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KRIEG/1762: Landminen - USA baut militärische Konsequenzen aus ... (SB)



Landminen sind neben vielen anderen ein wichtiges Werkzeug, das unseren Kommandeuren auf dem Schlachtfeld zur Verfügung stehen muss.
US-Verteidigungsminister Mark Esper [1]

Das Leitmotiv Donald Trumps, die Vereinigten Staaten allem und jedem voranzustellen, um sie wieder in den Rang einzigartiger Größe zu erheben, trägt auf krude und brachiale Weise dem drohenden Abstieg der Supermacht Rechnung. Diese Maxime schließt die sofortige Konfrontation mit Rußland und China ebenso wie einen rabiaten Umgang mit Verbündeten ein, da der US-Präsident keinem anderen Staat oder gar Staatenbund Raum und Zeit lassen will, die USA auf die eine oder andere Weise zu überholen und somit in den Schatten zu stellen. Das mit weitem Abstand höchstverschuldete Land der Welt, dessen Wirtschaft in wachsenden Sektoren verfällt, gebietet über das mächtigste Waffenarsenal. Kraft dieser militärischen Übermacht setzt Trump Freund und Feind massiv unter Druck, wobei das aus seiner Perspektive allenfalls ein gradueller Unterschied ist.

Dieser spätimperialen Logik folgend steigt die Trump-Administration aus maßgeblichen internationalen Verträgen und Abkommen aus, die ihre Handlungsoptionen einschränken könnten. Sie verzichtet damit explizit auf den Schutz durch Einbindung aller anderen Beteiligten, die sie vor sich her treiben will. Den Untergang der US-Suprematie vor Augen, geht Donald Trump davon aus, daß er wie so oft im Laufe seiner Karriere mit höchstem Einsatz pokern muß, um alle aufstrebenden Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und den Konkurs abzuwenden. Der US-Präsident, hier verstanden als Tateinheit von politischer Führungsfigur und der sich ihrer bedienenden Gemengelage einflußreicher Fraktionen der Eliten des Landes, hat das INF-Abrüstungsabkommen über nukleare Mittelstreckensysteme mit Rußland ebenso verlassen wie das Atomabkommen mit dem Iran und das Pariser Klimaschutzabkommen. Gemessen daran ist die Mißachtung der Ottawa-Konvention zum Verbot der Landminen, welche die USA ohnehin nie unterzeichnet haben, nur ein weiterer Schritt auf derselben Bahn, die Fahrt in Richtung Abgrund im Kalkül zu forcieren, die Konkurrenz zum vorzeitigen Bremsen zu zwingen.

Ungeachtet der internationalen Ächtung von Antipersonenminen kann das US-Militär diese Waffen künftig wieder weltweit einsetzen. Unter Präsident Barack Obama hatte die US-Regierung 2014 den Einsatz der Minen auf die koreanische Halbinsel beschränkt, wo sie unter anderem entlang der demilitarisierten Zone zwischen Süd- und Nordkorea eingesetzt werden. Die "einzigartigen Umstände" auf der koreanischen Halbinsel und der Wille der US-Regierung, Südkorea militärisch beizustehen, machten ein weitergehendes Verbot derzeit unmöglich, hieß es damals. [2] Nun hat Präsident Donald Trump diese Einschränkung aufgehoben und gibt den Streitkräften weitgehend freie Hand, davon Gebrauch zu machen. Die Kommandeure dürften in "außergewöhnlichen Umständen fortschrittliche, nicht permanente Landminen" einsetzen, hieß es. Diese Maßnahme solle dem "Militär die Flexibilität und die Fähigkeit geben, die es zum Siegen braucht".

Wie das Verteidigungsministerium erklärte, würden nur moderne Landminen eingesetzt, die einen Mechanismus zur Selbstzerstörung und einen zur Deaktivierung aus der Ferne besäßen. Es würden die "möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um Zivilisten vor Landminen zu schützen". Einmal aktivierte Landminen sollen sich demnach nach spätestens 30 Tagen selbst zerstören. Es sei allerdings zulässig, Gebiete oder Stützpunkte dauerhaft mit Minen zu schützen, die nach Bedarf aus der Ferne scharf gestellt werden können. Das Risiko sei gering, versicherte ein hoher Pentagon-Funktionär unter Verweis auf amerikanische Tests. Nur in sechs von einer Million Fällen komme es vor, daß die automatische oder ferngesteuerte Entschärfung fehlschlage. Auch müsse der Einsatz von einem Vier-Sterne-General beim Verteidigungsminister beantragt werden. "Wir reden nicht von den Landminen von früher, die wirklich Verheerungen angerichtet haben."

Der demokratische Senator Patrick Leahy, der sich seit langem gegen Antipersonenminen einsetzt, gab sich damit nicht zufrieden. Ein großes Problem an Minen sei, daß sie eigene Soldaten gefährdeten. Das gelte auch für moderne Varianten, denn auch sie könnten nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden. Leahy und andere Politiker monierten, daß der Kongreß nicht konsultiert oder vorab informiert worden sei. Diese Argumentationsweise legt nahe, daß auch Demokraten vom Schlage Leahys im Grunde kein Problem damit haben, diese Waffen gegen feindliche Streitkräfte und die Zivilbevölkerung einzusetzen, sofern sie nur nicht zugleich die US-Truppen am Boden gefährden. [3]

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erklärte, der Einsatz von Landminen, der bereits so viele Zivilpersonen getötet habe, sei "unter keinen Umständen und für kein Land gerechtfertigt". Nach den Worten des HRW-Waffenexperten Steve Goose stellten sich die USA mit dieser Neuregelung in eine Reihe mit Regimen und Terrorgruppen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien. Landminen würden zum Beispiel von Syrien, Myanmar und der Miliz Islamischer Staat (IS) genutzt. Zu den Ländern, die besonders von Landminen betroffen sind, gehören Afghanistan, Jemen, Angola, Kambodscha, Laos und der Irak.

Die neue Politik könne zum Todesurteil für unschuldige Menschen werden, erklärte Eva Maria Fischer, Handicap International Deutschland. "Es gibt Kriegshandlungen, die heute nicht mehr zulässig sind. Auch Supermächte dürfen bestimmte Waffen aufgrund des übermäßigen zivilen Leids, das sie verursachen, niemals einsetzen." Das Abschalten von Landminen nach einem Monat, wenn es denn überhaupt funktioniere, sei nicht ausreichend.

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), bezeichnete die Entscheidung als einen schweren "Rückschlag für die langjährigen internationalen Bemühungen, diese tödliche Waffe zu ächten. Die USA wären gut beraten, ihre Entscheidung zu überdenken." Mit den Folgen des Einsatzes von Landminen hätten die betroffenen Staaten oft noch viele Jahre nach Ende von Feindseligkeiten zu kämpfen. "Auch deshalb bleibt Deutschland im Bereich des Minenräumens in vielen Staaten engagiert." Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebich, erklärte, Landminen seien zu Recht weltweit geächtet, weil sie oft noch lange nach Konflikten vor allem Zivilisten, besonders Kinder, verletzten oder gar töteten. "Wer hier den entgegengesetzten Weg einschlägt wie Donald Trump, der ist ein schlechter Mensch, der nichts als Verachtung verdient." Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte: "Antipersonenminen gehören zu den heimtückischsten Waffen der Welt." Die Entscheidung Trumps sei somit "nicht nur grundfalsch, sondern auch ein fatales Signal an andere Länder". Die USA sollten davon Abstand nehmen. Der Grünen-Außenexperte Jürgen Trittin äußerte sich ähnlich und warnte vor den Folgen. "Die Erlaubnis ist eine Ermunterung an alle Warlords und andere Kriegsverbrecher, wieder auf diese geächtete Waffe zu setzen", sagte er. [4]

Wie alle Kriege fordern auch jene unter Einsatz von Landminen den höchsten Blutzoll unter der Zivilbevölkerung. Expertenschätzungen zufolge führten Minen in den letzten 30 Jahren zum Tod von etwa einer Million Menschen. Davon waren 20 Prozent Kombattanten und 80 Prozent Zivilisten, die den Minen oft erst nach Beendigung des Konflikts zum Opfer fielen. Insgesamt sind rund 25 Prozent der Opfer Kinder, wobei generell von einer beträchtlichen Dunkelziffer auszugehen ist. Die verschiedenen Minentypen verursachen mannigfaltige Verletzungsmuster, typischerweise sind Füße und Beine, zumeist auch die Genitalien sowie das Gehör betroffen. Gerade die nicht als Sprengkörper erkennbaren oder besonders kleinen Minen stellen vor allem für Kinder eine große Gefahr dar, weil sie die Minen in Unkenntnis aufheben.

Nach dem UN-Landminenprotokoll muß die Position von verlegten Minen notiert werden. Eingebaute Selbstentschärfungsmechanismen sollen die Minen nach einer bestimmten Zeit automatisch entschärfen. In der Realität werden Minen jedoch oft unkontrolliert, hastig und ohne Plan verlegt. Von Luftfahrzeugen abgeworfene Minen verteilen sich unregelmäßig, teilweise über weite Strecken. Da sie oft Falldämpfer in Form von kleinen Fallschirmen oder aerodynamisch wirksamen Flächen haben, können sie eine gewisse Strecke vom Wind getragen werden. Manche kriegsführenden Parteien setzen Minen auch gezielt gegen die Zivilbevölkerung ein, um eine Gegend unbewohnbar und Äcker und Weiden unbenutzbar zu machen oder schlicht Terror gegen die feindliche Bevölkerung zu üben. Hunger, Tod und lebenslange Verstümmelung Unschuldiger sind in diesen Fällen oft das Ziel und immer die Folge. Während herkömmliche Anti-Personen-Minen kostengünstig zu produzieren und leicht zu verstecken sind, ist ihre Räumung extrem gefährlich, langwierig und kostspielig.

Das erste internationale Abkommen zu Landminen war das Protokoll II der Konvention über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen von 10. Oktober 1980. Am 3. Mai 1996 wurde das Protokoll weiter ausgebaut, doch gingen die daraus resultierenden Restriktionen für viele Parteien nicht weit genug. Weltweiter Druck durch nichtstaatliche Organisationen und einige Regierungsvertreter führten am 3. Dezember 1997 im kanadischen Ottawa zur Unterzeichnung des Antipersonenminen-Verbotsvertrages, besser als "Ottawa-Konvention" bekannt, die seit dem 1. März 1999 als für die Vertragsparteien bindendes internationales Recht in Kraft ist. Mehr als 160 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet, 39 Staaten bislang jedoch nicht, darunter Rußland, China, Indien, Pakistan, Iran, Israel, Nord- und Südkorea sowie die USA als einziges NATO-Mitglied.

Der Ottawa-Vertrag verbietet die Herstellung, Lagerung, den Einsatz und die Weitergabe von Tretminen. Unter anderem schreibt die Konvention die Vernichtung von Lagerbeständen innerhalb von vier Jahren, die Räumung minenverseuchter Gebiete innerhalb von zehn Jahren sowie die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Minenopferhilfe vor. Allerdings wird auch die Ottawa-Konvention von vielen Stellen als unzureichend bezeichnet. Zwar ist die Benutzung und Herstellung von Antipersonenminen durch die Teilnehmerstaaten einzustellen, jedoch werden Antifahrzeugminen mit leicht auslösenden Zündern, welche faktisch als Antipersonenminen wirken, nach wie vor benutzt.

Weil nie zuvor eine Waffe aufgrund zivilgesellschaftlichen Engagements verboten worden war, wurde der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) 1997 der Friedensnobelpreis verliehen. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, daß der vorübergehende Verzicht auf Landminen auch einer militärischen Ratio staatlicher Akteure geschuldet war. Da Minen sehr wenig kosten, sich leicht herstellen und rasch in großen Stückzahlen verlegen lassen, werden sie vor allem von Kriegsparteien eingesetzt, die keinen Zugang zu teuren Waffensystemen haben. Daher gelten sie zwar nicht ausschließlich, aber in besonderem Maße als Kampfmittel von Milizen. Für reguläre Streitkräfte, die mit Bodentruppen Regionen erobern und dauerhaft besetzen wollen, sind sie unter Umständen kontraproduktiv. So haben die USA zuletzt im Ersten Golfkrieg 1991 Landminen im Rahmen eines militärischen Konflikts eingesetzt. Dabei wurden rund 118.000 Gator-Landminen aus Flugzeugen abgeworfen. Über wie viele Landminen die USA derzeit verfügen, ist nicht bekannt, doch sind die Bestände offenbar nach den 2000er Jahren lange nicht mehr erneut worden.

Nachdem Trump angekündigt hatte, er werde den Handlungsspielraum der Militärs erheblich ausweiten, hatte sein erster Verteidigungsminister James Mattis bereits 2017 eine Überprüfung des Verbots angeordnet. Zur Einführung neuer Atomwaffen und Mittelstreckenraketen gesellt sich nun eine höherentwickelte Generation von Landminen. Sollten die in Aussicht gestellten Fähigkeiten der Aktivierung und Deaktivierung zutreffen, könnte dies der technologische Türöffner eines Einsatzes ohne Gefährdung der eigenen Bodentruppen sein. Neben der grundsätzlichen Position, auf keine Waffe zu verzichten, die auch der Gegner einsetzen könnte, dürfte das Kalkül eines vermeintlich kontrollierbaren Einsatzes von Landminen eine maßgebliche Rolle bei der Aufhebung ihres Einsatzverbots durch den US-Präsidenten gespielt haben.


Fußnoten:

[1] www.zdf.de/nachrichten/politik/trump-landminen-militaer-100.html

[2] www.t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_87260736/donald-trump-us-militaer-kann-wieder-weltweit-landminen-einsetzen.html

[3] www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/warum-donald-trump-obamas-landminen-verbot-aufhebt-16611874.html

[4] www.rnd.de/politik/nach-landminen-entscheidung-trump-ist-ein-schlechter-mensch-EFF5JS3KNRGJHPW456IH4GK5VM.html

3. Februar 2020


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