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KRIEG/1754: Angriff der Türkei - vergebliche Warnung ... (SB)



"Da kommt der deutsche Außenminister - ein Mann, der seine Grenzen nicht kennt - und sagt: Wir werden der Türkei keine Waffen verkaufen. Wir sind am Ende. Wenn Du etwas von Politik verstehen würdest, würdest du nicht so sprechen."
Recep Tayyip Erdogan an die Adresse von Heiko Maas [1]

Was hat der deutsche Außenminister Heiko Maas getan, daß ihn der türkische Machthaber so übel beschimpft und verhöhnt? Nichts hat er getan, was dem Despoten schlaflose Nächte bereiten könnte, und eben dies erlaubt es Recep Tayyip Erdogan, triumphierend vom Leder zu ziehen. In der abermals bestätigten Gewißheit, von seiten der Bundesregierung und der EU lediglich folgenlose Drohgebärden und viel heiße Luft zu ernten, weist er jede Einmischung in den Angriffskrieg gegen die kurdischen Kantone in Nordsyrien aufbrausend zurück. Mit Worten war die Europäische Union schnell zur Hand, wurde doch der Einmarsch der Türkei ins Nachbarland und die Destabilisierung von den Außenministern einhellig und scharf verurteilt. Mit den Taten war es dann aber nicht so weit her. Zu einem gemeinsamen Waffenembargo gegen Ankara reichte es nicht und so blieb es bei einer zahnlosen Aufforderung an die Mitgliedsstaaten, in Zukunft keine Waffen mehr an den Aggressor zu verkaufen. Eine Einschränkung künftiger Rüstungsexporte in die Türkei ist denn auch die einzige Strafmaßnahme, zu der sich die Bundesregierung durchringen konnte. Der Export von Waffen, die in dem Konflikt genutzt werden können, wird nicht mehr genehmigt. Andere Rüstungsgeschäfte werden aber weiter erlaubt und bereits erteilte Liefergenehmigungen nicht zurückgenommen. [2]

Daß Erdogan das nicht schrecken kann, liegt auf der Hand, was zur Folgerung Anlaß gibt, genau dieses Signal habe bei der nicht einmal halbherzigen Maßnahme Pate gestanden. Wie es in solchen Fällen klammheimlicher bis offener Kollaboration mit dem Erdogan-Regime vornehm heißt, dürfe man das Gespräch mit der türkischen Regierung nicht abreißen lassen, da man sonst keinen Einfluß mehr nehmen könne. Übertragen auf den Vernichtungs- und Vertreibungskrieg gegen die Kurdinnen und Kurden wie auch alle anderen Menschen, die sich ihnen angeschlossen haben, bedeutet das, auch diesen mörderischen Überfall mit rüstungstechnischer, finanzieller und politischer Rückendeckung von deutscher Seite mitzutragen.

"Wir hätten die Militäroffensive gar nicht erst begonnen, wenn wir Angst vor Sanktionen hätten", unterstrich der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu. Das war nicht nur ein Trompetenstoß rhetorischer Großmannssucht, mit dem der Hofstaat dem Alleinherrscher nacheifert, sondern zugleich rationales Kalkül. Die westlichen Mächte werden sich hüten, erstmals konsequente Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen, die im Geflecht ihrer Interessen eine viel zu wichtige Rolle spielt, als daß sie einen Bruch riskieren würden. Das gilt auch für den Schritt des Autobauers VW, die Entscheidung über sein geplantes Werk in der Türkei zu vertagen. Der Beschluß des VW-Konzerns, sein neues Werk im Wert von 1,5 Milliarden Euro in der Türkei zu errichten, fiel Ende August zu einem Zeitpunkt, an dem Erdogan schon seit Monaten angekündigt hatte, er werde in Syrien auch östlich des Euphrats einmarschieren. Sollte es im Türkischen ein sinngleiches Sprichwort geben, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht ist, kann es sich Erdogan gelassen im Umgang mit Drohkulissen und Theaterdonner in Berlin und Brüssel oder eben auch Wolfsburg zu eigen machen.

Hätte VW Probleme mit der Ethik, gäbe es diesen Konzern überhaupt nicht. Von solchen Grundsatzerwägungen einmal ganz abgesehen, würde er zumindest in keinem Niedriglohnland und schon gar nicht in der Türkei investieren. Das Unternehmen begründete seine symbolpolitische Entscheidung denn auch nicht mit ethischen Überlegungen, sondern reiner Wirtschaftslogik: Die derzeitige Situation in der Türkei sei für die Investition unberechenbar. Warum das Ende August noch ganz anders gewesen sein soll, blieb zwar offen, doch ist ja ohnehin nur von einer Vertagung und nicht von einer Absage die Rede. Zudem lehrt ein Blick in die Vergangenheit, daß politische Gesten und wirtschaftliche Entscheidungen eher nicht auf ein und demselben Blatt stehen. Als die sogenannte deutsch-türkische Krise in den Jahren 2016 und 2017 ihren Höhepunkt erreichte, wurden auch prominente deutsche Staatsangehörige willkürlich in der Türkei verhaftet, Auftrittsverbote für türkische Politiker in Deutschland ausgesprochen und die Bundeswehrsoldaten aus Incirlik abgezogen. Der damalige EU-Präsident Martin Schulz forderte im November 2016 Sanktionen, die Bundesregierung begrenzte die Hermesbürgschaften und Investitionsgarantien für deutsche Unternehmen in der Türkei und sprach eine Reisewarnung aus. Doch inmitten der bilateralen Krise bekam Siemens im August 2017 den Milliardenzuschlag für einen Windpark in der Türkei. Das gibt Erdogan Sicherheit, zu tun, was er will, solange nur die Bedingungen für einen ungehinderten Kapitalfluß garantiert sind. [3]

An Vorschlägen, was Bundesregierung und EU tun könnten, um dem türkischen Angriffskrieg in die Parade zu fahren, fehlt es nicht, wohl aber am politischen Willen, solche Maßnahmen zu ergreifen. So gab Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn zu bedenken: "Wir haben keine Armee. Die EU kann die Türkei nicht zwingen, den Konflikt in Syrien zu beenden." Die Vortäuschung eigener Ohnmacht bleibt ein opportuner Winkelzug, wann immer es gilt, beste Absichten zu simulieren, doch gebundene Hände zu beklagen. Die EU könnte der Türkei wirtschaftlich schweren Schaden zufügen, da die türkische Wirtschaft auf die europäischen Kunden angewiesen und Deutschland der wichtigste Handelspartner ist. In der Bundesrepublik könnten die Hermesbürgschaften komplett eingefroren und sämtliche Rüstungsexporte auch bei laufenden Lieferungen eingestellt werden. Darüber hinaus wären Sanktionen gegen Mitglieder der türkischen Regierung denkbar.

Die ganze Palette möglicher Strafmaßnahmen ist bekannt und wird von den westlichen Mächten in Stellung gebracht, wenn es gilt, Druck auf Staaten auszuüben, um einen sogenannten Regimewechsel zu erzwingen. Da sich solche Maßnahmen oftmals zuallererst gegen die Bevölkerung richten, wären sie auch im Falle der Türkei daraufhin zu überprüfen, ob sie aufgrund ihrer Stoßrichtung tatsächlich geeignet sein könnten, die angestrebte Wirkung zu erzielen. Daß wirksame Sanktionen jedoch nicht einmal in Erwägung gezogen werden, munitioniert Erdogan, Forderungen nach einer sofortigen Waffenruhe und keinem weiteren Vormarsch seiner Truppen im Nachbarland kategorisch abzulehnen: "Wir werden niemals eine Waffenruhe erklären", sagte er nach einem Bericht von CNN-Türk im Gespräch mit Journalisten. Die türkischen Truppen müßten erst ihr Ziel erreichen, und das sei die Einrichtung einer "Schutzzone" entlang der Grenze. "Über Sanktionen müssen wir uns keine Sorgen machen." [4]

Er hält sich an NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der nach Beginn der türkischen Invasion in die Türkei gereist ist, um der Regierung in Ankara volles Verständnis für die angebliche Bedrohung durch die syrischen Kurdinnen und Kurden zu versichern und nur vorsichtig Bedenken hinsichtlich einer möglichen Destabilisierung der Region anzumelden. Wenige Tage später brachte Stoltenberg auf der Parlamentarischen Vollversammlung in London die Erwartung zum Ausdruck, daß die Türkei ihren Krieg "zurückhaltend" führen solle. [5] Das muß Musik in den Ohren Erdogans sein und ihn in der Entschlossenheit bestärken, seinen langgehegten Plan einer Zerstörung des kurdischen Gesellschaftsentwurfs und einer ethnischen Säuberung in Nordsyrien in die Tat umzusetzen, wo er ein dauerhaftes türkisches Protektorat errichten will.


Fußnoten:

[1] web.de/magazine/politik/syrien-konflikt/recep-tayyip-erdogan-kritisiert-heiko-maas-grenzen-kennt-34102260

[2] www.dw.com/de/kommentar-eu-sollte-mit-druck-auf-türkei-vorsichtig-bleiben/a-50837079

[3] taz.de/Kein-tuerkisches-VW-Werk/!5630242/

[4] www.n-tv.de/politik/Erdogan-Werden-nie-Waffenruhe-erklaeren-article21332498.html

[5] www.heise.de/tp/features/US-Verteidigungsminister-will-Nato-Mitglieder-zu-Massnahmen-gegen-die-Tuerkei-bringen-4557328.html

16. Oktober 2019


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