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KRIEG/1700: Kabul - regionaler Krieg und weltweites Ringen ... (SB)



Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik schreitet in Riesenschritten voran. Der Ratio permanenter Kriegsführung folgend, die den Anspruch der Bundesregierung auf hegemoniale Einflußnahme mit Waffengewalt untermauern soll, ist von einem Rückzug aus Krisengebieten längst keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil zeugen die massive Erhöhung des Rüstungshaushalts, die personelle Aufstockung der Truppenpräsenz und die Erweiterung bestehender Mandate von einer forcierten Umsetzung der in einschlägigen Strategieentwürfen konzipierten eigenständigen Interventionsfähigkeit der Bundeswehr. Immer nur vorwärts darf der Soldatenstiefel marschieren, soll doch kein Fußbreit okkupierten Bodens preisgegeben werden, sondern das Trittbrett für den nächstgrößeren Schritt in die Kriege von morgen abgeben.

Das gilt für Afghanistan, wo zeitweise mehr als 5000 deutsche Soldaten stationiert waren, bis der Kampfeinsatz 2013 offiziell beendet wurde und sich die Bundeswehr nur noch an der Ausbildung der einheimischen Streitkräfte beteiligte. Derzeit sind 963 deutsche Soldaten am Hindukusch präsent, das aktuell gültige Bundestagsmandat erlaubt bis zu 980 Soldaten. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen plant eine deutliche Ausweitung des Einsatzes mittels der Erhöhung des Kontingents um rund ein Drittel. Künftig sollen sich bis zu 1300 deutsche Soldaten an der Ausbildungsmission der NATO beteiligen.

Daß nicht nur die US-amerikanischen, sondern auch die deutschen Streitkräfte nach Afghanistan gekommen sind, um langfristig dort zu bleiben, kann in den offiziellen Verlautbarungen natürlich kein Thema sein. Statt dessen wird als Grund für die Planungen von der Leyens das Wiedererstarken der Taliban und die Ausbreitung des IS im Land angeführt. Die NATO-Staaten hatten sich bereits im vergangenen Jahr darauf geeinigt, künftig deutlich mehr Bündnistruppen für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte bereitzustellen. Insgesamt soll die Zahl der Soldaten von derzeit rund 13.000 auf knapp 16.000 steigen, eine Rückkehr zu Kampfeinsätzen, welche die NATO bis 2015 durchgeführt hatte, bleibt angeblich ausgeschlossen. Im Rahmen der Mission Resolute Support (RS) dürfen NATO-Soldaten demnach nur trainieren, assistieren und beraten. Deutsche Soldaten dürfen nur zur Waffe greifen, um extreme Gefahr von sich und Verbündeten abzuwenden, was allerdings jederzeit der Fall sein kann. Seit 2002 sind 56 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gestorben, was die Mission zur verlustreichsten in der Geschichte der Truppe macht. [1]

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich in der Tat deutlich verschlechtert, die einheimischen Sicherheitskräfte stehen auf nahezu verlorenem Posten. Gut 16 Jahre nach dem Beginn des NATO-Einsatzes sind die Taliban so stark wie noch nie seit ihrer Entmachtung Ende 2001. Offenbar kontrollierten sie im Oktober 2017 bereits 14 Prozent aller afghanischen Distrikte, 30 Prozent gelten US-Angaben zufolge als umkämpft. Seit Monaten nehmen die Anschläge auch in Kabul dramatisch zu, die Regierung steht mit dem Rücken an der Wand. Die Lage ist derart gefährlich, daß zuletzt nur wenige Dutzend Soldaten der Bundeswehr zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Streitkräfte eingesetzt werden konnten, da ihr Schutz nicht gewährleistet ist.

Ein weiterer Grund für die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes dürften Verschiebungen der Einflußnahme in Afghanistan sein, dessen Regierung sich offenbar zunehmend von Washington und der EU absetzt und statt dessen Moskau zuwendet. Rußland leitete 2017 erstmals internationale Verhandlungen über eine Beilegung des Krieges in Afghanistan, an denen auch China, Pakistan und der Iran, nicht jedoch die USA und die EU beteiligt waren. Moskau will nun Gespräche zwischen der Regierung in Kabul und den islamistischen Milizen vermitteln, Präsident Aschraf Ghani hat sich bereiterklärt, solche Gespräche ohne Vorbedingungen mit den Taliban zu führen und diese im Rahmen eines Waffenstillstands sogar als politische Partei anzuerkennen. Hingegen hat die US-Regierung Verhandlungen mit den Taliban kategorisch ausgeschlossen und setzt weiterhin auf Krieg. [2]

Die unklaren Verhältnisse nach der Bundestagswahl, eine geschäftsführende Regierung und das Gezerre um die nächste Große Koalition waren bloßer Wellenschlag auf der Oberfläche der parlamentarischen Demokratie, während der Strom der Staatsräson unbeeinträchtigt seinen Lauf nahm. So hatten Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Sigmar Gabriel bereits vor den Koalitionsgesprächen eine Aufstockung des Mandats befürwortet. Dann stellte der Anfang Februar geschlossene Koalitionsvertrag, in dem sich CDU, CSU und SPD grundsätzlich darauf festlegten, die Zahl der eingesetzten Soldaten zu erhöhen, die gewünschte Planungsgrundlage bereit. Jetzt soll alles ganz schnell über die Bühne gehen: Das neue Mandat für den Afghanistaneinsatz wird am kommenden Mittwoch im Kabinett beschlossen, bis Ende März soll der Bundestag zustimmen. [3]

Daß der regionale Krieg in Afghanistan auch aus Sicht der Bundesregierung im Kontext eines weltweiten Ringens um Vorherrschaft steht, unterstreicht der veränderte Einsatz der Bundeswehr in Syrien und im Irak. Auf dessen Rahmen haben sich Ursula von der Leyen und Sigmar Gabriel nach wochenlangen Verhandlungen geeinigt, und noch im Verlauf dieser Woche soll ein neues Mandat für den Irakeinsatz beschlossen werden. Dort werden nach dem Willen der Bundesregierung deutsche Soldaten künftig nicht nur im Kampf gegen den IS im Norden eingesetzt, sondern auch irakische Streitkräfte innerhalb des Landes ausbilden und beraten. Seit drei Jahren bildet die Bundeswehr in Erbil kurdische Peschmerga für den Kampf gegen den IS aus. Diese Mission endet jedoch zum 30. Juni. Wie von der Leyen bereits angekündigt hatte, müsse ein künftiges Einsatzmandat die Stabilität des ganzen Landes in den Fokus nehmen.

Dazu wird nun nebulös "die Durchführung von spezialisierten Ausbildungslehrgängen" und "Maßnahmen des Fähigkeitsaufbaus für die regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte" genannt. Besonderen Bedarf habe die irakische Regierung für den Bereich der Kampfmittelräumung angemeldet, also für die Beseitigung von Überresten kriegerischer Auseinandersetzungen. Insgesamt ist für den weiteren Einsatz in Syrien und dem Irak eine Obergrenze von 800 Soldaten vorgesehen, während es bislang 1250 waren. Diese Reduzierung ergibt sich jedoch vor allem aus dem Verzicht auf eine Fregatte im Mittelmeer, die nicht mehr benötigt wird.

Da der 15seitige Mandatstext in wesentlichen Punkten äußert vage gehalten ist, bleibt unter anderem offen, in welchem Umfang sich die Bundeswehr auch zukünftig im kurdischen Norden engagieren wird. Bei ihrem Irakbesuch Anfang Februar hatte von der Leyen davon gesprochen, die Bundeswehr könne eine "Brückenfunktion" zwischen Bagdad und Erbil einnehmen. Das Mandat der Bundesregierung definiert die Peschmerga ausdrücklich als Teil der "regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte", was sie formal auch sind. Allerdings bekommen die kurdischen Kämpfer schon seit Jahren keinen Sold mehr von der Zentralregierung, und nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum wurde eine Art Wirtschaftsblockade gegen den Norden verhängt. Im Oktober kam es im Raum Kirkuk sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und zentralirakischen Streitkräften. [4]

Bisher bilden 150 deutsche Soldaten im Nordirak kurdische Peschmerga aus, während in Bagdad nur einzelne Bundeswehrausbilder im Einsatz sind. Andere Mitgliedsstaaten der Anti-IS-Koalition trainieren hingegen bereits an mehreren Stützpunkten im Zentralirak einheimische Sicherheitskräfte. Im Mandatstext ist auf der einen Seite von einer "angemessenen Balance zwischen der irakischen Zentralregierung und - in Absprache mit der irakischen Zentralregierung - der Region Kurdistan-Irak" die Rede. Schon im nächsten Satz heißt es dann aber: "Dabei stehen Maßnahmen zum Fähigkeitsaufbau in Zentralirak eindeutig im Vordergrund." Das läßt darauf schließen, daß es zu einer erheblichen Veränderung gegenüber der bisherigen Präsenz der Bundeswehr in der Region kommen soll. Zwar wird sich Deutschland weiterhin mit Aufklärungs-Tornados und Luftbetankung an der internationalen Koalition im Kampf gegen den IS beteiligen, doch dürfte die Unterstützung der Peschmerga in der kurdischen Autonomieregion erheblich zurückgefahren werden. [5]

Die krasse Fehleinschätzung Masud Barzanis, er genieße internationalen Rückhalt, der sich in Unabhängigkeit bei voller Kontrolle der regionalen Ölförderung ummünzen lasse, hat den Absturz der Peschmerga in der ohnehin befristeten Gunst auch der Bundesregierung beschleunigt. Dieser ging es nie darum, das Streben der kurdischen Fraktionen im Nordirak nach Autonomie als solches zu unterstützen. Vielmehr wurden die Peschmerga aufgerüstet und ausgebildet, um ein Kontergewicht in der übergreifenden kurdischen Bewegung gegen die PKK und YPG/YPJ zu schaffen und als Bodentruppen den IS zu bekämpfen. Sie waren aus westlicher Sicht ein Faustpfand und Statthalter im Irak, dessen Indienstnahme inzwischen an Bedeutung verloren hat.

Geht es nach der Koalition, soll der Bundestag in dieser Woche über das neue Mandat beraten und eine Woche darauf einen Beschluß fassen. Das Mandat könnte dann bereits zum 1. April beginnen. Es soll zunächst bis zum 31. Oktober begrenzt sein, wobei die ungewöhnlich kurze Laufzeit eine rasche Anpassung an neue politische Gegebenheiten erlaube. Gemeint ist damit, daß im Mai Wahlen im Irak anstehen. Sollte der als gemäßigt geltende Premierminister Haidar Al-Abadi von seinem Vorgänger Nuri al-Maliki abgelöst werden, könnte das die Konflikte im Irak so verstärken, daß die beim Bundeswehreinsatz vorgehaltene Stabilisierung des Landes vollends obsolet würde. [6] Daß dies zu einem vollständigen Rückzug deutscher Truppen führen könnte, ist jedoch ebensowenig wie in Afghanistan zu erwarten.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/politik/deutschland/article174176171/Bundeswehr-Von-der-Leyen-will-viel-mehr-Soldaten-nach-Afghanistan-schicken.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/328340.spd-gibt-marschbefehl.html

[3] www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-afghanistan-125.html

[4] www.sueddeutsche.de/politik/veraenderte-auslandsmission-bundeswehr-einsatz-im-zentralirak-geplant-1.3892700

[5] www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/bundeswehr-irak-soldaten-ausbilden

[6] www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-irak-123.html

5. März 2018


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