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KRIEG/1767: Europas Mitte - auf Stärke angelegt ... (SB)



Es geht um die Schaffung einer europäischen Cloud-Lösung mit Standardisierung der militärischen Kommunikation und Konnektivität. Dadurch sollen die Informationen aller Land-, See-, und Luftsysteme zusammenlaufen, in Echtzeit analysiert werden und Auswertungen situationsbedingt zurückgespielt werden. (...) Wir sprechen hier von dem prägendsten Hochtechnologieprojekt in der europäischen Verteidigung der nächsten fünf Jahrzehnte.
Dirk Hoke (Chef der Airbus-Rüstungssparte) [1]

Deutsche Ambitionen, ökonomische Stärke mit entsprechender Waffengewalt zu verbinden, um neben der wirtschaftlichen auch eine militärische Führerschaft in Europa zu erlangen, laufen auf eine zweifache Kriegsführung hinaus. Zum einen soll eine aufgerüstete Bundeswehr befähigt werden, im eskalierenden Konkurrenzkampf um Einflußsphären, Rohstoffe, Handelswege und Absatzmärkte weltweit mitzumischen. Zum anderen wird der soziale Krieg gegen die eigene Bevölkerung massiv verschärft, da die Finanzierung der gewaltigen Rüstungsprojekte nur durch eine gravierende Umverteilung der Haushaltsmittel möglich wäre. Das ideologische Kernversprechen der deutschen Klassengesellschaft, selbst als subordinierter Mitläufer der Räuberbande allemal besser als jegliche Opfer der auswärtigen Raubzüge dazustehen, wird auf eine harte Probe gestellt.

Die unverzichtbare Beteiligung an den Herrschaftsverhältnissen auch da auszutarieren, wo der soziale Abstieg vom Gegenteil gesellschaftlicher Verheißungen zeugt und Widerstand aufbrechen könnte, nötigt der politischen Führung des Landes akrobatische Täuschungsmanöver ab. Die banale Rechnung, was all diese militärischen Vorhaben kosten werden und wer die Zeche am Ende bezahlen soll, bleibt gewissermaßen ein offenes Geheimnis, das durch zahllose Sprachregelungen, Fragmentierungen, Euphemismen und Auslassungen bis zu Unkenntlichkeit verzerrt und verschleiert wird. Eine breite antimilitaristische Bewegung war vorgestern und soll nie wieder erstarken, ein Brückenschlag ihrer verbliebenen Reste zu jungen Massenbewegungen wie jener für Klimagerechtigkeit verhindert werden.

Alle Komponenten der Aufrüstung zusammenzudenken und zusammenzurechnen wird tunlichst vermieden, indem das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, die Intervention in Afghanistan, Afrika und Nahost, die sogenannte Landesverteidigung gegen Rußland oder gemeinsame europäische Rüstungsprojekte jeweils für sich diskutiert und gleichsam im Talkshowformat personifiziert und verwurstet werden. Daß die Gefahren wachsen, Deutschland nicht länger am Rand stehen solle, alle Truppenteile dringend Bedarf anmelden, Europa nicht in die Binsen gehen dürfe und man deshalb viel Geld in die Hand nehmen müsse, wird durchaus heftig debattiert, aber doch bitte im Tenor "unserer" Sicherheit und Freiheit, die eben ihren Preis habe, der dann doch im Ungefähren bleibt.

Europa kommt einer gemeinsamen Verteidigungspolitik einen Schritt näher [2], ist dieser Tage zu erfahren, als sei das ein Lichtblick in düsteren Zeiten. Das Milliardenprojekt eines europäischen Luftkampfsystems hat eine weitere wichtige Etappe genommen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unterzeichnete in Paris mit ihrer französischen Kollegin Florence Parly und dem spanischen Staatssekretär für Verteidigung, Angel Olivares, eine Vereinbarung für die Entwicklung eines Prototypen für ein neues Kampfflugzeug. "Wir wollen in Europa mit Blick auf die Verteidigungsanstrengungen der Zukunft den Weg gemeinsam gehen", sagte Kramp-Karrenbauer. "Hinter einem solchen Waffensystem verbirgt sich immer mehr als Technik, es verbirgt sich die gemeinsame Anstrengung, der gemeinsame politische Wille, das gemeinsame strategische Verständnis." Das Projekt sei angetrieben von einer starken deutsch-französischen Kooperation, aber auch europäisch, wie die Unterzeichnung Spaniens zeige. Parly betonte, daß es sich um ein ehrgeiziges Projekt handele, das auch den Willen für eine gemeinsame europäische Verteidigung unterstreiche.

Das Projekt war bereits im Sommer 2019 von Deutschland, Frankreich und Spanien besiegelt worden, wurde dann aber durch heftige Verteilungskämpfe verzögert. Der Bundestag gab schließlich 77,5 Millionen Euro für den Bau eines Prototypen frei, womit nach monatelangem industriepolitischen Streit mit Frankreich eine wichtige Hürde genommen war. Die erste Phase zur Forschung und Entwicklung soll 18 Monate dauern. Die Federführung bei der Entwicklung des Kampfjets hat der französische Rüstungskonzern Dassault, der dabei mit dem Flugzeugbauer Airbus zusammenarbeitet. Der Motor wird von dem französischen Unternehmen Safran und dem Münchner Triebwerkshersteller MTU entwickelt. Ein erster Prototyp - ein sogenannter Demonstrator - des Kampfjets soll nach bisherigen Plänen 2026 fliegen.

Das Luftkampfsystem FCAS (Future Combat Air System) soll von 2040 an einsatzfähig sein. Das Rüstungsprojekt ist weit mehr als nur ein Kampfflugzeug der neuen Generation, da es sich um ein Gesamtsystem handelt. Eurofighter und Rafale werden in 20 Jahren ausgedient haben und sollen durch eine Neuentwicklung abgelöst werden, die als "System der Systeme" bezeichnet wird, weil Waffen in der Luft, im Wasser und an Land wie auch in Weltraum und Cyberraum zusammengeführt werden. Dieser Verbund soll ein bemanntes oder unbemanntes Kampfflugzeug, Kampfdrohnen, einen Drohnenschwarm, Aufklärungs-, Transport - und Tankflugzeuge, Satelliten, AWACS-Maschinen und Schiffe umfassen.

Bei der Entwicklung von Drohnenschwärmen, die nach Einschätzung von Experten künftig kriegsentscheidend sein könnten, sind die USA und China führend. Airbus, das im Rahmen der Kooperation dafür zuständig ist, hat Drohnenschwärme bereits 2018 über der Ostsee getestet. Sie sollen bewaffnet werden und möglicherweise schon Mitte des kommenden Jahrzehnts einsatzbereit sein. Diese Drohnen können gut einen Meter groß oder kleiner als Tennisbälle sei, fliegen in Formationen zu Hunderten oder Tausenden und agieren mit Hilfe künstlicher Intelligenz als autonome Schwärme. Sie können aufklären, Angriffsziele markieren, Räume überwachen und sperren oder in gegnerisches Gebiet einsickern, um dort in mehreren Wellen als fliegende Bomben anzugreifen.

Nach Schätzungen aus der Branche wird das Projekt FCAS einen Umsatz von 500 Milliarden bringen, das Fünffache des bislang größten europäischen Rüstungsprojekts in Gestalt des Eurofighters. Allein für die FCAS-Entwicklung werden Kosten von 80 bis 100 Milliarden Euro genannt. Führt man sich vor Augen, daß Airbus und Dassault zusammen gegenwärtig zwölf bis dreizehn Milliarden Euro mit Rüstung umsetzen, wird deutlich, welch enorme Zuwächse sich die Rüstungskonzerne von diesem Projekt versprechen.

Das ist eine gewaltige Portion und doch nur ein Segment der vereinbarten europäischen Aufrüstung, die Angela Merkel und Emmanuel Macron 2017 in einer Regierungserklärung vereinbart haben. Es geht neben der neuen Generation von Flugobjekten auch um Kampfpanzer und Artilleriesysteme. So sollen bis 2035 neue Kampfpanzer produktionsreif sein und die Leopard 2 der Bundeswehr sowie die Leclerc-Panzer der französischen Armee ersetzen. Mit dem MGCS (Main Ground Combat System) soll ein Hightechsystem entwickelt werden, bei dem Robotik und Waffen wie Hochgeschwindigkeitsraketen eine entscheidende Rolle spielen. Dieses neue Waffensystem soll zum Standardpanzer in Europa werden, um die Vielzahl der Panzertypen abzuschaffen. Bei Krauss-Maffei Wegmann (KMW) rechnet man in den nächsten 25 bis 30 Jahren in Europa mit einem Bedarf von 5.000 Kampfpanzern im Wert von 75 Milliarden Euro. Aus diesem Grund sind KMW und der französische Hersteller Nexter bereits 2015 zur Firma KNDS fusioniert, um das neue System herzustellen. Mit im Boot ist auch der Kanonenhersteller Rheinmetall.

Für die Entwicklung der neuen Generation von Artilleriesystemen ist eine Projektstudie in Arbeit. Ziel ist es, ein Artilleriesystem herzustellen, das bis 2040 die Mörser und Mehrfachraketenwerfer der Bundeswehr ablösen soll. KMW schätzt das Umsatzvolumen für Artilleriesysteme in Europa bis 2050 auf 25 Milliarden Euro. Auch hier werden Nexter, KMW und Rheinmetall die Hersteller sein. Da bei solchen Großprojekten die ursprünglich veranschlagten Kosten in aller Regel explodieren, aber niemand die Notbremse ziehen will, können die Rüstungsschmieden vermutlich mit noch höheren Umsätzen rechnen, die letzten Endes aus dem Steueraufkommen der Staaten finanziert werden.

So milliardenschwer diese drei genannten Systeme sein mögen, sind sie doch wiederum nur ein Teil der unter deutsch-französischer Führung forcierten Militarisierung der EU. Eine gemeinsame Kriegskasse soll eingerichtet werden, über eine EU-Armee wird diskutiert, und die "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" der EU-Mitgliedstaaten im Wehrbereich (PESCO) ist auf den Weg gebracht. Für den Verteidigungsfonds sind im Haushaltsentwurf der EU von 2021 bis 2027 insgesamt 13 Milliarden Euro vorgesehen, um damit grenzübergreifende Rüstungsprojekte mit einem Zuschuß von 20 Prozent zu fördern. Das würde Beschaffungsausgaben von bis zu 65 Milliarden Euro generieren. Die neue Vorsitzende der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, strebt sogar einen 100 Milliarden Euro umfassenden EU-Verteidigungsfonds an.

Im Rahmen von PESCO haben sich 25 Mitglieder bisher auf 47 militärische Projekte verständigt. Ein Großprojekt ist die zehn Tonnen schwere und bewaffnete Eurodrohne, bei deren Herstellung Airbus mit einem Anteil von etwa 50 Prozent führend ist. Neben Deutschland und Frankreich haben inzwischen auch Italien und Spanien konkretes Interesse an der Beschaffung der Eurodrohne bekundet. Im Gespräch sind bislang insgesamt 63 Eurodrohnen, für die die Industrie 9,8 Milliarden fordert, während die Regierungen sechs bis sieben Milliarden Euro bieten.

Soviel zu Europa, besser gesagt zur aufrüstenden EU und der deutschen Rolle in dieser Gemengelage. Ein Thema für sich sind das vielzitierte Zwei-Prozent-Ziel der NATO und die Pläne der Bundesregierung, sich in den kommenden Jahren diesem Wert anzunähern. Da er sich auf die Wirtschaftsleistung bezieht, deren Entwicklung ungewiß ist, handelt es sich um eine grobe Schätzung. Noch vager als diese sind freilich die Einlassungen des Verteidigungsministeriums, welcher Betrag zu welchem Zeitpunkt ins Auge gefaßt wird. Legt man die vorhandenen Angaben zugrunde, steht bis 2031 eine Verdopplung des aktuellen Wehretats zu befürchten, was zwangsläufig einen entsprechenden Kahlschlag in anderen Sektoren zur Folge hätte.


Fußnoten:

[1] www.jungewelt.de/artikel/372725.eu-rüstungspolitik-milliarden-für-tötungswerkzeug.html

[2] www.n-tv.de/politik/Europa-baut-am-gemeinsamen-Kampfjet-article21590589.html

22. Februar 2020


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