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KRIEG/1749: Manöver - Reparaturnotstand ... (SB)



Das militärische Großgerät, mit dem wir heute Panzer und andere Fahrzeuge transportieren, ist schwerer geworden. Ich habe die Sorge, dass viele unserer Straßen und Brücken diesen Belastungen nicht gerecht werden.
Manfred Nielson (Ehemals ranghöchster deutscher NATO-Admiral) [1]

80 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg entfesselt hat, treiben NATO und Europäische Union unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesrepublik den Aufmarsch gen Osten abermals voran. Wenngleich in offiziellen Verlautbarungen zumeist nebulös von einem möglichen Krisenfall oder einer Bedrohung die Rede ist, weiß doch jedes Kind, daß der Gegner an dieser Front Rußland heißt. Daß die Regierung in Moskau nach der jahrzehntelang vorangetriebenen Einkreisung durch die Osterweiterung des atlantischen Bündnisses und die ökonomische Expansion der EU schließlich auf der Krim und in Syrien die Notbremse gezogen hat und militärische Stärke zur Schau stellt, wird auf seiten der weit überlegenen westlichen Wirtschaftskraft und Waffengewalt als Aggression klassifiziert, gegen die man sich rüsten und verteidigen müsse.

Obgleich aus deutscher Sicht klar sein müßte, daß der nächste große Krieg gegen Rußland zuallererst in Mitteleuropa ausgetragen würde und dieser Weltregion dabei atomare Verwüstung droht, sehen Berliner Regierungspolitik, hiesige Konzernmedien und weite Teile der Bevölkerung darin keinen Anlaß, den Vormarsch zu bremsen oder gar einer einvernehmlichen Zusammenarbeit mit Rußland bei der Bewältigung allseitig wachsender Probleme den Zuschlag zu geben. Die Ratio kapitalistischer Verwertung und imperialistischen Übergriffs drängt unablässig auf Ausplünderung und Ausbeutung zu Lasten anderer Staaten und deren Bevölkerungen. Und je rasanter die weltweiten Ressourcen schwinden und die Klimakrise hereinbricht, um so verbissener diktiert die Vernichtung jeglicher Konkurrenten die Agenda der eigenen Überlebenssicherung.

So soll Deutschland die logistische Drehscheibe eines großangelegten Manövers sein, in dessen Rahmen die US-Armee im kommenden Jahr die Verlegung weiterer Truppenteile an die NATO-Ostgrenze trainieren will. Das geht aus einem Papier des Verteidigungsministeriums hervor, das die Obleute der Fraktionen im Verteidigungsausschuß über die Pläne informiert. An dem Manöver mit dem Namen "Defender 2020" beteiligen sich demnach insgesamt 17 NATO-Staaten. Bei der US-amerikanischen Medienberichten zufolge größten Übung dieser Art in Europa seit 25 Jahren sollen die US-Truppen zwischen April und Mai mit Unterstützung der Bundeswehr durch Deutschland nach Polen und weiter ins Baltikum geführt werden. [2]

Die unter immensen Aufwänden und Kosten durchgeführte Übung reiht sich in eine Kette größerer und kleinerer Manöver ein, mit denen die Ausgangsposition für einen Waffengang zu eigenen Gunsten verschoben werden soll. Wenngleich es sich natürlich auch um Drohungen handelt, gehen die angestrebten Zwecke weit darüber hinaus, Stärke zu zeigen. Es wird nicht nur die zügige und umfangreiche Truppenverlegung an die Front trainiert, wofür Logistik und Infrastruktur bereitgestellt und ausgebaut werden. Vielmehr soll das auf zivilen Verkehr ausgelegte Land massiv in ein Aufmarschgebiet für die Streitkräfte umstrukturiert werden, wofür weitreichende Eingriffe erforderlich sind. Und nicht zuletzt handelt es sich keineswegs um Probeläufe, nach denen alle beteiligten Truppenverbände samt ihrem Gerät wieder in ihre heimischen Stützpunkte zurückkehren. Denn im Kontext solcher Manöver wird die militärische Präsenz in Osteuropa und im Baltikum weiter aufgestockt. Und wie ein Damoklesschwert hängt darüber die Unwägbarkeit, daß jede solche Großübung einen Zwischenfall provozieren kann, der einen Krieg auslöst, oder sogar eine als Manöver getarnte Angriffsplanung ins Feld führt.

Wie schon im Juni bekannt wurde, werden die ohnehin bereits 4.500 in Polen stationierten US-Soldaten um weitere 1.000 aufgestockt. Sie sollen die Logistik für eine schnelle Stationierung von bis zu 20.000 Soldaten bereitstellen, wobei diese Infrastruktur erstmals beim Großmanöver "Defender 2020" genutzt werden soll. Wie es auf einer offiziellen Webseite der US Army dazu heißt, erfolge dieser Ausbau im Rahmen des neuen Verteidigungspakts mit Polen, dem Verbündeten an der NATO-Front, um die Voraussetzungen für die rasche Verlegung einer schweren Panzerdivision zu schaffen. Wenngleich im nächsten Jahr noch nicht die gesamte Infrastruktur bereitstehen werde, handle es sich doch um einen Anfang, der im Krisenfall oder bei Großmanövern hilfreich sei. "Defender 2020" solle die Fähigkeit der USA demonstrieren, eine Division unverzüglich auf den europäischen Schauplatz zu verlegen. Auf die Frage, ob diese große Übung eine Reinkarnation der "Reforger"-Manöver sei, auf deren Höhepunkt im Kalten Krieg mehrere Divisionen gleichzeitig über den Atlantik transportiert wurden, erwiderte ein Repräsentant der US Army, "Reforger" sei umfangreicher gewesen, doch folge "Defender 2020" einem ähnlichen Konzept. [3]

Was nun die deutschen Transportwege auf Straße und Schiene betrifft, sind diese aus vielerlei Gründen in einem nicht selten erbärmlichen Zustand. Es entbehrt nicht einer unfreiwilligen Ironie, wenn ausgerechnet die Streitkräfte diese Erschwernisse beklagen, deren Etat von Jahr zu Jahr in bislang ungekannte Höhen steigt, während die Mittel an anderer Stelle und eben auch bei der Infrastruktur fehlen. So sah Deutschlands bislang ranghöchster NATO-Admiral, Manfred Nielson, der vor wenigen Tagen in den Ruhestand verabschiedet wurde, erhebliche Defizite in diesem Bereich und befürchtete, daß das Land den Erwartungen für künftige Großübungen nicht gerecht wird. Er kritisierte jahrelange Versäumnisse und beklagte, daß die Infrastruktur auch abseits der Bedürfnisse des Militärs "miserabel" sei. "Ich habe die Sorge, dass viele unserer Straßen und Brücken diesen Belastungen nicht gerecht werden", so der Admiral. Nun räche sich, daß man sich mehr als 20 Jahre um solche Aufgaben nicht ausreichend gekümmert habe, sagte Nielson, der auch Vizekommandeur des NATO-Hauptquartiers Allied Command Transformation in den USA war. Auch bei der Deutschen Bahn sah er Probleme. Mit einer Vorlaufzeit von fünf Tagen Panzer innerhalb Deutschlands zu transportieren, sei derzeit mit der Bahn nicht möglich. Stattdessen betrage die Vorbereitungszeit seitens der DB in der Regel 36 Tage. [4]

Die Pläne von NATO und EU, ihre Truppen im militärischen Ernstfall schneller in den Einsatz schicken und dabei auf eine darauf ausgelegte Infrastruktur zurückgreifen zu können, werden nicht erst seit gestern gewälzt. So kündigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Jahresfrist an, bis 2020 sollten 30 Heeres-Bataillone, 30 Flugzeugstaffeln sowie 30 größere Schiffe und U-Boote innerhalb von "30 Tagen oder weniger" ausrücken können. Es gehe nicht darum, eine weitere Einheit ins Leben zu rufen, vielmehr sollten die künftig einsatzschnelleren Verbände die bereits bestehende schnelle NATO-Einsatztruppe, die NATO Response Force (NRF), ergänzen.

Auch die EU will weiter aufrüsten und dafür viel Geld in die Hand nehmen. Im Haushalt über die Jahre 2021 bis 2027 plant die EU-Kommission 6,5 Milliarden Euro ein, um die europäischen Verkehrswege für Militärtransporte nutzbar zu machen. Schienennetze, Straßen und Brücken sollen saniert und ausgebaut werden. Zunächst soll ermittelt werden, welche Strecken dabei am dringendsten erneuert werden müssen. Viele Verkehrswege seien zu marode oder schlicht nicht dafür gebaut, um schwere Panzer oder andere Militärfahrzeuge auszuhalten. Während die NATO zwei neue Hauptquartiere eingerichtet hat, auch um schneller beim Bewegen von Truppen und Material zu werden, macht die EU in diesem wie auch im eigenständigen Interesse Straße und Schiene für den Aufmarsch gängig. [5]

"In Europa gibt es viele Verkehrswege, die für zivile Zwecke genutzt werden, aber für Truppen und Ausrüstung nicht nutzbar sind. Die Infrastruktur ist schlicht nicht so ausgelegt, dass sie die Breite- oder Höhe-Anforderungen der Militärs erfüllen könnte", erklärte die damalige EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Einige Straßen sind offenbar zu schmal, Brücken zu schwach und Tunneldecken zu tief, als daß man schweres Material mühelos durch Europa bewegen könnte. Zudem ist der bürokratische Aufwand nicht unerheblich, wenn man gefährliche Güter innerhalb der EU von einem Ort zum anderen verfrachten will. Die Verkehrskommissarin faßte den Brüsseler Aktionsplan folgendermaßen zusammen: "Er zeigt die Schritte auf, die unternommen werden müssen, um die physischen, rechtlichen und regulatorischen Barrieren zu überwinden, die den Transport von militärischen Gütern und Personal durch die EU behindern." [6]

Obwohl es darum geht, Grenzen in Europa für militärische Zwecke durchlässiger zu machen, nahm Bulc damals den Begriff "Militärische Schengenzone" tunlichst nicht in den Mund. Wohin das alles führe, sei derzeit pure Spekulation, behauptete sie statt dessen. Als planten einflußreiche Kräfte in der EU nicht eine Vertiefung der Verteidigungsunion, die zwangsläufig das Schleifen von Barrieren für Militärtransporte aller Art erforderlich macht, täuschte die Kommissarin Unwissenheit vor. Früher oder später wird man den Bürgerinnen und Bürgern der EU sicher die Botschaft zumuten, daß der freie Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen ab sofort auch den Krieg einschließt, der schon zu Führers Zeiten blitzartig vorgetragen werden mußte, wollte er denn fürs erste erfolgreich sein. Wie das für Deutschland schon zweimal geendet hat, scheint die Militaristen und ihre Mitläufer von heute nicht daran zu hindern, einen dritten Ansturm auf den Lebensraum im Osten ins Auge zu fassen, selbst wenn er im atomaren Feuer enden sollte.


Fußnoten:

[1] www.merkur.de/politik/mega-militaeruebung-nato-general-laestert-ueber-miserables-deutschland-zr-12286155.html

[2] www.deutschlandfunk.de/nato-manoever-deutschland-wird-drehscheibe-bei.1939.de.html

[3] www.imi-online.de/2019/06/14/polen-brueckenkopf-fuer-20-000-soldaten/

[4] www.spiegel.de/politik/deutschland/nato-general-nennt-deutsche-infrastruktur-miserabel-a-1267507.html

[5] www.tagesschau.de/ausland/nato-russland-militaer-101.html

[6] www.tagesschau.de/ausland/militaer-nato-eu-101~_origin-45b93664-a282-4c67-9e1d-b929e88480fe.html

2. Oktober 2019


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