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FLUCHT/017: Libanon - Syrische Flüchtlinge belasten Dorfgemeinschaften, Hilfen für die Gastfamilien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. März 2013

Libanon: Syrische Flüchtlinge belasten Dorfgemeinschaften - Hilfen für die Gastfamilien

von Zak Brophy


Bild: © Zak Brophy/IPS

Der Libanese Muhammad Sleiman Ikhlif, der syrischen Flüchtlingen provisorische Unterkünfte gebaut hat
Bild: © Zak Brophy/IPS

Wadi Khaled, Nordlibanon, 14. März (IPS) - Die Präsenz von hunderttausenden kriegsmüden Flüchtlingen aus Syrien im Norden des Libanons stellt die Gastgemeinschaften, die diese Menschen aufgenommen haben, auf eine erhebliche Belastungsprobe. Die vorwiegend armen Dörfer haben ohnehin schon mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen.

In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Hilfesuchenden aus dem benachbarten Bürgerkriegsland drastisch gestiegen. Mehr als 320.000 Syrer erhalten mittlerweile im Libanon Unterstützung oder haben sich darum bemüht - mehr als doppelt so viele wie noch vor knapp drei Monaten.

Nach Angaben der libanesischen Regierung halten sich zurzeit bis zu einer Million Syrer im Land auf, eingerechnet Arbeitsmigranten und ihre Familien. Die Zahl der einheimischen Libanesen beträgt rund 4,5 Millionen. Im Gegensatz zur Türkei und zu Jordanien unterhält der Libanon keine formellen Auffanglager. Familien haben etwa ein Drittel der Flüchtlinge bei sich aufgenommen.

"Wir haben unsere Türen geöffnet und sie aufgenommen, weil wir dachten, es wäre höchstens für ein oder zwei Monate", erinnert sich Muhammad Sleiman Ikhlif. Anders als bei den Volksaufständen in anderen arabischen Staaten zieht sich die Krise in Syrien aber in die Länge. "Nun sind die Menschen schon zwei Jahre hier, und wir müssen wirklich kämpfen, um klar zu kommen", sagt Ikhlif, der mit Betonblöcken drei Räume gebaut hat, in denen fünf syrische Familien wohnen.

Es ist eng geworden in dem Gebiet Wadi Khaled an der nördlichen Grenze zu Syrien, wo im Libanon die meisten Flüchtlinge aus dem Nachbarland gestrandet sind. Vor dem Aufstand gegen die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad war Wadi Khaled eine relativ arme Region, in der sich die Menschen aber nicht um ihre Existenz sorgen mussten. Nach dem Flüchtlingsansturm geht es wirtschaftlich aber nicht mehr voran.


Wirtschaft in Grenzregionen zum Erliegen gekommen

"Unsere Dörfer lebten früher von dem grenzüberschreitenden Handel und vom Schmuggel. Alles ist inzwischen zum Erliegen gekommen. Die Wirtschaft ist vollständig erlahmt, es gibt keinen Handel, keine Produktion und keine Arbeit", sagt Ali al-Beddawi aus Rami, einer Ortschaft in Wadi Khaled, die nur wenige hundert Meter von der Grenze entfernt liegt.

Neben der Flüchtlingslast und dem Zusammenbruch des Handels hat auch der Umstand, dass Libanesen ihre Geschäfte in Syrien schließen mussten, zu einer Verschärfung der Lage beigetragen. Al-Beddawi besaß früher eine gutgehende Kosmetikfabrik in der syrischen Stadt Homs, nur 23 Kilometer von Wadi Khaled entfernt. "Wir stehen jetzt vor dem Nichts", klagt er. Schätzungsweise mindestens 50 weitere Geschäftsleute aus der Region mussten ihre bisherige Tätigkeit aufgeben und haben ihr in Syrien investiertes Geld verloren.

Ein Großteil der internationalen Hilfe ist bisher den Flüchtlingen zugekommen. Dies hat in der Bevölkerung Ressentiments geweckt, vor allem in den libanesischen Gebieten, in denen Armut und Instabilität herrscht. "Wir können den Syrern nicht zum Vorwurf machen, dass sie hier sind", meint ein junger Mann in einem Dorfladen in Rami. "Sie fliehen vor der Unterdrückung, aber für uns Libanesen ist das Leben hier unerträglich geworden. Während die anderen von den Vereinten Nationen und ausländischen Organisationen Hilfe erhalten, gehen wir leer aus."

Seit mehreren Monaten jedoch werden auch die libanesischen Gemeinden unterstützt, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Auch Ikhlif kann aufatmen. Von den Syrern, denen er zu einer Unterkunft verhalf, wollte er kein Geld annehmen. In den vergangenen Monaten hat aber die Schweizer Entwicklungsbehörde SDC zur Deckung der Kosten für die Flüchtlingsversorgung beigetragen. "Damit wird eine riesige Last von meinen Schultern genommen", bekennt Ikhlif.


Finanzielle Hilfe aus der Schweiz

Seit September 2012 hat SDC den 1.300 libanesischen Gastfamilien umgerechnet 676.750 Euro bereitgestellt. Jede dieser Familien erhält monatlich 100 Dollar für die Unterbringung von zwei bis zehn Flüchtlingen. Wer mehr als elf Menschen aufnimmt, bekommt 150 Dollar. Zusätzlich werden noch 100 Dollar ausgezahlt, mit denen Verluste aufgrund der Wirtschaftskrise am Ort ausgeglichen werden sollen.

"Den Flüchtlingen weitere Ortswechsel zu ersparen, sicherzustellen, dass sich ihr Leben normalisieren kann und sie in Privathäusern unterzubringen scheint mir die kostengünstigste Option zu sein", sagt die SDC-Direktorin für Zusammenarbeit, Heba Hage Felder. Die Behörde geht davon aus, dass durch ihre Initiative etwa 10.000 syrische Flüchtlingsfamilien in Gastfamilien verbleiben konnten. Von April bis September soll auf diese Weise weiteren 15.000 Syrern geholfen werden.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das UN-Entwicklungsprogramm UNDP und andere große internationale Hilfsorganisationen haben ebenfalls damit begonnen, die Einwohner der libanesischen Grenzregionen nahe Syrien zu unterstützen. "Wir alle sehen, wie wichtig es ist, auf dieser Tradition der Gastfreundschaft aufzubauen", sagt Hage Felder. "Nun muss eine Nachhaltigkeit dieser Hilfsinitiativen erreicht werden." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.swiss-cooperation.admin.ch/middleeast/
http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/page?page=49e486676
http://www.undp.org.lb/
http://www.ipsnews.net/2013/03/at-home-and-not-at-home/

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IPS-Tagesdienst vom 14. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2013