Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1772: Corona - Schwinden sozialer Errungenschaften ... (SB)



Die Bundeswehr ist dafür aufgestellt, in der Krise schnell zu reagieren.
Eberhard Zorn (Generalinspekteur der Bundeswehr) [1]

In der Corona-Krise schlägt die Stunde der Bundeswehr, ihre Einsatzbereitschaft im Inland unter Beweis zu stellen und auszuweiten. Günstiger könnte die Gelegenheit kaum sein, sich nicht lange bitten zu lassen, sondern die eigenen Kapazitäten anzubieten und weithin akzeptiert zu Werke zu gehen. Die Streitkräfte verändern ihr Bild in der Gesellschaft, machen Werbung für die Truppe und schleifen die Bastionen verbliebenen Widerstands, der aus gutem Grund auf einer strikten Trennung der Einsatzbereiche von Militär und Polizei beharrt. Das Grundgesetz sieht diese prinzipiell vor, schränkt sie jedoch in Artikel 35 ein, der die rechtliche Grundlage für eine Amtshilfe im zivilen Bereich schafft. Darin heißt es, die Bundesregierung könne zur "Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall" die Weisung erteilen, Einheiten der Streitkräfte zur Unterstützung der Bundesländer einzusetzen. Von einer Pandemie ist aber nicht die Rede. [2]

An dieser Stelle wollen die CDU-Politiker Roderich Kiesewetter und Patrick Sensburg nachlegen und eine juristische "Klarstellung" erwirken, die auf nichts weniger als eine Änderung des Grundgesetzes hinausläuft. Ihnen liegt daran, mit Hilfe des aktuellen Rückenwinds langgehegte Pläne in die Tat umzusetzen und Fakten zu schaffen, die auch über die Corona-Krise hinaus Bestand haben. Sensburg, der auch Präsident des Reservistenverbandes ist, regt eine Debatte an, "wann die Bundeswehr und damit auch Reservisten im Inland eingesetzt werden sollen". Die Welt habe sich verändert, "und damit müssen wir offen über diese Frage und auch eine Anpassung des Grundgesetzes diskutieren", so der Oberstleutnant der Reserve. "Was fällt zum Beispiel unter die Sicherung kritischer Infrastruktur durch die Streitkräfte? Bislang war damit das Wasserwerk oder Elektrizitätswerk gemeint. Jetzt sehen wir, dass es auch um die Versorgung des Supermarkts um die Ecke oder von Lkw-Fahrern auf der Autobahn gehen kann."

Was auf leisen Sohlen, beinahe unspektakulär und verführerisch pragmatisch daherkommt, hätte fatale Zukunftsfolgen. Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren, der von den Notstandsgesetzen ohnehin vorgehalten wird, zielt perspektivisch auf die Aufstandsbekämpfung im weitesten Sinne ab, auch wenn davon natürlich noch nicht die Rede ist. Um so notwendiger ist es, den Anfängen zu wehren, wobei man wohl eher von einem Prozeß sprechen muß, der längst Fahrt aufgenommen hat. Sensburg hat mit seinem Vorstoß insofern den Bogen überspannt, als es umgehend harsche Kritik seitens der anderen Parteien setzte. Nimmt man jedoch die erhobenen Einwände unter die Lupe, erweist sich die verbalradikale Opposition eher als parteipolitischer Sturm im Wasserglas, bei dem von einer entschiedenen Ablehnung einer Militarisierung der zivilen Gesellschaft kaum die Rede sein kann.

"Völlig überflüssig" nennt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu, die Initiative. "Die Bundeswehr ist im Rahmen der Amtshilfe nach Artikel 35 voll handlungsfähig." Das gelte für alle Beispiele, die Sensburg anführe. Er wirft dem CDU-Kollegen vor, die Corona-Krise zu nutzen, "um wieder mal ein altes Steckenpferd der Konservativen zu reiten. Das Grundgesetz trifft ausreichend Vorsorge - sowohl für die denkbaren Krisen als auch für den Vorrang der Politik. Eine Norm zur Selbstermächtigung der Bundeswehr brauchen wir nicht." Ähnlich äußert sich der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Tobias Lindner. Die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr, Ländern und Kommunen in der Corona-Krise auf Basis der Amtshilfe funktioniere sehr gut. Daß Teile der Union die aktuelle Lage dazu nutzten, um die immer gleiche Debatte um die Bundeswehr im Inneren zu führen, sei mehr als bedauerlich und der Situation unangemessen. "Was es jetzt braucht, sind Engagement und Pragmatismus in der Zusammenarbeit - und nicht irgendwelche ideologischen Phantomdebatten."

Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, argumentiert auf vergleichbare Weise: "Wer diese in der Nachkriegsgeschichte einmalige Situation nutzt und das Grundgesetz antasten will, um seine eigene persönliche Bedeutung aufzupolieren, der sollte darüber nachdenken, ob er der richtigen Arbeit nachgeht." Sensburg schade seinem "eigenen Verband und den engagierten Reservisten, die jetzt überall ihre wichtige Hilfe zur Bewältigung der Krise anbieten". Die Bundeswehr sei für die äußere Sicherheit Deutschlands verantwortlich, verteidige das Land vor Angriffen. Im Inland sorge die Polizei für Recht und Ordnung. Es sei möglich, daß die Bundeswehr die Polizei dabei im Rahmen der Amtshilfe unterstütze, aber es gelte: "Ersetzen kann und darf die Bundeswehr die spezifischen hoheitlichen Aufgaben der Polizei natürlich nicht." Und ihr Fraktionskollege Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, twittert kurzerhand: "Das ist eine gefährliche Schnapsidee."

Nicht lange fragen, sondern anpacken, volle Handlungsfähigkeit sei gegeben, die Amtshilfe funktioniere sehr gut. Die unausgesprochene Warnung, Sensburg solle nur ja keine schlafenden Hunde wecken, wo doch alles so reibungslos und vielversprechend angelaufen sei, steht wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Hilfe der Bundeswehr wird allenthalben angefragt und Kritik nur in dem Sinne laut, daß die Truppe noch zügiger und umfassender einbezogen werden müsse. Jetzt dürfe niemand alles verderben und mit gefährlichen Schnapsideen unbelehrbare Pazifisten auf den Plan rufen, die den Ertrag des viralen Ausnahmezustands mit ihrer Bundeswehrallergie madig machen.

Die Bundeswehr bereitet sich darauf vor, großflächig Amtshilfe für zivile Behörden zu leisten. Rund 140 Anträge von Städten und Gemeinden auf Unterstützung sind bereits bei den Streitkräften eingegangen, gab Generalinspekteur Eberhard Zorn bekannt. Häufig sei logistische Hilfe beim Aufbau von Unterbringungsmöglichkeiten oder bei Desinfektionsarbeiten gefragt, teilte der für die Koordination zuständige Generalleutnant Martin Schelleis mit. Der Inspekteur der Streitkräftebasis war zuletzt am US-Großmanöver "Defender Europe 20" beteiligt, nach dessen Abbruch enorme Kapazitäten brachliegen, die passenderweise ins Zivile umgemünzt werden können. Auf Bitte des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer half die Truppe aus, während der Lkw-Staus an der Grenze zu Polen die Fahrer zu versorgen. In Sachsen-Anhalt lieferten Soldaten medizinische Schutzkleidung und Beatmungsgeräte aus, in Wilhelmshaven gehen sie für ältere Mitbürger einkaufen, im Saarland organisierte die Truppe drei Drive-in-Teststationen, in denen Abstriche für den Test auf das Coronavirus genommen werden. [3]

Aushelfen will die Bundeswehr insbesondere im medizinischen Bereich, und so nehmen die fünf Bundeswehrkrankenhäuser mit insgesamt 2.000 Betten Covid-19-Patienten auf. Man sei jetzt dabei, die Zahl der Intensivbetten zu verdoppeln, und wie der Generalinspekteur weiter mitteilte, würden Reservisten mobilisiert, um insbesondere Fachpersonal aus der Medizin aufzustocken, was auf große Resonanz stoße. Schon seit Anfang März ist die Bundeswehr mit der Beschaffung von Atemschutzmasken, Schutzanzügen und sonstiger medizinischer Schutzausrüstung befaßt. Ob das Beschaffungsamt in Koblenz allerdings der bestmögliche Partner der Bundesregierung in Sachen Medizingüter ist, sei dahingestellt, da sich diese Behörde mit ihren mehr als 11.000 Mitarbeitern in der Vergangenheit nicht gerade durch Glanzleistungen hervorgetan hat. Ihren doch eher anrüchigen Leumund scheint die Meldung zu bestätigen, daß sechs Millionen georderte Schutzmasken gegen das Coronavirus auf einem Flughafen in Kenia "spurlos verschwunden" sind. Die dringend benötigten Masken sollten längst in Deutschland angeliefert sein, wozu man wohl anmerken muß, daß diese Amtshilfe eben ihren Preis hat. [4]

"Wir planen auf allen Ebenen so, dass wir alle kritischen Bereiche sicher abdecken könnten - auch das, was an Amtshilfe auf uns zukommt", hatte Annegret Kramp-Karrenbauer als zuständige Ministerin kürzlich verkündet. Die Bundeswehr habe in der Vergangenheit bei Schnee- oder Hochwasserkatastrophen immer geholfen und sei dafür aufgestellt, in der Krise schnell zu reagieren, auch zu improvisieren und das Personal zu mobilisieren, bekräftigte Generalinspekteur Eberhard Zorn. In der Truppe seien alle hoch motiviert und wollten helfen.

Das wohl zugkräftigste Argument für den Einsatz der Bundeswehr bleibt die um sich greifende Verunsicherung und Furcht, die nach einer starken Hand ruft. Entzieht sich der unsichtbare Feind bei seinem schleichenden bis sprunghaften Vormarsch dem Zugriff, so müssen an Stelle dessen die Menschen und ihre Verhältnisse durchreguliert und gemaßregelt werden. Entbehrt das nicht einer offenkundigen Irrationalität, so mahnt als andere Seite derselben Medaille die inmitten der Krise vielbeschworene Vernunft, entschlossen, handfest und pragmatisch vorzugehen. Wie töricht wäre es doch, die Kapazitäten der Streitkräfte nicht vollumfänglich in Anspruch zu nehmen. Not kennt kein Gebot, heißt es im Volksmund, und Corona keine Klassengesellschaft, wie man uns derzeit weismachen möchte. Als habe dieser Staat seit jeher das Wohlergehen all seiner Bürgerinnen und Bürger auf bestmögliche Weise sichergestellt, kommt sein Gewaltmonopol in Zeiten der Krise eben auch in Soldatenstiefeln daher und will mit offenen Armen empfangen werden.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/coronakrise-die-bundeswehr-ist-dafuer-aufgestellt-in-der.694.de.html

[2] www.welt.de/politik/deutschland/article206791657/Bundeswehr-und-Corona-Debatte-ueber-Inlandseinsaetze-Schnapsidee.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/375227.corona-nutznießer-der-krise.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/375193.saboteure-des-tages-beschaffungsamt.html

26. März 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang