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KRIEG/1785: Marinewerften - Rüstungsaufträge und Kriegsbereitschaft ... (SB)



Das neuartige Mehrzweckkampfschiff MKS 180 soll in der Lage sein, "einerseits überall auf der Welt lange Zeit große Seeräume zu patrouillieren, Embargos zu überwachen und notfalls deutsche Staatsbürger aus Krisensituationen zu evakuieren, andererseits im Nordatlantik oder Mittelmeer sich notfalls im Seegefecht gegen andere Kriegsschiffe seiner Art und U-Boote durchsetzen zu können".
Bundesmarine über ihre künftige "Allzweckwaffe" [1]

Wie die Interessen von Staat und Kapital bisweilen getrennte Wege gehen, doch am Ende immer wieder zusammenfinden, illustriert ein aktuelles Hauen und Stechen um einen Großauftrag im Marineschiffsbau. Daß dieser Krieg im unmittelbaren wie übertragenen Sinn seine Sieger und Verlierer hat, liegt in der Natur der auf staatlicher wie ökonomischer Ebene konkurrenzgetriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse, die auf Waffengewalt gründen und im Verwertungsregime ihre allein gültige Ratio identifizieren. Wie die beteiligte Gewerkschaftssektion ihre Rolle auf diesem Kampfplatz von Standortpolitik und Militarismus definiert, tritt schlaglichtartig zutage.

Die Bundesregierung plant derzeit Investitionen von über zehn Milliarden Euro, um die deutschen Seestreitkräfte massiv aufzurüsten. Der größte Brocken ist dabei das neuartige Mehrzweckkampfschiff MKS 180. Für die Beschaffung von vier dieser Schiffe sind insgesamt 5,27 Milliarden Euro veranschlagt, es ist der größte Marineauftrag dieser Art in der Geschichte der Bundeswehr. Wie eingangs zitiert, soll der innovative Schiffstyp für vielfältige militärische Zwecke geeignet sein, wofür er mit Einbaumodulen für unterschiedliche Missionen wie beispielsweise als U-Boot-Jäger oder als schwimmender Stützpunkt zur Bekämpfung von Piraterie ausgerüstet werden kann. Austausch und Inbetriebnahme der Module sollen möglichst schnell und weltweit, ohne Eingriffe in die Schiffsstruktur und ohne eine Werft möglich sein. Außerdem müssen die Module den klimatischen und ozeanografischen Bedingungen standhalten, die im jeweiligen Einsatzgebiet vorherrschen. So wird das MKS 180 genauso in den Tropen unterwegs sein wie auch eine Eisklasse besitzen, um polare Gewässer zu befahren. Das Schiff, dessen Länge mit etwa 155 Metern Konstruktionswasserlinie angegeben wird, soll zwei Jahre im Einsatzgebiet bleiben können. Die rund 110köpfige Besatzung wird dann alle vier Monate rotieren.

Um diesen äußerst lukrativen Großauftrag an Land zu ziehen, standen die drei konkurrierenden Marinewerften Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS), die Lürssen-Gruppe aus Bremen und die Kieler German Naval Yards (GNYK) Gewehr bei Fuß. Aus Sicht von Branchenexperten ist jedoch eine Konsolidierung der deutschen Marinewerften überfällig, denn im Vergleich zu anderen Ländern reißen sich in diesem Industriezweig zu viele Anbieter um die wenigen Aufträge, die pro Jahr vergeben werden. Lürssen, German Naval Yards und TKMS sind für sich genommen zu klein, um sich gegen internationale Schwergewichte durchzusetzen.

Die Unternehmen haben denn auch ursprünglich über eine Dreierfusion verhandelt, doch sind sich die Akteure nicht handelseinig geworden. Hinderlich sind insbesondere zwei Aspekte: Zunächst einmal ist TKMS vor allem im Unterwasserbereich aktiv. Doch an diesem Geschäft haben weder Lürssen noch German Naval Yards Interesse, da der Bau von U-Booten enorme finanzielle Risiken birgt. Hinzu kommt, daß Thyssen-Krupp an der Börse gelistet ist, während Lürssen und German Naval Yards von Familien geführt werden, die mit den Vorgängen vertrauten Insidern zufolge ihr Geschäft anders betreiben und daher auch eine gemeinsame Sprache sprechen. Die Absage an das Essener Konglomerat ist aber nicht endgültig, da der Überwasserbereich von TKMS zu einem späteren Zeitpunkt in eine neue Gemeinschaftsfirma integriert werden könnte, wie es in Kreisen der Beteiligten hieß. [2]

Anfang des Jahres war die Entscheidung der Bundesregierung gefallen, daß die Schiffe unter Federführung der niederländischen Damen-Werft bei Blohm+Voss in Hamburg gebaut werden sollen. Die deutschen Werften konnten die Anforderung des Verteidigungsministeriums nicht erfüllen. Davon profitierte die Lürssen-Gruppe aber insofern, als ihr die traditionsreiche Hamburger Werft angehört. Hingegen ging die Kieler Marinewerft German Naval Yards, die zu einer Holding im Besitz einer libanesisch-französischen Unternehmerfamilie gehört und sich mit Thyssenkrupp Marine Systems als Subunternehmer beworben hatte, leer aus und drohte daraufhin, notfalls mit einer Klage vor Gericht zu ziehen.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hatte im Februar zusammen mit anderen Länderchefs einen Brandbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben und zur Sicherung des Überwasserschiffbaus der Marine in Deutschland aufgerufen. Marineexperten wiesen allerdings darauf hin, daß der deutlich größere Teil der Wertschöpfung beim Bau der Schiffe weiterhin in Deutschland stattfindet. Zudem kaufen die Niederlande in anderen Bereichen Rüstungsgüter in der Bundesrepublik ein.

Eine Wendung nahm der erbitterte Konkurrenzkampf der drei Werften, als die Schiffbauer Lürssen und German Naval Yards jüngst vereinbarten, ihre Marinesparten zusammenzuführen. Vertreter beider Unternehmen einigten sich im Grundsatz darauf, die Bereiche in einer Gemeinschaftsfirma zu bündeln. Sollten die Kartellbehörden dem Vorhaben zustimmen, würden die beiden Gruppen damit Thyssen-Krupp Marine Systems als Marktführer ablösen. Von der geplanten Fusion sind die jeweiligen Aktivitäten im zivilen Schiffbau ausgenommen. Vor allem Lürssen gilt als einer der weltweit führenden Produzenten von sogenannten Megayachten. Wenngleich die Details des Gemeinschaftsunternehmens in den kommenden Wochen noch ausgearbeitet werden, steht doch bereits fest, daß die Führung bei Lürssen liegen wird. Während die Bremer Gruppe über die Hamburger Docks des Unterauftragnehmers Blohm+Voss den Löwenanteil des Milliardengeschäfts einstreichen wird, ist das Kieler Unternehmen über die Hintertür nun doch an dem Deal beteiligt. German Naval Yards hat daraufhin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes zurückgezogen, ein entsprechendes Schreiben ging auch beim Beschaffungsamt der Bundeswehr ein.

Damit ist das Vergabeverfahren um das Mehrzweckkampfschiff 180 rechtswirksam. Die niederländische Firma Damen steht im Bieterwettbewerb um den Bau des Schiffes als Ausschreibungssieger offiziell fest. Das Verteidigungsministerium begrüßte es, daß die juristischen Unebenheiten damit beseitigt seien und der Beschaffungsprozeß weiter vorangetrieben werden könne. Dazu erklärte Ressortchefin Annegret Kramp-Karrenbauer: "Ich freue mich sehr, dass es mit dem Vergabeverfahren zum Mehrzweckkampfschiff 180 jetzt weiter gehen kann! Bis zur Sommerpause werde ich das Parlament um Haushaltsfreigabe bitten und ich bin sehr optimistisch, dass wir dann noch dieses Jahr einen Vertrag zum MKS180 schließen können."

Mit ihrer geplanten Fusion wollen Lürssen und German Naval Yards den Abstand zur internationalen Konkurrenz verkleinern. "Wir sind davon überzeugt, dass eine Konsolidierung unserer Werften im Marineschiffbau sinnvoll und förderlich ist, um dadurch deren Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken", erklärte Friedrich Lürßen, Gesellschafter der gleichnamigen Gruppe. Iskandar Safa betonte als Eigentümer der German Naval Yards-Dachgesellschaft Privinvest, daß die Neuordnung der Marinewerften überfällig sei. "Unsere Kunden brauchen Partner, die über die Größe und die Fähigkeit verfügen, umfangreiche, strategisch wichtige Aufträge zu erfüllen."

Daß die angestrebte Fusion zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen soll, indem verteidigungspolitische und wirtschaftliche Interessen unter einen Hut gebracht werden, hebt eine gemeinsame Pressemitteilung der beiden Marinewerften zu ihrer Übereinkunft hervor. Wie es darin heißt, sollen die bisherigen Aktivitäten im militärischen und behördlichen Überwasserschiffbau künftig in ein gemeinsames Unternehmen unter Führung der Bremer Lürssen-Gruppe eingebracht werden. Ihre Absichtserklärung entspreche jüngsten Beschlüssen der großen Koalition zur Neufassung des "Strategiepapiers zur Stärkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie", in dem der Marineschiffbau als Schlüsseltechnologie ausgewiesen wird. Zugleich stärke die Gemeinschaftsunternehmung die internationale Wettbewerbsposition norddeutscher Werften.

Wie der Verbund militärischer Aufrüstung und ökonomischer Auftragsvergabe auf gewerkschaftlicher Seite bewertet wird, erläutern Stellungnahmen der IG Metall zu den jüngsten Entwicklungen im Kontext des Großauftrags. So beklagte die IG Metall Küste auf Nachfrage der jungen Welt [3], daß weder die Belegschaft noch einzelne Betriebsräte in die Fusionspläne einbezogen waren. So etwas aus der Presse zu erfahren sei kein guter Start für die neue Gesellschaft, monierte deren Bezirksleiter Daniel Friedrich. Weitere Informationen verlangte auch Heiko Messerschmidt, der Pressesprecher der IGM im Bezirk. Die Metaller erwarten demnach verbindliche Zusagen zur Sicherung der Standorte und zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Zudem müßten die Tarifverträge bei einer Fusion erhalten bleiben, wie Messerschmidt betonte. Er kritisierte in diesem Zusammenhang, daß beide Familienunternehmen keinen Gesamtbetriebsrat haben, der Mitbestimmungsrechte bei überbetrieblichen Angelegenheiten geltend machen könnte.

Die beiden Unternehmen sehen offenbar keinen Anlaß, auf die Kritik seitens der Gewerkschaft zu reagieren. Ein Sprecher von German Naval Yards erklärte lediglich, es gehe um eine Bündelung der Kräfte und Stärkung der Standorte. Ob es dabei zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommen könnte, wolle er nicht weiter kommentieren. Nicht minder bedeckt hielt sich der Sprecher von Lürssen mit der vagen Aussage, die Fusion solle Arbeitsplätze sichern. Konkrete Zahlen zu den beteiligten Werften nannte er nicht.

Die in der Rüstungsindustrie drängende Frage, wie es die Gewerkschaft mit einer Konversion hält, rief bei den Küsten-Metallern nicht gerade Begeisterung auf den Plan. "Frieden, Abrüstung, klar, das sind Grundhaltungen unserer Gewerkschaft", erklärte Messerschmidt. Aber solange das Militär mit Gerätschaft ausgerüstet werden muß, "werden wir uns für die Beschäftigten in der Produktion einsetzen". Da aber ein Ende der Aufrüstung definitiv nicht in Sicht ist, solange ihr nicht von einer erstarkenden Gegenbewegung der Garaus gemacht wird, läuft diese Argumentation der IG Metall im Bezirk Küste darauf hinaus, der Stärkung des Standorts den absoluten Zuschlag zu geben, was immer dort auch produziert wird. Mit den Metallern im Marineschiffsbau, so stellt es sich dar, ist zwar Staat zu machen, aber eher keine antimilitaristische Initiative für eine Konversion.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87884048/deutschland-investiert-fuenf-milliarden-in-kampfschiffe-der-marine.html

[2] www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/schiffbau-marinewerften-luerssen-und-german-naval-yards-wollen-fusionieren/25826946.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/378423.rüstungspolitik-in-der-brd-tödliche-schlagkraft.html

19. Mai 2020


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