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FLUCHT/029: Irak - Akute Engpässe bei humanitärer Hilfe für Millionen Kriegsvertriebene (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juni 2015

Irak: Akute Engpässe bei humanitärer Hilfe für Millionen Kriegsvertriebene

von Kanya D'Almeida


Bild: © DFID-UK Department for International Development/CC-BY-2.0

Irakische Jesiden erhalten Hilfe von der Hilfsorganisation 'International Rescue Committee'
Bild: © DFID-UK Department for International Development/CC-BY-2.0

NEW YORK (IPS) - Mehrere Millionen Menschen sind im Irak zwischen die Fronten der Streitkräfte und der radikal-islamischen IS-Miliz geraten. Während die Kämpfe weitergehen, benötigen die Flüchtlinge dringend humanitäre Unterstützung, deren Finanzierung aber nicht gesichert ist.

Lise Grande, die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Irak, erklärte am 4. Juni vor dem Europarlament in Brüssel, dass bis Ende des Jahres mindestens 500 Millionen US-Dollar für die Versorgung von 5,6 Millionen Irakern erforderlich seien. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass zurzeit sogar etwa 8,2 Millionen Iraker Nothilfe in Form von Lebensmitteln und/oder medizinischer Versorgung benötigen. In den kommenden sechs Monaten könnte die Zahl auf zehn Millionen steigen.


Fast drei Millionen Kriegsflüchtlinge seit Anfang 2014

Seit Januar 2014 sind fast drei Millionen Menschen vor einem Konflikt geflohen, dessen Fronten sich laut Experten mit erschreckender Regelmäßigkeit verändern. "Alle Segmente der irakischen Gesellschaft - Jesiden, Christen, Schabaken, Turkmenen, Schiiten, Sunniten und Kurden - sind von Gewalt betroffen", erklärte die stellvertretende UN-Generalsekretärin Kyung-Wha Kang am 4. Juni im Namen von Stephen O'Brien, Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten. "Familien müssen mehrmals den Wohnort wechseln um sich vor der fürchterlichen Gewalt zu retten, die ganze Regionen des Landes erfasst. Andere wissen überhaupt nicht, wo sie sich sicher fühlen können."

Hinzu kommen weitere rund 1,3 Millionen Vertriebene, die durch frühere Gewaltausbrüche in die Flucht geschlagen wurden. Zudem haben etwa 250.000 Syrer im Irak Zuflucht vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land gesucht. Das Ausmaß der benötigten humanitären Hilfe wird erschreckend deutlich.


Viele Krankenhäuser und Schulen nicht funktionstüchtig

Die Flüchtlinge sind offenbar auf etwa 3.000 Lager verteilt, in denen für ihre Grundbedürfnisse entweder kaum oder gar nicht gesorgt werden kann. Die Lebensmittellieferungen sind unterbrochen. Hospitäler wurden zerstört und Schulen in behelfsmäßige Unterkünfte für vertriebene Zivilisten umgewandelt.

Vor allem die Lage von Frauen und Mädchen ist besorgniserregend. Laut Berichten sind Entführungen, systematischer sexueller Missbrauch und Versklavung immer häufiger. Wie die Vereinten Nationen mitteilen, ist die Rechtsordnung in dem Land vollkommen zerstört. Tausende Menschen seien täglich mit Massenexekutionen und Vergewaltigungen konfrontiert.

Offensichtlich reicht die Finanzierung für humanitäre Hilfe nicht aus, um die Bedürfnisse der Iraker zu decken. "Die Partner bei der humanitären Hilfe haben alles Mögliche getan, um Unterstützung zu leisten. Mehr als 50 Prozent der Operationen müssen aber beendet oder beschränkt werden, wenn nicht unverzüglich mehr Geld bereitgestellt wird", warnte Grande.


Eingeschränkte Nahrungsversorgung

Etwa 77 Prozent der Krankenhäuser in den Kampfzonen mussten bereits aufgrund unzureichender Finanzierung schließen. Auch die Nahrungsmittelversorgung für mehr als eine Million Menschen musste reduziert werden.

Am 2. Juni erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO mit Nachdruck, dass die allein die im Gesundheitsbereich tätigen Organisationen mehr als 60 Millionen Dollar benötigten, um ihre Einsätze bis Ende dieses Jahres weiterführen zu können. WHO-Vertretern zufolge laufen die Vertriebenen Gefahr, sich mit Masern, Hepatitis und durch Wasser übertragene Krankheiten zu infizieren. Sie bekräftigten die Notwendigkeit von Frühwarnsystemen, Impfungen und Aufklärungskampagnen, um den Ausbruch von Epidemien zu verhindern.


Drohende Epidemien

"Angesichts des Sommeranfangs, der der Landesmitte und dem Süden Temperaturen von mehr als 50 Grad Celsius bringt, ist die WHO angesichts der Gefahren für die Vertriebenen und deren extreme Anfälligkeit für Krankheiten wie Cholera und Hepatitis sehr in Sorge", sagte Jaffar Hussain, der für die WHO-Operationen im Irak zuständig ist, vor der Presse in Genf.

Zurzeit arbeiten Gesundheitsexperten im Irak ohne die notwendige Infrastruktur, ausreichend Personal und genügend Ausrüstung. Die Bereitstellung von Finanzmitteln, die der WHO bisher den Betrieb mobiler Kliniken ermöglichte, wird voraussichtlich in diesem Monat enden. Damit dürfte sich die Notlage von Millionen Menschen im Irak weiter verschlimmern. (Ende/IPS/ck/08.06.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/8-2-million-iraqis-in-need-of-emergency-humanitarian-assistance/

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IPS-Tagesdienst vom 8. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2015

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