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KRIEG/1710: Militär - vorbei an Völkerrecht und Grundgesetz ... (SB)



Außer Frage steht, dass ein Einsatz von Chemiewaffen in Syrien um jeden Preis verhindert werden muss.
Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion [1]

Katzenjammer über die mangelnde Einsatzbereitschaft der Bundeswehr war gestern, heute denkt man in Kreisen der Bundesregierung laut über den nächsten Kriegseinsatz nach. Wo sich deutscher Expansionsdrang und säbelrasselnder Bellizismus der Ratio verschreiben, daß nur mitreden und mitplündern darf, wer kräftig mitbombardiert, ist der Ruf nach tatkräftiger Beteiligung an der Endschlacht in Syrien die geradezu zwangsläufige Konsequenz. Es hätte der angeblichen Anfrage aus Washington nicht bedurft, um das Berliner Verteidigungsministerium in rege Betriebsamkeit zu versetzen, winkt doch die günstige Gelegenheit, einen Angriffsvorwand auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Wenngleich die Truppe längst durch Aufklärungsflüge deutscher Tornados mit von der Partie ist, will man endlich handfester zur Sache gehen und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens gilt es "Vergeltung" zu etablieren, wo die Vorwandslage konstruierter denn je und der letzte Rest grundgesetzlich legalisierter Landesverteidigung obsolet ist. Zweitens soll der "Zeitdruck" herhalten, um von einer vorangegangenen Zustimmung des Bundestags abzusehen und diese durch eine nachträgliche Absegnung zu ersetzen. Kriegsführung per exekutiver Selbstermächtigung ohne verfassungskonformen Firlefanz und parlamentarische Bremsen heißt die Losung der Stunde. Und selbst wenn es nicht auf Anhieb klappen sollte, ist doch ein weiteres Tabu diskursiv gebrochen, so daß der nächste oder übernächste Spatenstich absehbar zum Dammbruch führen wird.

Sollte in westlichen Führungskreisen eine gewisse Torschlußpanik den Ton angeben, so nicht zuletzt deshalb, weil der Kampf um die Provinz Idlib das letzte Kapitel des gescheiterten Regimewechsels in Damaskus sein dürfte. Syrische Armee und Dschihadisten werfen einander gegenseitig den Einsatz von Giftgas vor, Täuschungsmanövern ist Tür und Tor geöffnet, die Interpretation etwaiger Untersuchungsergebnisse unterliegt in hohem Maße der Deutungsmacht. Wenngleich die Beweislage also höchst umstritten ist und folglich Zurückhaltung hinsichtlich daraus zu ziehender Konsequenzen geboten wäre, stimmen deutsche Kommandohöhen präventiv in den Chor der Angriffskrieger ein. Sollten syrische Einheiten in Idlib Giftgas einsetzen, wollen die USA, Großbritannien und Frankreich die Infrastruktur der syrischen Streitkräfte bombardieren. Luftschläge dieser drei Mächte im April, die als Reaktion auf Chemiewaffenangriffe ausgewiesen wurden, hatte die Bundeskanzlerin als erforderlich und angemessen bewertet, eine deutsche Beteiligung aber im Vorfeld ausgeschlossen. Nun folgt der nächste Schritt, läßt die Verteidigungsministerin doch Beteiligungsoptionen wie Aufklärungsflüge, Schadensanalysen und eben auch Kampfeinsätze prüfen.

Der Sprecher Ursula von der Leyens spielt das mit den Worten herunter, es sei "eine Selbstverständlichkeit. Alle Streitkräfte der Welt planen in Szenarien und müssen das auch tun. Das sagt per se nichts aus über die Wahrscheinlichkeit, dass diese Szenarien auch eintreten." Ein klares Dementi ist auch von Regierungssprecher Steffen Seibert nicht zu bekommen, wenn er erklärt, daß die Bundesregierung natürlich in Kontakt mit Partnern und Verbündeten stehe. Es habe "keine Situation gegeben, in der jetzt eine Entscheidung zu fällen gewesen wäre". Diese euphemistische Verklausulierung läßt wohlweislich offen, daß der angeblich sehr hypothetische Fall schon morgen eintreten kann, ist doch von großer Sorge die Rede, daß sich "entsetzliche Muster aus anderen syrischen Kampfschauplätzen wiederholen könnten". [2]

Wäre bereits ein Angriff auf syrische Ziele fatal genug, so ist keineswegs sicher, daß er sich darauf beschränken würde. US-amerikanischen Medienberichten zufolge hat Präsident Donald Trump noch nicht entschieden, ob ein "Vergeltungsangriff" nicht umfassender als die Angriffe vom April 2017 und April 2018 angelegt sein und auch russische Ziele wie etwa die Luftabwehr einbeziehen werde. Sollte sich die Bundeswehr tatsächlich an solchen ausgeweiteten Angriffen beteiligen, liefe das auf einen direkten militärischen Konflikt mit Rußland hinaus. [3] Daß dies angesichts der massierten US-amerikanischen und russischen Flottenverbände auf eine Eröffnung des eskalierenden Regionalkriegs wenn nicht gar den Auftakt zum wissentlich vom Zaun gebrochenen Dritten Weltkrieg hinauslaufen könnte, hindert die Bundesregierung nicht, sich in ihren konkreten strategischen Planungen daran zu beteiligen.

Im April hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestags die Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs als völkerrechtswidrig eingestuft. In seiner aktuellen Expertise geht das Expertengremium sogar noch einen Schritt weiter und gelangt zu der Auffassung, daß eine Beteiligung der Bundeswehr an einem militärischen Vergeltungsschlag für einen möglichen Giftgasangriff in Syrien sowohl gegen das Völkerrecht als auch das Grundgesetz verstoßen würde: "Im Ergebnis wäre eine etwaige Beteiligung der Bundeswehr an einer Repressalie der Alliierten in Syrien in Form von 'Vergeltungsschlägen' gegen Giftgas-Fazilitäten völkerrechts- und verfassungswidrig", heißt es in dem zehnseitigen Gutachten, das vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte erstellt wurde. Nach Auffassung der Wissenschaftler des Bundestags dürfte die Bundesregierung dem Parlament demnach einen solchen Einsatz gar nicht zur Abstimmung vorlegen: "Die parlamentarische Mandatierung eines solchen Bundeswehr-Einsatzes würde sich dann erübrigen, da der Bundestag nur Auslandseinsätze mandatieren darf, die auf einer tragfähigen verfassungs- und völkerrechtlichen Grundlage beruhen." [4]

Was die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung betrifft, kann diese den Kriegsplänen der politischen Führung offenbar wenig abgewinnen. Jedenfalls haben sich in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Welt mehr als 73 Prozent der Deutschen gegen einen Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien ausgesprochen. [5] Wenngleich diese Umfrage keinen Aufschluß darüber gibt, aus welchen Gründen ein derart hoher Prozentsatz der Befragten diesbezügliche Pläne der Bundesregierung ablehnt, dürften doch die berechtigten Ängste vor einer Eskalation des Kriegsgeschehens im Falle einer direkten Konfrontation der Großmächte eine wesentliche Rolle dabei spielen. Auch steht zu befürchten, daß derartige "Vergeltungsschläge" die akute Gefahr für die Zivilbevölkerung nicht verringern, sondern im Gegenteil noch verschärfen.

Daß die von den westlichen Mächten in Anspruch genommene Schutzverantwortung ein Instrument zur Rechtfertigung von Angriffskriegen ist und somit die angebliche Sorge um das Wohlergehen der Menschen in den betreffenden Ländern in den Rang einer grausamen Farce erhebt, sollte hinlänglich bekannt sein. So bedienen sich die Befürworter eines erweiterten Bundeswehreinsatzes in Syrien denn auch einer in sich widersprüchlichen und höchst fadenscheinigen Argumentation. Die internationale Gemeinschaft habe die Verantwortung zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung, behauptet der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. Gehe es darum, "einen neuen schrecklichen Giftgasangriff mit massenhafter Wirkung auf die Zivilbevölkerung zu verhindern, sollte sich Deutschland dem nicht verschließen". Manchmal liege "auch in der Vergeltung eines Giftgasangriffs eine Abschreckung für weitere Einsätze von Chemiewaffen". [6]

Daß dies das Schicksal der drei Millionen Zivilisten in der Region Idlib keinesfalls verbessern und die massenhafte Flucht aus dieser Provinz nicht verhindern könnte, sondern den Krieg zusätzlich befeuern würde, liegt auf der Hand. Dennoch ziehen Vertreter von CDU, CSU, FDP und Teilen der Grünen einen forcierten deutschen Militäreinsatz in Erwägung. "Unzählige Menschen in Idlib leiden unter dem Terror von Assads Bombardements auf die eigene Bevölkerung. Es ist daher wichtig, dass wir alle Handlungsmöglichkeiten prüfen - auch ein militärisches Handeln müssen wir natürlich erwägen", erklärt Henning Otte, der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. "Außer Frage steht, dass ein Einsatz von Chemiewaffen in Syrien um jeden Preis verhindert werden muss."

FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner erklärt, daß Deutschland in einem solchen Fall "nicht an der Seite stehen" dürfe, und selbst die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner deutet nebulös an, es müßten alle Optionen überprüft werden, um die Menschen in Idlib zu schützen, was allerdings in ihrer Partei nicht unwidersprochen blieb. Daß Andrea Nahles versichert, die SPD werde weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zustimmen, ist erfreulich. Auch Außenminister Heiko Maas räumt den Bemühungen um diplomatische Lösungen absolute Priorität ein und erklärt gar, es liege überhaupt keine konkrete Anfrage der USA zu einer deutschen Beteiligung an einem Vergeltungsschlag vor. Daß diese sozialdemokratische Position ausnahmsweise in Stein gemeißelt sein könnte, ist jedoch eher nicht zu erwarten.

Eine klare Position gegen deutsche Kriegsführung sieht anders aus. Solange die Scheinkontroverse um legitime und illegitime Waffengänge das Feld beherrscht, wird die imperialistische Aggression nicht enden. Selbst das vielzitierte Grundgesetz läßt den Einsatz der Bundeswehr im Ausland durchaus zu, sofern er in einem System kollektiver Sicherheit erfolgt, also etwa innerhalb der Vereinten Nationen, der Nato oder der Europäischen Union. Das traf für das letzte militärische Eingreifen des Westens in Syrien nicht zu, da es ein Alleingang dreier Länder war. An der Schraube dieser Rechtsauffassung will die parteiübergreifende Fraktion der Kriegstreiber weiter drehen, und wie die Erfahrungen der Vergangenheit lehren, hat Deutungsmacht noch jede moralische, ethische oder juristische Hürde genommen.

Führt man sich Afghanistan, den Irak, Libyen und nun auch Syrien vor Augen, steht zweifelsfrei fest, worauf der westlicherseits angestrebte Regimewechsel hinausläuft. In Syrien wurden mehr als 400.000 Menschen getötet, Millionen im Land vertrieben oder flohen ins Ausland. Weite Gebiete liegen in Folge des bewaffneten Konflikts unter Beteiligung zahlreicher Akteure von Milizen bis hin zu Großmächten in Trümmern. Längst droht dem Iran dasselbe Schicksal. Henning Ottes "um jeden Preis" bringt die beim deutschen Politpersonal dominierende Staatsräson treffend auf den Punkt, vielerorts über Leichen zu gehen, die allenfalls zur Begründung des nächsten Angriffskriegs einiger Krokodilstränen wert befunden werden.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/news/2018-09/10/bericht-von-der-leyen-prueft-militaer-optionen-gegen-assad-180910-99-893418

[2] www.deutschlandfunk.de/lage-in-idlib-moeglicher-einsatz-der-bundeswehr-in-syrien.1783.de.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/339580.syrienkrieg-vereint-gegen-syrien.html

[4] www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_84430698/gutachten-syrien-einsatz-der-bundeswehr-waere-rechtswidrig.html

[5] www.welt.de/politik/ausland/article181491964/WELT-Trend-Fast-drei-Viertel-der-Deutschen-gegen-Bundeswehr-Einsatz-in-Syrien.html

[6] www.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/deutsche-beteiligung-militaereinsatz-politiker

12. September 2018


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