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KRIEG/1789: Bundeswehr - neokoloniale Afrikapräsenz ... (SB)



4.000 Kilometer trennen Mali und den Sahel von Deutschland. Das reicht schon, dass einige der Auffassung sind, zu glauben, dass wir damit nichts zu tun hätten. (...) Was dort passiert, das gefährdet nicht nur die Stabilität unserer südlichen Nachbarschaft, sondern das wirkt als Brandbeschleuniger für die Ausbreitung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und illegaler Migration bis nach Europa. (...) Dass Mali inzwischen der zweitgrößte Einsatzort der Bundeswehr im Ausland ist, ist auch Ausdruck unserer Sorge darüber, und zwar einer nach wie vor berechtigten Sorge."
Außenminister Heiko Maas [1]

Wer sich der Schätze des Schwarzen Kontinents bemächtigen will, muß neben Pulver, Blei und Glasperlen auch die weißhäutige Selbstevidenz menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsvorsprungs und Führungsanspruchs im Marschgepäck haben. Daran hat sich seit Kolonialzeiten im Prinzip nichts geändert, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß diese fließend in aggressiv imperialistische Expansion überführt worden sind und so gesehen nie geendet haben. Allerdings ist die Gemengelage der afrikanischen Raubzüge weitaus verworrener geworden, wie auch die verheerenden Folgen der Klimakatastrophe und unablässige Kriege den Kontinent in ein globales Pulverfaß zu verwandeln drohen.

Die Stiefel deutscher Soldaten hinterließen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts tiefe Abdrücke auf dem Kontinent, als die Kolonialherren im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 Schätzungen zufolge 75.000 Angehörige der Volksgruppen Herero und Nama töteten. Diese Kolonialgeschichte wird allenfalls als historischer Fehltritt beklagt, jedoch keinesfalls als eine Voraussetzung des Aufstieg der Bundesrepublik zur europäischen Großmacht gewertet. Einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, wozu in der deutschen Geschichte reichlich Anlaß bestand, schließt eine materielle Entschädigung aller Opfer aus, die nicht über die Mittel verfügen, diese wirksam einzufordern. Die Bundesrepublik ist nicht der NS-Staat, ist nicht die Weimarer Republik und schon gar nicht das Kaiserreich. Was wir heute sind und haben, darf niemand mit früheren Raubzügen in Verbindung bringen, am allerwenigsten aber mit der heutigen Afrikapolitik.

Daß Afrika eine europäische und nicht zuletzt deutsche hegemonialpolitische Einflußzone sei, wird seit Jahren in strategischen Entwürfen der NATO, der Europäischen Union und der hiesigen Denkfabriken konzipiert und präzisiert. Längst greift der Vormachtanspruch der Bundesrepublik auch in südlicher Richtung tief in die Eingeweide des benachbarten Kontinents, gehen offensive Flüchtlingsabwehr und militärische Präsenz mit ökonomischen Interessen Hand in Hand. Im April 2014 verabschiedete die schwarz-rote Koalition die "Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung". Darin ist von Potentialen Afrikas wie einem Zukunftsmarkt mit hohem Wachstum, reichen Ressourcen, landwirtschaftlicher Produktion und Ernährungssicherung die Rede, die für die deutsche Wirtschaft zunehmend interessanter würden. Aus diesen Gründen gelte es, das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt zu stärken sowie entschieden und substantiell zu handeln, wozu auch militärische Interventionen gehörten. So ist die Bundeswehr derzeit im Mittelmeer, am Horn von Afrika, in der Sahelzone, in Zentralafrika, im Sudan und Südsudan, in Somalia und insbesondere mit der neben Afghanistan größten Mission in Mali präsent.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihren Fuß bis dahin nicht auf afrikanischen Boden gesetzt hatte, reiste 2016 nach Mali, Niger und Äthiopien, worauf sie 2017 Ägypten und den EU-Afrika-Gipfel in der Elfenbeinküste besuchte. Die deutsche G20-Präsidentschaft 2017 stand im Zeichen der Wirtschaft und brachte mit elf Ländern Afrikas die Initiative "Compact with Africa" auf den Weg, bei der es vor allem um Rechtssicherheit für private Investitionen geht. Entwicklungshilfe war gestern, heute steht die Unterstützung deutscher Investoren auf der Agenda, so das Credo der Bundesregierung. Diese hat natürlich nicht vor, den europäischen Handelskrieg gegen die afrikanischen Länder zu beenden, ihre Rohstoffe nicht länger auszuplündern und die militärische Intervention auszusetzen. Wenngleich sie wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" im Munde führt, setzt sie ihren Partnern in einer Mischung aus Bestechung und Erpressung die Pistole auf die Brust. Sie stellt Unterstützung in Aussicht, sofern im Gegenzug die Migration bekämpft und die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber verbessert wird.

Nicht thematisiert werden die Fluchtursachen, welche die Afrikapolitik der Europäischen Union und der Bundesrepublik zu verantworten hat. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Freihandelsabkommen namens EPAs (Economic Partnership Agreements) zu nennen, die festlegen, daß die afrikanischen Länder ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe öffnen und dazu schrittweise Zölle und Gebühren abschaffen müssen. Im Gegenzug wird ihnen weiterhin zollfreier Zugang zum europäischen Markt gewährt, den sie zum großen Teil ohnehin schon hatten. Weil viele afrikanische Regierungen das Abkommen nicht unterzeichnen wollten, verhängte die EU zum 1. Oktober 2014 Einfuhrzölle auf mehrere Produkte aus Afrika. Auf diese Weise erpreßt, haben die meisten noch zögernden Länder unterschrieben.

Da die afrikanischen Staaten mit einer Wirtschaft wie der deutschen nicht konkurrieren können, gefährden Freihandel und EU-Importe bestehende Industrien und führen dazu, daß zukünftige gar nicht erst entstehen. Die EPAs verwandeln die einheimischen Märkte in Müllhalden für europäische Produkte und etablieren deren Diktat. Zudem stehen europäische Unterhändler und Spekulanten Gewehr bei Fuß, um sich der Rohstoffe wie Erdöl, Metalle, Holz oder Kakao zu bemächtigen. Vor dem Hintergrund angeblicher Bestrebungen Europas und Deutschlands, Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen und wirtschaftliche Perspektiven vor Ort zu schaffen, sind diese Freihandelsabkommen absolut kontraproduktiv.

In den kommenden Jahren wird ein enormer Bevölkerungszuwachs auf dem afrikanischen Kontinent erwartet, wo Prognosen zufolge im Jahr 2050 bis zu 2,6 Milliarden Menschen leben werden. Zugleich sind dort die gravierendsten Auswirkungen der Klimakatastrophe zu befürchten. Die unter deutscher Führung entworfene Flüchtlingsabwehr der EU sieht eine Vorverlagerung des Abwehrregimes in die Herkunfts- und Transitländer vor. Durch eine Mixtur aus Druckmitteln, Geschenken an die einheimischen Eliten und einem großen Ballon leerer Versprechen, garniert mit militärischer Präsenz, Ausrüstung und Ausbildung, soll das Prinzip der sogenannten Eigenverantwortung und Selbsthilfe umgesetzt werden.

In Afrika herrschte eine weitgehende Reisefreiheit, die allermeisten Flüchtlinge wurden von den Nachbarstaaten aufgenommen, und nur ein Bruchteil kam überhaupt nach Europa. Das lukrative Geschäft der Schlepper verdankt sich in erster Linie der Illegalisierung von Flüchtlingen. Die Europäer fordern, daß die afrikanischen Staaten ihren interstaatlichen Personenverkehr stärker reglementieren, um Migranten gar nicht erst an die nordafrikanische Küste gelangen zu lassen. Werden die Bewegungsmöglichkeiten weiträumig unterbunden, kommt es im Falle von Dürren oder Überschwemmungen und in der Folge von Hungersnöten zu extremen Belastungen der betroffenen Länder, die angesichts fehlender Ventilfunktionen durch Migration dramatischer als je zuvor verlaufen.

Schwerpunkte des militärischen und polizeilichen Übergriffs der Bundesrepublik auf den benachbarten Kontinent sind die nordafrikanischen Anrainerstaaten des Mittelmeers, das Horn von Afrika und die Sahelzone. Die deutsche Marine beteiligt sich mit einem Seeaufklärer und einem Kriegsschiff an der EU-Mission "Irini" im östlichen Mittelmeer, die Waffenlieferungen nach Libyen unterbinden soll. Um Flüchtlinge abzuwehren und Bewegungen von Milizen einzudämmen, stattet die EU die Staaten Nordafrikas seit Jahren mit millionenschweren Ausrüstungs- und Ausbildungsprogrammen aus, um deren Grenzkontrollen zu Land und zur See zu verstärken. Die Bundesregierung hat mit der Libyenkonferenz ihren Fuß in die Tür zu diesem Kriegsschauplatz gesetzt und unterstützt neben der seit langem hochgerüsteten libyschen Küstenwache auch Tunesien, das ebenfalls zum Vorhof der Festung Europa ausgebaut wird.

Berlins polizeiliches und grenzkontrollpolitisches Engagement in dem Land zielt darauf ab, "Terrorismus" zu bekämpfen und "irreguläre" Migration zu unterbinden. So sollen die Landgrenzen zu den Nachbarstaaten Libyen und Algerien abgeschottet werden, um sie undurchlässiger für bewaffnete Gruppen und vor Krieg und Elend fliehende Menschen zu machen. Dafür werden Radargeräte, Kameras und Fahrzeuge geliefert wie auch Ausbildungsmaßnahmen der Polizeibehörden durchgeführt. Berlin förderte 2019 ein Grenzkontrollprojekt mit 1,5 Millionen Euro, das Einsatzleitstellen der Grenzpolizei und ein Schulungszentrum umfaßt. Besonderes Augenmerk gilt der Kontrolle und Überwachung der Seegrenzen, wofür unter anderem ein Schwimmpier, ein Portalkran und weitere Ausrüstung für die Küstenwache geliefert wurden. Allein im vierten Quartal 2019 führte die Bundespolizei 14 Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die tunesische Nationalgarde, Grenzpolizei und Küstenwache durch. Das Bundeskriminalamt war mit zwei Lehrgängen in Tunesien präsent. [2] Zudem ist Deutschland an der Entwicklung und Erprobung des Meeresüberwachungssystems (ISMariS) der EU beteiligt, mit dessen Hilfe künftig die von der tunesischen Küstenwache gesammelten Daten zusammengeführt werden sollen. Diese großräumige Überwachung des Seegebiets in Echtzeit soll insbesondere dazu dienen, Flüchtlingsboote aufzuspüren. [3]

Der Bundestag hat eine weitere Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Marineoperation "Atalanta" vor der Küste Somalias gebilligt. Aufgabe der bis zu 400 Soldaten der Bundeswehr ist nach offizieller Lesart die Verhinderung und Abschreckung von Piraterie am Horn von Afrika sowie die Absicherung von Hilfsmaßnahmen des Welternährungsprogramms und der Afrikanischen Union. Die Marinetruppen verteidigen hegemoniale Interessen in einer Region, die durch westliche Überfischung, einseitige Handelsabkommen und jahrzehntelange Bürgerkriege eine beispiellose soziale Verwüstung erlitten hat. Tatsächlich sind die Übergriffe auf transnationale Trawler in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Der illegale Fischfang ausländischer Flotten habe im Windschatten der europäischen Kriegsschiffe hingegen weiter zugenommen, berichten UN-nahe Quellen. Deutschland will innerhalb der EU die Rolle des "Koordinators" der Marinemission übernehmen und schlägt zudem die Ausrichtung einer Sudan-Konferenz unter seiner Schirmherrschaft vor, um auch dort an maßgeblicher Stelle Weichen zu eigenen Gunsten zu stellen. [4]

Ebenfalls mit großer Mehrheit hat der Bundestag eine Eskalation des deutschen Militäreinsatzes in der westafrikanischen Sahelregion beschlossen. Die Stationierung von 1100 Bundeswehrsoldaten in Mali unter dem Dach der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen wurde verlängert, gleichzeitig wird die Ausbildung afrikanischer Stellvertretertruppen ausgeweitet. Entsprechend dem vom Europäischen Rat geschaffenen Mandat wird das seit sieben Jahren andauernde EU-Programm EUTM bis Mai 2024 verlängert und auf die Streitkräfte in Burkina Faso, Mauretanien, Niger und dem Tschad erweitert.

In Mali wurde mittels der Ausbildungsmission EUTM bislang ein Heer von 20.000 Regierungssoldaten aufgestellt. Das neue Mandat sieht insbesondere vor, daß deutsche Ausbilder diese Truppe sogar in den Einsatz begleiten, dort aber wie bislang nicht selbst intervenieren dürfen. Auf diese Weise rückt eine unmittelbare Beteiligung an Kampfhandlungen näher, was wiederum dem Ruf nach bewaffneten Drohnen Vorschub leisten würde. Auch wurde die EUTM-Mission von Koulikoro in Südmali direkt ins Kriegsgebiet im Landesinneren verlegt, wo die schwersten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Milizen toben.

Die Operation MINUSMA umfaßt bis zu 15.200 ausländische Soldaten und Polizisten, welche die Verhältnisse im Land stabilisieren sollen. Zudem betreiben im Rahmen von Barkhane, der Nachfolgemission von Serval, 3000 französische Soldaten "Aufstandsbekämpfung", hinzu kommen Spezialkräfte und Söldner der Fremdenlegion. Dabei geht es neben dem Zugriff auf Bodenschätze wie Gold und Uran insbesondere darum, die Migration einzudämmen. Im Niger unterhält die Bundeswehr einen Militärstützpunkt, der als Drehscheibe für alle deutschen Militäroperationen in der Sahelregion fungiert. Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte der Marine (KSM) bilden seit einem halben Jahr Sondereinheiten des nigrischen Militärs aus. Die geheime "Operation Gazelle" fand bislang ohne Bundestagsmandat statt, wurde nun aber mit der Verlängerung von EUTM offiziell eingebunden.

Die Bundesrepublik arbeitet dabei mit Regimen zusammen, die oftmals gewaltsam gegen die eigene Bevölkerung vorgehen. Die regionalen Sicherheitskräfte seien ein Teil des Problems, doch ohne sie gehe es nicht, heißt es dazu in einem Strategiepapier der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Ausweitung der deutschen Präsenz auf die gesamte Sahelzone soll einen vorgelagerten Kordon etablieren, der Flüchtlingen weit im Vorfeld Europas und selbst des Mittelmeers den Weg versperrt. Fliehende Menschen sind auf Wasserstellen angewiesen, die jedoch vom nigrischen Militär blockiert werden. In der Wüste kommen mindestens doppelt so viele Flüchtlinge ums Leben wie im Mittelmeer. Der Internationalen Organisation für Migration zufolge sind zwischen 2014 und 2018 mehr als 30.000 Menschen in der Sahara "verschwunden". Im Dienste europäischer Flüchtlingsabwehr schaffen die Sahelstaaten einen gigantischen Todesstreifen quer durch den afrikanischen Kontinent. Vielleicht war es das, was der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul mit folgender Aussage meinte: "Die Lage im Sahel ist kritisch. Sie ist sogar sehr kritisch. (...) Heute ist der Sahel der drängendste Krisenpunkt. Wir müssen etwas tun, und wir müssen es richtig tun." [5]


Fußnoten:

[1] www.imi-online.de/2020/05/27/kontroverse-um-deutsches-mali-engagement/

[2] www.jungewelt.de/artikel/379468.brd-und-tunesien-seegrenze-im-visier.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/378362.eu-und-tunesien-grenzvorposten-tunesien.html

[4] www.wsws.org/de/articles/2020/06/01/afri-j01.html

[5] www.n-tv.de/politik/Deutschland-schickt-mehr-Soldaten-nach-Mali-article21813065.html

3. Juni 2020


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