vielerorts Anschläge in der Türkei verübt, ist jedoch nur ein Aspekt dieser Befestigung. Zweifellos dient sie auch der Abwehr von Flüchtlingen, womit Erdogan seinen Teil des Abkommens mit der EU erfüllt. Daß damit auch Flüchtlinge aus Syrien aufgehalten werden, die zumindest gewisse Aussichten auf Asyl hätten, liegt auf der Hand. [2]

Der dritte und aus Sicht des Regimes in Ankara vermutlich wesentlichste Zweck des Mauerbaus dürfte der Trennung der Kurdengebiete in den beiden Ländern geschuldet sein. Daß die Abschottung der insgesamt rund 911 Kilometer lange Grenze zu Syrien vorerst nur auf halber Strecke, jedoch im Süden und Südosten des Landes vollzogen wird, muß wohl in erster Linie als Komponente der Kriegsführung gegen die Kurdinnen und Kurden gewertet werden.


Fußnoten:

[1] http://www.morgenpost.de/politik/ausland/article209734787/US-Behoerde-sammelt-Entwuerfe-fuer-Mauer-zu-Mexiko.html

[2] https://www.tagesschau.de/ausland/mauer-tuerkei-101.html

26. Februar 2017


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