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KRIEG/1741: Europäische Union - Verschleierungszwänge ... (SB)



Wir Europäer tun das, was unsere amerikanischen Freunde viele Jahre von uns gefordert haben. Unsere Aufgabe ist jetzt, um Vertrauen zu werben, dass die Nato von den Anstrengungen zur Verteidigungsunion profitiert.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen [1]

In den eingangs zitierten Worten Ursula von der Leyens klingt das hausgemachte Dilemma der Europäischen Union an, im Zuge ihres ökonomischen und militärischen Expansionsstrebens gleichzeitig als Partner und Konkurrent der Vereinigten Staaten zu agieren. Wäre der globale Raubzug ohne den Schutz der Supermacht nicht möglich, so reklamieren die führenden europäischen Nationalstaaten doch wachsende Teile der Beute für sich. Dieses imperialistische Bündnis zur Schädigung Dritter stößt zwangsläufig an seine Grenzen, da die Ressourcen weltweit dramatisch schwinden wie auch mit Rußland und China zwei mächtige Rivalen dem Übergriff Grenzen setzen. Was sich die EU einverleibt, geht in zunehmendem Maße auch den USA verloren, die diesen Schwund nicht hinnehmen und auf Konfrontationskurs gehen, um ihre Juniorpartner an die Kandare zu nehmen.

Die Doppelgleisigkeit der EU, einerseits der NATO Treue zu schwören, während andererseits militärische Eigenständigkeit gefordert und aufgebaut wird, führt vor dem Hintergrund begrenzter Kapazitäten keineswegs zu einer zwangsläufigen Synergie, wie sie die deutsche Verteidigungsministerin geltend macht. Alles zugleich bleibt ein militaristischer Traum, den sich selbst die stärkste Volkswirtschaft des Kontinents nicht erfüllen kann, da dies verheerende Kürzungen in anderen Sparten des Haushalts mit sich brächte. Der über Jahrzehnte gezimmerte soziale Frieden als zentrale Voraussetzung des deutschen Arbeitsregimes stünde zur Disposition. Wenn Ursula von der Leyen daher gemeinsam mit der französischen Regierung allenthalben für die verstärkte Kooperation innerhalb der EU wirbt und dabei immer wieder betont, wie wichtig die Unabhängigkeit der Europäer sei, bedarf es in wachsendem Maße eines Spagats, um zugleich die unverbrüchliche transatlantische Partnerschaft hochzuhalten.

Wenn die US-Administration nun sogar Drohbriefe an die EU schreibt, geschieht dies unter Trump zwar im Tenor brachialen Machtanspruchs. Dessen ungeachtet handelt es sich um einen Konflikt zweier militaristischer Projekte, die im Zuge ihrer Kriegsführung mit wechselnden Mitteln und an diversen Fronten zu klären haben, ob sie noch im Gleichschritt marschieren oder längst auseinanderdriften. Wie rauh der Ton geworden ist, belegt ein Schreiben aus Washington an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, das nach Aussage europäischer Diplomaten in Tonlage und Inhalt "sehr schlecht angekommen" sei. Für besondere Verärgerung sorgte ein Anschreiben des EU-Botschafters der USA in Brüssel, Gordon Sondland, mit dem der Brief an Mogherini übermittelt wurde. In ihm ist die formale Anrede durchgestrichen und durch "Federica!" ersetzt. Zudem fordert Sondland ausdrücklich eine Antwort bis zum 10. Juni. Mit dieser dreisten Form korrespondiert der übergriffige Inhalt des Briefes, der im Befehlston gehalten ist und vor Drohungen nicht zurückschreckt. [2]

Von den Staatssekretärinnen Ellen Lord und Andrea Thompson verfaßt, die für Beschaffung und internationale Sicherheit zuständig sind, bringt das Schreiben die tiefe Besorgnis der US-Regierung angesichts der Planungen für den Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) und die neue EU-Verteidigungszusammenarbeit (PESCO) zum Ausdruck. Im Fokus der Kritik stehen geplante Regelungen des Verteidigungsfonds, der in der Zeit von 2021 bis 2027 mit 13 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Zudem mißtraut Washington der Ende 2017 gestarteten verstärkten EU-Verteidigungszusammenarbeit, die über Rüstungsprojekte Kapazitätslücken in der europäischen Verteidigung schließen soll.

Wie die Staatssekretärinnen aus dem Verteidigungs- und Außenministerium monieren, stellten vorgesehene Bestimmungen zu beiden Vorhaben "eine dramatische Kehrtwende" mit Blick auf die "letzten drei Jahrzehnte verstärkter Integration im transatlantischen Verteidigungssektor dar". Demnach würden sie "nicht nur die konstruktive NATO-EU-Beziehung beschädigen". Es bestehe auch die Gefahr, in "zuweilen spaltende Diskussionen" zu EU-Verteidigungsinitiativen aus der Zeit vor 15 Jahren zurückzufallen.

Lord und Thompson sprechen von "Giftpillen" in den Bestimmungen des Verteidigungsfonds, die "eine Beteiligung von Firmen aus Drittstaaten ohne EU-Hauptquartier ausschließen" würden, "einschließlich solcher aus den Vereinigten Staaten". Die US-Vertreterinnen fordern deshalb Änderungen der Bestimmungen und drohen ansonsten mit Gegenmaßnahmen: Es sei klar, daß "ähnliche Beschränkungen" von der EU "nicht begrüßt würden", warnen die Staatssekretärinnen und verweisen darauf, daß das US-Verteidigungsministerium im Jahr 2017 Güter im Wert von 2,6 Milliarden Dollar (2,3 Milliarden Euro) von insgesamt zwölf europäischen Firmen beschafft habe.

Man sei besorgt über die restriktiven Formulierungen und Regelungen, warnt der Brief, in dem Washington konkrete Änderungen verlangt. "Bevor diese Verträge sich weiterentwickeln, raten wir Ihnen, sie noch einmal mit einem Augenmerk auf unsere langfristigen Ziele für die transatlantische Sicherheitspartnerschaft zu überprüfen", schreiben die beiden Staatssekretärinnen. "Die USA sind überzeugt, dass mit kleinen Veränderungen an dem Entwurf zur Regelung des europäischen Verteidigungsfonds die Bedenken ausgeräumt werden können", heißt es in dem Schreiben, das gar nicht erst vorgibt, mit einer Bitte an Brüssel heranzutreten, sondern die Änderungen de facto diktiert.

Mogherini widerspricht der Darstellung und dementiert eine Bevorzugung europäischer Unternehmen. Die EU sei beim Kauf von Waffensystemen oder Ausrüstung sogar sehr viel offener für die USA als umgekehrt, denn gut 80 Prozent der international ausgeschriebenen Verträge gingen momentan an US-Firmen. Im übrigen seien die PESCO-Rüstungsprojekte nur ein zusätzliches Instrument, das bereits laufende Vorhaben nicht betreffe. Insofern sehe sie "keinen Grund für wirkliche Besorgnis". [3]

Ursula von der Leyen spielt mit ihrer Äußerung darauf an, daß die USA von den Europäern seit Jahren ein stärkeres Engagement im Verteidigungsbereich verlangen, nun aber offensichtlich fürchten, daß zu viel europäische Unabhängigkeit den Interessen der amerikanischen Rüstungsindustrie schaden könnte. Dabei unterschlägt die Ministerin geflissentlich, daß sich die Forderungen der US-Regierung und die Handlungsweise der EU nur bedingt zur Deckung bringen lassen. Bislang verdienen US-Unternehmen wie etwa der Kampfflugzeughersteller Lockheed Martin prächtig durch Aufträge aus EU-Staaten. Nach dem Willen Washingtons soll das auch künftig so bleiben: Die Möglichkeit, daß eine Beteiligung von US-Unternehmen an Rüstungsprojekten erheblich erschwert oder sogar ausgeschlossen werden könnte, verstoße gegen die Selbstverpflichtung der EU, bei Verteidigungsinitiativen in größtmöglichen Maße eine Beteiligung von NATO-Verbündeten sicherzustellen.

Wirklich neu sind die US-Forderungen für die Europäer indessen nicht. Washington hatte bereits Anfang 2018 von der EU eine schriftliche Garantie verlangt, daß sie keine Doppelstrukturen im Bereich der Verteidigung aufbaut. Es müsse in EU-Dokumenten festgelegt werden, daß die gemeinsame Verteidigung "ausschließlich eine NATO-Aufgabe" sei, sagte der damalige US-Verteidigungsminister James Mattis bei einem Bündnistreffen. Inzwischen sind die Vorschriften, die die Teilnahme von Drittstaaten an Projekten des geplanten Verteidigungsfonds und der Militärkooperation regeln sollen, zwischen den beteiligten EU-Staaten für den EDF bereits abgestimmt, während sie für PESCO derzeit verhandelt werden. [4]

Das offizielle Antwortschreiben der EU enthält denn auch keinerlei Zugeständnisse. EDF und PESCO stellten keinesfalls eine Konkurrenz zur NATO dar, vielmehr stärkten sie die Investitionen der EU-Staaten in die gemeinsame Verteidigung, auch damit diese "ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO erfüllen können". An den Bestimmungen für die Teilnahme an PESCO-Projekten werde die EU nichts ändern, da die Bedingungen dafür "objektiv" und "transparent" angewendet würden. Die geplanten Rüstungsprojekte seien offen für amerikanische Unternehmen, wobei die Regeln berechtigte Sicherheitsinteressen schützen sollten. Zudem verlangten die USA von EU-Firmen bei der Teilnahme an Rüstungsprojekten die Erfüllung ähnlicher Bedingungen, was dazu führe, daß europäische Unternehmen nur in "extrem begrenztem" Umfang an US-Rüstungsprojekten teilnehmen könnten. Nur 0,17 Prozent der amerikanischen Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Verteidigungssektor entfielen auf EU-Unternehmen. Es gebe in Europa auch keinen "Buy European Act", heißt es im Brüsseler Antwortbrief in Anspielung auf den "Buy American Act", der die US-Regierung seit 1933 verpflichtet, amerikanische Anbieter zu bevorzugen.

In Brüssel fürchtet man, daß der Sinn der neuen Militärprojekte in Frage gestellt wäre, würde man den Forderungen der USA nachgeben. So soll der EDF erklärtermaßen die "strategische Autonomie" der EU stärken, ihr mehr Gewicht auf der internationalen Bühne verleihen sowie militärisches Know-how in der EU halten. Eine vollständige Öffnung für Drittstaaten würde dies nach Ansicht diplomatischer Kreise ad absurdum führen. [5]

Mitte April hatte das Europaparlament die Pläne für einen EU-Verteidigungsfonds gebilligt, der zunächst mit 13 Milliarden Euro ausgestattet werden und ab 2021 zur Verfügung stehen soll. Nach Angaben der EU-Kommission existieren in Europa parallel 178 verschiedene Waffensysteme, in den USA hingegen nur 30. Um größere Effizienz zu erzielen und international mitzuhalten, sollen daher Rüstung, Forschung und Truppenausstattung einem Kommando unterstellt werden. Aus dem Fonds soll die Entwicklung neuer Waffensysteme gefördert werden, einschließlich des Baus von Prototypen. Dabei will man grenzüberschreitende Kooperationen kleiner und mittlerer Unternehmen dank höherer Förderquoten besonders ermutigen. Um Fördermittel zu erhalten, müssen sich mindestens drei Unternehmen aus mindestens drei EU-Staaten zusammenschließen.

Wenige Wochen vor der Europawahl hat die EU damit eine Art Dammbruch herbeigeführt. Künftig sollen Gelder, die bislang ausschließlich für zivile Projekte vorgesehen waren, in die Rüstungsforschung fließen. Dies läuft auf ein milliardenschweres Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie hinaus, wird die Ausgaben in diesem Sektor weiter erhöhen und die Entwicklung innovativen Kriegsgeräts vorantreiben. Für die Europäische Union ist dies allen Krisenszenarien zum Trotz nach Binnenmarkt und Einheitswährung der nächste Schritt expansionistischer Machtentfaltung hin zu einer europäischen Militärunion.


Fußnoten:

[1] www.spiegel.de/politik/ausland/usa-attackieren-eu-plaene-fuer-verteidigungsfonds-a-1267291.html

[2] www.zeit.de/politik/ausland/2019-05/eu-usa-federica-mogherini-verteidigungsfonds-pesco

[3] www.dtoday.de/startseite/politik_artikel,-Washington-warnt-EU-vor-Ausschluss-von-US-Firmen-bei-Verteidigungsprojekten-_arid,665672.html

[4] www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_85753206/plaene-fuer-verteidigungsunion-usa-senden-drohbrief-an-die-eu-.html

[5] www.spiegel.de/politik/ausland/edf-und-pesco-eu-lehnt-forderungen-der-usa-zu-ruestung-ab-a-1267754.html

17. Mai 2019


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