Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1771: Waffenexporte - spitzfindige Wege ... (SB)



Die selbsterklärte restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ist angesichts der realen Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI über Waffenlieferungen weltweit nichts als hohles Gerede und gezielte Täuschung der Öffentlichkeit. DIE LINKE fordert ein gesetzliches Verbot von Rüstungsexporten.
Sevim Dagdelen (Außenpolitikerin der Linksfraktion im Bundestag) [1]

Rüstungsexporte sind eine Komponente im Komplex ökonomischer und militärischer Kriegsführung und nur in diesem Gesamtzusammenhang hinreichend zu bewerten. Daß Irrtümer wie auch gezielte Täuschungsmanöver das Feld beherrschen, beginnt bei den mannigfaltigen Rechtfertigungsversuchen und Schleichwegen der Waffenschmieden, setzt sich in der politischen Unterscheidung von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern, Krisen- und angeblich konfliktfreien Regionen fort und ist selbst in der Friedensbewegung anzutreffen, soweit diese gegen zivile Produktionsverhältnisse und Handelsbeziehungen nichts einzuwenden hat, indem sie deren Opfer ausblendet. Da der internationale Waffenhandel weniger als ein Prozent des gesamten Welthandels ausmacht, steht das Argument, er sei unverzichtbar für die heimische Wirtschaft, weshalb sich eine Konversion von vornherein verbiete, auf tönernen Füßen. Allerdings sind die Profite dieser Branche keineswegs der einzige Grund, sie im Dienst der Staatsräson nach Kräften zu fördern.

Die Waffenproduktion ist eine Speerspitze nationaler Technologieentwicklung, Garant für einen relativ unabhängigen Rüstungsstand der eigenen Streitkräfte, und der Export von Kriegsgerät gehört zu den zentralen Elementen internationaler Einflußnahme. Auf diesem Wege wird Bündnispolitik gemacht, indem die Lieferung Freund und Feind unterscheidet, und es werden militärische und politische Abhängigkeiten geschaffen, da sich die Empfängerländer in gewissem Ausmaß an die Exportstaaten binden. Vor allem aber werden Konflikte und Stellvertreterkriege angeheizt, Herrschaftsverhältnisse stabilisiert oder destabilisiert, imperialistische Raubzüge auch ohne eine Intervention der eigenen Streitkräfte vorgetragen.

Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, eine "restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik" [2] zu betreiben. Dabei beruft sie sich insbesondere auf den Exportstopp für Saudi-Arabien und die Reduzierung der Ausfuhren in die Türkei. Wie jedoch aus einer Antwort des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, hat Deutschland im vergangenen Jahr mit fast acht Milliarden Euro mehr Rüstungsexporte als je zuvor genehmigt, wovon auch die Türkei in besonderem Maße profitierte. Die Bundesregierung stimmte Lieferungen im Wert von 31,6 Millionen Euro an Ankara zu, mehr als doppelt so viel wie 2018. Für einen gewissen Bruch sorgte die türkische Offensive gegen die kurdische YPG in Nordsyrien, den die Bundesregierung als völkerrechtswidrig einstufte und daher nach dem Einmarsch am 9. Oktober beschloß, keine Lieferungen von Waffen und anderen Militärgeräten mehr zu erlauben, die in Syrien eingesetzt werden können. Daraufhin wurden in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres noch fünf Genehmigungen für 3,1 Millionen Euro erteilt. [3]

Die Außenpolitikerin der Linksfraktion Sevim Dagdelen nannte es unverantwortlich, daß trotz der türkischen Invasion in Syrien weiter deutsche Rüstungslieferungen in die Türkei genehmigt werden, und forderte einen kompletten Exportstopp: "Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ist verheerend für die ganze Region und schafft damit immer neue Fluchtursachen." Das Auswärtige Amt bediente sich der Ausflucht, daß unter den letztjährigen Lieferungen im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes keine Kriegswaffen, sondern "sonstige Rüstungsgüter" genehmigt worden seien. Von dieser spitzfindigen Unterscheidung einmal ganz abgesehen, erhielt die Türkei im vergangenen Jahr dennoch Kriegswaffen von Deutschland, deren Export bereits zuvor genehmigt worden war. [4]

Ähnlich doppelbödig wie im Falle der Türkei geht die Bundesregierung auch mit den am Jemenkrieg beteiligten Staaten um. Union und SPD hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag im März 2018 vorgenommen, keine Rüstungsexporte an die "unmittelbar" an diesem Krieg beteiligten Staaten zu ermöglichen. Es wurden jedoch Ausnahmen zugelassen. Einen kompletten Exportstopp verhängte die Bundesregierung nur gegen Saudi-Arabien nach der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi. Mit Ägypten auf Platz 2 und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) auf Platz 9 der Empfängerländer deutscher Ausfuhren sind zwei Gründungsmitglieder der Kriegsallianz im Jemen in der Liste vertreten, wobei sich die VAE inzwischen mit Saudi-Arabien überworfen haben und abgezogen sind.

Neben Ägypten und den VAE befinden sich unter den Top 10 mit Algerien (Platz 7), Katar (Platz 8) und Indonesien (Platz 10) drei weitere Staaten, die wegen ihrer Menschenrechtspolitik in der Kritik stehen. Die mit Abstand umfangreichsten Lieferungen gingen 2019 an den EU- und NATO-Partner Ungarn, dessen rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán massiv aufrüstet und die Verteidigungsausgaben verdoppeln will. Nach einem zwischenzeitlichen Abwärtstrend seit 2016 gehen die deutschen Rüstungsexporte seit Anfang 2019 wieder steil nach oben, was Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit der Erklärung zu bagatellisieren versuchte, daß durch die lange Hängepartie bei der Regierungsbildung nach der Wahl 2017 eben ein Entscheidungsstau entstanden sei.

Welche Rolle Deutschland auf dem weltweiten Rüstungsmarkt spielt, zeigen neue Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Um längerfristige Trends herauszuarbeiten, hat SIPRI die Zeiträume 2010 bis 2014 und 2015 bis 2019 verglichen. Die Bundesrepublik verzeichnet dabei eine Zunahme um 17 Prozent und liegt mit einem Anteil von 5,8 Prozent an den weltweiten Gesamtexporten weiter auf Rang vier des Rankings. Hauptabnehmer deutscher Rüstungsgüter sind demnach Südkorea, das seit 2015 mit vier deutschen U-Booten beliefert wurde, sowie Griechenland und Algerien. Deutsche Waffenschmieden exportierten nach Asien und Ozeanien, in andere europäische Länder und den Nahen Osten sowie an amerikanische und afrikanische Staaten. Dabei machten U-Boot-Lieferungen mehr als ein Drittel aller deutschen Exporte aus.

Während der durchschnittliche Zuwachs der globalen Waffenexporte im Vergleichszeitraum bei 5,5 Prozent lag, ragen die USA mit einem Zuwachs von 23 Prozent und Frankreich mit einem dramatischen Anstieg von 73 Prozent heraus. Die Vereinigten Staaten belieferten 96 Länder mit Waffen und bleiben mit 36 Prozent der Gesamtausfuhren an Großwaffen der mit Abstand weltgrößte Rüstungsexporteur. Auf Platz zwei folgt Rußland, dessen Anteil sich jedoch in dem Fünfjahreszeitraum von 27 auf 21 Prozent verringerte, was auf die deutlich eingebrochenen Exporte nach Indien zurückzuführen war. Diese gegenläufige Entwicklung der beiden führenden Staaten verweist auf ihre Stellung im globalen Machtkampf, den Washington auf allen Ebenen auf die Spitze zu treiben versucht. Frankreich hat sich mit 7,9 Prozent auf den dritten Platz vorgeschoben, was seine bellizistischen Ambitionen unterstreicht. Zusammen mit Deutschland, das noch vor China und Großbritannien an vierter Stelle rangiert, verkörpert Frankreich die aufstrebende militärische Macht der EU. [5]

Saudi-Arabien führte zwischen 2015 und 2019 130 Prozent mehr Kriegsgerät als zuvor ein, womit es nunmehr die Liste der Waffenimporteure anführt. Die USA profitierten insbesondere von einer großen Nachfrage im Nahen Osten, wo die Waffenimporte im Fünfjahreszeitraum aufgrund mehrerer Konflikte um 61 Prozent stiegen. Die Hälfte der US-Ausfuhren ging in diese Region und davon wiederum die Hälfte nach Saudi-Arabien. Dort drängt man auch auf ein Ende des deutschen Exportstopps, wobei Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al-Saud diese Forderung Mitte Februar vor allem mit dem Vorgehen des Erzrivalen Iran in der Golfregion begründete. Zugleich betonte er aber auch, daß Saudi-Arabien die benötigten Waffen notfalls aus anderen Ländern beziehen könne, wofür bislang neben den USA vor allem Großbritannien und Frankreich zur Stelle waren. "Wir werden kaufen, was wir brauchen, wo wir es kriegen können", winkte der saudische Außenminister mit sehr viel Geld, das eher früher als später auch die Bundesregierung überzeugen dürfte.

Die Entscheidung über eine weitere Verlängerung des Exportstopps steht noch aus, wobei sich die SPD, der Kandidat für den CDU-Vorsitz Norbert Röttgen sowie Linke und Grüne für eine Verlängerung der Maßnahme ausgesprochen haben. Neben der immensen Aufrüstung Saudi-Arabiens, die auch deutschen Waffenschmieden wieder enorme Zugewinne bescheren würde, geht es insbesondere um Einfluß der Bundesrepublik im Nahen Osten, wo gegenwärtig der eurasische Großkonflikt in Stellvertreterkriegen ausgetragen wird. Wer morgen noch mitmischen will, so die Logik geostrategischer Expansion, darf sich heute nicht heraushalten.


Fußnoten:

[1] www.sevimdagdelen.de

[2] www.spiegel.de/politik/deutschland/ruestungsexporte-aus-deutschland-genehmigungen-auf-rekordhoch-a-1302825.html

[3] www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerkei-genehmigungen-fuer-ruestungsexporte-haben-sich-2019-mehr-als-verdoppelt-a-8f15b4ba-b3ff-4131-b2c7-7e12d89c71cd

[4] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-03/waffenausfuhr-ruestungsexporte-tuerkei-bundesregierung

[5] web.de/magazine/politik/waffenexporte-usa-dominierender-akteur-deutschland-spielt-34499944

10. März 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang